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Vielfalt im JournalismusImmer die gleichen Nachrichten

Jeden Abend schauen Millionen Menschen in Deutschland Nachrichten. Doch viele Gruppen sind dort kaum zu sehen, belegt eine aktuelle Analyse.

Diversität nur während der Paralympics: Der argentinische Fußballer Nahuel Heredia Foto: Bernadett Szabo/Reuters

Ob es um Menschen mit Behinderung, mit Migrationshintergrund oder verschiedene Geschlechter geht: Die Bevölkerung in Deutschland ist vielfältiger als es Nachrichtensendungen abbilden. Auch in der Zeit der Bundestagswahl, in der diverse Perspektiven auf gesellschaftliche Probleme besonders relevant wären. Das ergab eine Analyse der Neuen deutschen Me­di­en­ma­che­r*in­nen (NdM).

Die NdM sind ein bundesweit agierendes Netzwerk. In ihm engagieren sich Jour­na­lis­t*in­nen „of Color und Medienschaffende mit oder ohne Einwanderungsgeschichte“, wie es auf der eigenen Seite heißt.

Die Organisation hat untersucht, welche Personen bei den Nachrichtensendungen Tagesthemen, heute Journal und bei RTL Aktuell im August und September zu Wort gekommen sind und zu welchen Themen sie gesprochen haben. Die NdM veröffentlichten die Analyse am Dienstag.

„Migrantisch wahrgenommene Menschen“ seien in der Zeit deutlich unterrepräsentiert gewesen und hätten sich dabei am häufigsten zu Flucht- oder Migrationsthemen geäußert. Insgesamt seien nur bei rund 10 Prozent der knapp 4.200 Auftritte, die in den zwei Monaten erfasst wurden, Personen mit Migrationshintergrund erkennbar gewesen.

Wie Personen wahrgenommen werden

Als wahrnehmbarer Migrationshintergrund zählten in der Untersuchung neben dem Aussehen auch der „Name, Akzent oder die Benennung als ausländisch“, wie Ferda Ataman, die Vorsitzende der NdM bei der Präsentation der Analyse am Dienstag erklärte. Weiße Schwei­ze­r*in­nen würden ebenso gezählt wie Schwarze Personen oder People of Colour. „Wir haben den Begriff bewusst weit gefasst“, steht ergänzend in der Auswertung.

Aber bei der Sichtbarkeit komme es auch darauf an, wie Personen wahrgenommen würden. Deshalb erfasste die Analyse, in welcher Rolle Personen in den Nachrichtensendungen auftraten. Bei Mo­de­ra­to­r*in­nen und Prot­ago­nis­t*in­nen war der migrantische Anteil mit etwa 20 Prozent am höchsten. Nie als migrantisch wurden hingegen Kom­men­ta­to­r*in­nen erfasst. Ex­per­t*in­nen und Po­li­ti­ke­r*in­nen ließen sich ebenfalls unterdurchschnittlich oft als migrantisch wahrnehmen. Dabei seien das „besondere Rollen“ mit höherem Einfluss, so Ataman.

Zu Frauen in Nachrichten ergibt die Analyse, dass sie seltener als Männer in den untersuchten Nachrichtensendungen sprachen. Pro Frau kamen im Schnitt zwei Männer zu Wort. Das stimmt mit den Ergebnissen der Malisa-Studie überein, die im Oktober veröffentlicht wurde. Mit etwa 20 Prozent traten Frauen am seltensten in der Rolle der Expertin auf. Nicht-binäre Personen waren in den ausgewerteten Nachrichtensendungen gar nicht wahrnehmbar. Wie in der Auswertung steht, hätte das Geschlecht dafür aber explizit thematisiert werden müssen.

Menschen mit Behinderung waren ebenfalls kaum sichtbar. Lediglich 0,7 Prozent aller Personen, die in den Nachrichtensendungen vorkamen, hätten eine sichtbare Behinderung gehabt. Der größte Teil davon sei im Zusammenhang mit den Paralympics zu sehen gewesen, die vom 24. August bis zum 5. September in Tokio abgehalten wurden.

Fehlende Perspektiven

Chiponda Chimbelu ist Journalist, beschäftigt sich mit Diversität in den Medien und hat an der Untersuchung mitgewirkt. Während der Präsentation am Dienstag erklärte er, die Sichtbarkeit von Menschen mit Migrationshintergrund in den Medien würde Rassismus zwar nicht beenden, „wenn aber verschiedene Gruppen in den Medien nicht zu sehen sind, dann fehlen auch ihre Perspektiven.“

Bei den öffentlich-rechtlichen Sendungen schreibt eigentlich der Medienstaatsvertrag vor, die Vielfalt der Gesellschaft abzubilden. In den Sendungen sprächen aber hauptsächlich weiße Männer, das stehe dem entgegen, fügte Ataman hinzu.

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12 Kommentare

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  • Journalismus ist ein Geschäftsmodell. Nachrichten werden verkauft und konsumiert. Verleger organisieren das im großen Stil und stellen Journalisten ein, die ihnen politisch genehm sind.



    Bei den Öffentlich-rechtlichen sah es lange etwas anders aus, aber auch sie unterliegen dem ökonomischen Druck. Unabhängiger Journalismus ist eine Illusion, aber qualitativ hochwertige Arbeiten verdienen Anerkennung und Zuspruch.



    Leider übernimmt die Blödmaschine Soziale Medien mehr und mehr die Meinungsbildung ohne im geringsten Qualität nachweisen zu müssen.



    Aber alles in allem liegt es immer nur an uns Konsumenten. Niemand muß den Quatsch auf Telegram sich reinziehen. Jeder kann die Zeitung die ihm liegt abonnieren. Es sind immer nur wir selbst.

  • Es werden Leute vermisst mit einem



    "wahrnehmbare[n] Migrationshintergrund", so wie letztens in einer "Studie" mit "wahrnehmbarer non-CIS Identität".

    Hier wird also mit Kategorien gearbeitet, die anderswo überkommen werden sollen oder deren Existenz abgestritten wird.

    "Man" ist also doch anders, gemessen an Hautfarbe, Name oder gar sexueller Identität. Und zwar so anders, dass man es von weit aussen im TV als ZuschauerIn feststellen kann (abgesehen davon gibt es wohl reichlich Fehlerquellen bei der Grenzziehung).

    Dafür gibt gefühlt kaum noch eine Werbung, die ohne eine Darstellung von marginalisierten Gruppen auskommt.

  • Ja, es kommen auch viel öfter Arbeitgeber zu Wort, als Arbeitnehmer. Und immer alles in hochdeutsch, gehobene Sprache. Warum können die Medien nicht "das Volk" abbilden? Es sind doch zumeist die Führungskräfte, die sich da gewählt und publik ausdrücken.

  • Schöner Artikel, ich habe auch den link verfolgt und in die gesamte Studie angeschaut (21 Seiten). Man muss schon sagen: wo sie Recht haben, haben sie Recht.



    ABER: ich würde diese Analyse auch gerne auf den Haupt-Inhalt der Nachrichtensendungen ausweiten: und das ist nun mal das politische. Auch hier ist eine starke Verengung auf bestimmte Meinungen zu erkennen, unabhängig davon, welches Individuum das vorträgt.



    DIESES Problem bewegt mich weit mehr!

  • Die herangezogenen Kriterien als "wahrnehmbarer Migrationshintergrund" sind reichlich diffus. Da wird so mancher mitgezählt, dessen Vorfahren schon lange im Land leben, nur weil die Hautfarbe einen mediterranen Teint hat. Auf der anderen Seite: Ein Miroslav: Würde der mitgezählt? Ein Podolski? Andere Menschen mit Vor- oder Nachnamen aus Osteuropa und dem Balkan? Wie würde ein Politiker namens "de Maizière" oder "Lafontaine" oder "McAllister" eingeordnet?

    Ich hoffe, die paar Beispiele reichen aus um aufzuzeigen, dass die Methodik der NdM hinten und vorne nicht funktionieren kann.

  • Thematisch gibt es auch eine bizarre Schieflage, wenn in deutschen Medien obsessiv über kleinere Unfälle oder Disaster ohne politische Relevanz am liebsten mit Beteiligung von Amerikanern berichtet wird (wie kürzlich über ein Konzert in Texas mit 8 Toten) oder das gut-beschriebene ‘missing white woman’ Syndrom.

  • Aber mit der AfD muss unbedingt gesprochen werden, lässt sich nicht anders handhaben, Bildungsauftrag oder whatever. Wetten die waren anteilig häufiger zu sehen, als Gruppen, denen man viel lieber ein Recht einräumen würde, repräsentiert zu werden?

  • Der Schnarchsender ZDF berichtete neulich im Mittagsmagazin über zwei uigurische Frauen, denen die Flucht gelungen war und die nun in Deutschland Veranstaltungen zum Thema durchführen.

    Konsequent wurden die beiden in dem Beitrag nur mit ihren Vornamen genannt. Und keiner hat es gemerkt.

    www.zdf.de/nachric...henrechte-100.html

    • @Jim Hawkins:

      Ich habe Sie nicht verstanden.

      Weshalb sollte es "keiner gemerkt" haben?

      Ich hätte spontan vermutet, die Frauen wollen ihren Familiennamen nicht im Fernsehen sehen, damit ihre Familien in China keine Probleme kriegen.

      • @rero:

        Die kompletten Namen waren während des Beitrags eingeblendet.

        Dies ist ein typischer Fall von rassistischem Paternalismus.

        In jedem zweiten Bericht aus dem ferneren Ausland heißen die Leute, insofern sie einfachen Tätigkeiten nachgehen, immer "José" oder "Juanita".

        Üben sie akademische Berufe aus, sind sie dann wieder Senor und Senora.

        Die Redaktion hat es nicht gemerkt, weil sie nichts dabei findet.

        Das ist ja ein Teil des Problems.

        • @Jim Hawkins:

          Danke, jetzt verstehe ich Sie.

          Ich wäre allerdings mit der Beurteilung vorsichtiger.

          Es könnte auch einfach daran liegen, dass der Beitrag beim Publikum stärkere Betroffenheit auslösen soll.

          Die Leute fühlen sich näher, wenn es "die Gulbahar" ist, als wenn von "Frau Haitiwaji" gesprochen wird.

          Auch die reine Namensnennung "Gulbahar Haitiwaji" würde zu einer Distanz führen, weil den Namen sich viele Zuschauer_innen - so möglicherweise die Annahme - nicht merken könnten.

          Berücksichtigen Sie bitte, welche Zielgruppe das Mittagsmagazin wie erreichen will.

          Das Mittagsmagazin ist mit seinen Beiträgen emotionalisierend angelegt.

          Natürlich könnten Sie auch richtig liegen und es ist ein Fall von rassistischem Paternalismus.