Gemeinnütziger Journalismus: Plädoyer für den Aufbau
Gemeinnütziger Journalismus kann die dritte Säule im Mediensystem werden. Dafür muss die Ampelkoalition jetzt den Weg frei machen.
In diesen Tagen könnten sich die Bedingungen für Reporter:innen in Deutschland entscheidend verbessern – wenn die Ampel in ihren Verhandlungen festschreibt, gemeinnützigen Journalismus möglich zu machen.“ Das twitterte am Dienstag Daniel Drepper. Er ist der Investigativchef von Ippen, der vor Kurzem maßgeblich dafür verantwortlich war, den Machtmissbrauch von Bild-Chef Julian Reichelt zu enthüllen. Ich möchte kurz erklären, was Drepper meint und wo die große Chance liegt – und was die Bild-Story damit zu tun hat.
Formell geht es darum, dass die künftige Regierungskoalition den gemeinnützigen Journalismus in die deutsche Abgabenordnung und die Presseförderung aufnimmt.
Dahinter steckt aber mehr. Es geht darum, den digitalen Wandel in den deutschen Medien möglichst breit auszurollen. Es geht darum, eine dritte Säule im Journalismus zu schaffen, neben Privatverlagen und öffentlich-rechtlichem Rundfunk. Spenden wären von der Steuer absetzbar, wie bei einem Sportverein, neue Geschäftsmodelle möglich.
Die Veränderungen auf dem Medienmarkt werden inzwischen vielen Menschen schmerzlich bewusst: Die Heimatzeitung wird dünner, enthält belanglosere Berichte, Faktenchecks vor Ort existieren nicht – und manche Zeitungen verschwinden sogar ganz. Es gibt „Eine-Zeitungs-Kreise“ und die ersten „Keine-Zeitungs-Kreise“ dräuen. Damit verschwindet Vielfalt vor Ort und damit die Chance für Aufklärung und Demokratie. Es fehlt an Geld.
51, ist Publisher bei Correctiv und Vorstand des Forums Gemeinnütziger Journalismus. Er schreibt, seit er 16 war. Bei der taz war er auch mal tätig. Für seine Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet.
Die Folgen sind drastisch, wie viele Studien zeigen. Das bürgerschaftliche Engagement geht zurück, weil keiner mehr über das Ehrenamt berichtet, heißt es in einer Princeton-Studie. Die lokale Korruption nimmt zu, weil keiner mehr Fehlverhalten enthüllt, schreibt ein Team der Uni Harvard.
Erst vor Kurzem wurde sichtbar, wie wichtig eine vielfältige Presselandschaft in Deutschland ist. Die Enthüllungen über den Machtmissbrauch bei Bild konnten in Deutschland lange nicht wirkungsvoll veröffentlicht werden, weil der Springer-Verlag in den vergangenen Jahren immer wieder seinen Einfluss geltend gemacht hat, um die Veröffentlichung von Recherchen in anderen Verlagen zu verhindern.
Und da sind wir bei der Bild-Geschichte von Drepper aus dem Ippen-Verlag. Erst eine Veröffentlichung außerhalb Deutschlands, in der New York Times, brachte den Stein ins Rollen und erzwang den Abtritt von Julian Reichelt.
Dieser Skandal wirft ein Schlaglicht auf die Zustände in Deutschland. Gerade im lokalen Raum sind entsprechende Blockaden der Presse auf Basis unterschiedlicher, auch wirtschaftlicher Machteinflüsse umso leichter möglich, je weniger Medienschaffende es vor Ort gibt, die publizieren können.
Spenden nur über Umwege
Die Vielfalt des Angebots ist entscheidend für die Demokratie. Gemeinnützige Angebote können dabei helfen, Lücken zu schließen – wenn gemeinnütziger Journalismus von der Ampelkoalition endlich ermöglicht wird.
Um es klar zu sagen: Im Augenblick können journalistische Angebote keine Spenden annehmen. Dies ist nur über Umwege möglich: Correctiv beispielsweise ist ein Bildungsangebot, Netzpolitik.org dient dem Verbraucherschutz. Es gibt keine Rechtssicherheit.
Die Gemeinnützigkeit selbst bringt dabei kein Geld – sie kostet den Staat aber auch kein Geld. Sie eröffnet nur eine Chance. Erst wenn die Geschichten im gemeinnützigen Journalismus gut genug sind, werden Menschen bereit sein, dafür zu spenden.
Nennenswerte staatliche Verluste durch die Steuerbefreiung der gemeinnützigen journalistischen Organisationen sind nicht zu befürchten, da diese sowieso keine Gewinne machen dürfen – und damit auch keine Steuern anfallen.
Neue Geldquellen fürs Medienmachen
Zugleich könnte ein großer Verlag wie Springer niemals gemeinnützig werden, da er auf das Kernziel seiner Existenz verzichten müsste: Gewinne zu machen.
Der gemeinnützige Journalismus würde neue Geldquellen fürs Medienmachen erschließen. In Deutschland gibt es derzeit rund 23.000 Stiftungen. 95 Prozent verfolgen gemeinnützige Zwecke. Sie verfügen über ein Milliardenkapital. Doch lediglich ein Bruchteil der Stiftungen engagiert sich aktuell im journalistischen Feld – weniger als 0,5 Prozent.
Eines der größten Hemmnisse: Viele Stiftungen können qua Satzung ausschließlich gemeinnützige Akteure unterstützen. Hierzu zählen journalistische Organisationen bislang nicht. Das kann sich mit einem Gesetz ändern.
Doch dass diese Chance eröffnet wird, ist nicht sicher. Obwohl die Ampelparteien die Einführung des gemeinnützigen Journalismus in ihren Wahlprogrammen stehen haben und die Grünen und die FDP sogar schon in der Vergangenheit entsprechende Gesetzentwürfe über den Bundestag und den Bundesrat eingereicht haben, ist keineswegs klar, dass die Innovation kommt.
Experimentierfeld und Antreiber für den digitalen Wandel
Mächtige Gruppen machen hinter den Kulissen Stimmung gegen die Einführung dieser neuen Form des Journalismus in unser Mediensystem. Die Argumente sind teils absurd. Es heißt, etablierte Verlage würden benachteiligt oder Geschichten finanziert, die sich nicht verkaufen lassen würden. Der gemeinnützige Journalismus diene also der Finanzierung erfolgloser Projekte.
Diese Gruppen wünschen sich lieber Subventionen für klassische Papierverlage in dreistelliger Millionenhöhe und eine Absicherung existierender Biotope, als eine neue Vielfalt im lokalen Raum, die von den Spenden einzelner Menschen getragen wird.
Die Mächtigen können sich nicht vorstellen, dass zufriedene Leute für gute Geschichten freiwillig Geld spenden. Vor allem innovative Vorhaben können mit Hilfe rechnen. Der gemeinnützige Journalismus ist ein Experimentierfeld und ein Antreiber für den digitalen Wandel des Journalismus.
Es bleibt zu hoffen, dass die neue Koalition die Blockaden überwindet. Denn der gemeinnützige Journalismus ist ein Dienst an der Demokratie.
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