Geflügelpest in Niedersachsen: Katastrophe mit Ansage
Massentierhaltung begünstigt Geflügelpest, Niedersachsen ist ein Hotspot. Doch das CDU-geführte Agrarministerium sorgt nicht für kleinere Bestände.
Derzeit ist es wieder so weit, wie so oft im Spätherbst, zur Vogelzugzeit. Mitte November kommt es zum Ausbruch im niedersächsischen Badbergen: 12.000 Puten müssen getötet werden. Fast gleichzeitig wird in Hamburg eine tote Möwe gefunden, gestorben am Virus-Subtyp H5N1, und es kommt zum Ausbruch in Dersekow im Landkreis Vorpommern-Greifswald.
Auch der Landkreis Cloppenburg ist erneut betroffen. Schon 2020/21, während des bislang stärksten Geflügelpest-Seuchenzugs in Deutschland, war er Schauplatz von 41 der 71 Ausbrüche in Niedersachsen. Ein Drittel der bundesweit 1,4 Millionen Tiere wurde dort getötet.
„Dadurch, dass der Mensch immer mehr Natur vernichtet, rückt er immer näher an die Wildtiere heran“, sagt Stephanie Töwe, Agrar-Campaignerin bei Greenpeace zur taz. „Besonders kritisch wird es, wenn Wildtiere Krankheiten auf Nutztiere übertragen, die in Massenbeständen gehalten werden, genetisch gleichförmig, oft mit schwacher Immunabwehr.“ Solche Bestände beschleunigten das Geschehen, seien Brutstätten neuer Virenstämme. Wenn Wildvögel sich mit den neuen Viren infizierten, sei ein Teufelskreis im Gange.
Geflügel ist ein Wachstumsmarkt
Töwe plädiert für eine Reform der Tierhaltung, hin zu kleineren Betrieben und weniger Produktion. Der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft ist hingegen stolz auf seine steigenden Zahlen: Eier und Geflügelfleisch seien „zunehmend beliebter“. Mit 1,7 Millionen Tonnen Bruttoeigenerzeugung pro Jahr nehme Deutschland in der Geflügelfleischerzeugung weltweit eine Spitzenposition ein. Einer der Hotspots: Niedersachsen.
Die Grünen im niedersächsischen Landtag sehen solche Zahlen skeptisch. Je mehr Massentierhaltung und je enger die Ställe, desto größer das Risiko der Geflügelpest, ist die agrar- und tierschutzpolitische Sprecherin Miriam Staudte überzeugt. Im Oktober fragte sie die Landesregierung per Kleiner Anfrage, was diese unternommen habe, um zu verhindern, dass es 2021/2022 erneut einen Seuchenzug in Niedersachsen geben würde. Die Antworten des Agrarministeriums ernüchtern sie.
Ein Beispiel: Staudte fragt, was passiert sei, um die Geflügeldichte in den betroffenen Regionen zu reduzieren. Die Antwort: Man habe „das Gespräch mit Wirtschaftsbeteiligten und Behörden gesucht, um gemeinsam entsprechende Maßnahmen in die Wege leiten zu können“.
Das Ministerium setzt auf geschlossene Ställe
„Das ist total vage“, sagt Staudte. Das Friedrich-Loeffler-Institut, das Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, habe empfohlen, die Dichte zu reduzieren. „Aber davon scheint jetzt nicht mehr die Rede zu sein.“ Besonders den Vorschlag vom CDU-geführten Landwirtschaftsministerium, offene Putenställe zu geschlossenen Hühnerställen umzufunktionieren, findet Staudte falsch. Klar, Puten seien besonders anfällig, aber auch Hühner könnten sich das Virus einfangen. Gerade der Freilauf sei wichtig für das Tierwohl. „Was wir stattdessen brauchen, ist eine Reduzierung der Tierzahl“, sagt sie, „aber da will keiner ran.“
Eine Möglichkeit, Abhilfe zu schaffen, sieht Staudte in einer neuen Staffelung der Beiträge zur Niedersächsischen Tierseuchenkasse. Die zahlt Tierhaltern bei Seuchen und behördlich angeordneten Tötungen Erstattungen, auch aus Steuergeldern – während des letzten Geflügelpest-Seuchenzugs waren es 23 Millionen Euro. Für Betriebe in Hotspots müsse ein höherer Beitragssatz gelten, sagt Staudte. Von einer Massentierhaltungsregion gehe ein erhöhtes Risiko aus. Gleichzeitig profitiere sie von niedrigen Produktionskosten.
Die Lage ist dramatisch. Und es wird dramatischer: Die Geflügelpest betrifft nicht mehr nur Vögel. „Sie hat auf Seehunde der Nordsee übergegriffen“, warnt Staudte. „Hier ist erstmals die Schranke zwischen Vogel und Säugetier gefallen.“
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