piwik no script img

LGBTI-Rechte im KoalitionsvertragDickes Fell für die Legislatur

Viele der geplanten Ampel-Reformen verdienen Applaus. Für gute Lebensbedingungen von LGBTI ist aber auch ein starker Sozialstaat nötig.

Queers, zieht euch warm an! Foto: Sharon McCutcheon/Unsplash

W äre der Koalitionsvertrag schon dasselbe wie die Wirklichkeit, dann hieße das Aufatmen. Aufatmen für viele Menschen aus dem queeren Spektrum. SPD, Grüne und FDP versprechen in ihrem Papier vom Mittwoch Reformen, die man getrost beklatschen darf – wenn man sie auch gleichzeitig überfällig nennen muss. Das Familienrecht soll der queeren Realität angepasst werden: rechtliche Anerkennung von dritten und vierten Elternteilen durch das „kleine Sorgerecht“; rechtliche Anerkennung beider Mütter bei lesbischen Eltern ab Geburt des Kindes.

Damit würden Diskriminierungen verschwinden, die ohnehin bloß Überbleibsel einer Vater-Mutter-Kind-Schablone sind, an die sich die Merkel-Regierungen gekrallt hatten. Außerdem würde, wenn alles so kommt, wie es da jetzt steht, das alte und teils verfassungswidrige Transsexuellengesetz durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzt. Änderungen des Geschlechtseintrags wären dann auf dem Standesamt möglich anstatt bei Gericht – und zwar per Selbstauskunft, statt mittels intimer und übergriffiger Begutachtungen.

Dass sich in diesen Fragen die neue Ampel-Regierung auf grundlegende Reformen würde einigen können, war zu erwarten. Schon bei den gescheiterten Versuchen, das Trans­se­xuel­len­gesetz noch vor der Bundestagswahl zu überholen, waren sich SPD, Grüne und FDP in den wesentlichen Punkten einig gewesen. In ihrem gesellschaftspolitischen Liberalismus sind sich die drei Parteien näher als in vielen anderen Fragen.

Kühler Diskurs

Klar müssen die Gesetze erst mal auch geschrieben und verabschiedet werden, aber sie haben einen Vorteil: Sie kosten nichts. Sie müssen ideologisch durchgekämpft werden – und da ist mit der Union der Hauptgegner vom Platz verschwunden. Was natürlich einzelne Konservative und weiter Rechte nicht davon abhalten wird, lautstark Stimmung zu machen, sobald diese Reformen kommen. Während es also auf dem Papier besser wird, könnte es im Diskurs erst mal kühler werden. Dickes Fell wird die queere Wintermode der kommenden Legislatur.

Na ja, und eine weitere große Sorge: Lebensbedingungen von LGBTI hängen – wie bei allen anderen Leuten auch – nicht am Recht allein, sondern auch an der Grundversorgung. Zu liberalen Gesetzen muss ein starker Sozialstaat kommen, der in Lebenskrisen auffängt. Bisher scheint die neue Regierung aber eine werden zu wollen, die am liebsten von Luft und Liebe lebt. Versprechen gibt es viele, aber keine Steuererhöhungen und (mit einigen Ausnahmen) keine Neuschulden.

Entsprechend braucht also auch nicht mit spürbaren Mehrausgaben für Gesundheit und Soziales gerechnet zu werden. Nicht gerade Topneuigkeiten für trans Menschen, die häufiger erwerbs- und wohnungslos werden, für ältere Queers, die oft nicht auf Pflege durch Angehörige zurückgreifen können. „Fortschritt“ klingt hohl, wenn man vergisst umzuverteilen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Peter Weissenburger
Freier Autor
Schreibt über Kultur, Gesellschaft, queeres Leben, Wissenschaft.
Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Warum eine Forderung nach Sonderrechten? Zählt nicht mehr der Mensch ungeachtet seiner Ausprägung?

    • @alterego:

      Äh ... nein. Um Gleichberechtigung herzustellen, müssen Gesetze inklusiv angepasst oder erlassen werden für bestimmte Gruppen, die von den bisherigen gesetzlich verbrieften Rechten ausgeschlossen (sprich: diskriminiert) waren. Es geht um die Abschaffung von Sonder_un_rechten.

      • 8G
        86548 (Profil gelöscht)
        @Lossy:

        beispielsweise?

        • @86548 (Profil gelöscht):

          Artikel lesen.