Kelly Reichardts Filme in Hamburg: Geworfene Menschen
Zutiefst amerikanisch und dabei arm an Heldengedöns: Das B-Movie in Hamburg würdigt in diesem Monat die Regisseurin Kelly Reichardt.
Die Filme von Kelly Reichardt lassen sich lesen als ein subversives Umgehen mit allerlei Standards und Formen: denen des Hollywood-, aber auch denen des US-amerikanischen Independent-Kinos, in dem der Regelverstoß – oder zumindest -beugung – ihrerseits ja längst Klischees abwerfen. Dabei sah es ganz zu Anfang aus, als stünde ihr eben dort eine glänzende Karriere bevor: Ihr Debüt, „River of Grass“, war 1994 eine erkennbar billig entstandene, seinerzeit so beliebte Variation auf „Bonny und Clyde“ im Vorort-Ambiente. Nicht mit alten Bäumen und weißen Lattenzäune allerdings, sondern Vorort im Sinne von: Zersiedelung, Armut, Leben unter Schnellstraßen.
„River of Grass“ ist – so wie “Certain Women“ (2016) – nicht dabei, wenn das Hamburger B-Movie der Regisseurin jetzt seinen Monatsschwerpunkt widmet. Das dürfte an Technikalitäten liegen: Um eine Gesamt-Langfilm-Werkschau zu zeigen, fehlten dem kleinen Kino auf St. Pauli schlicht ein paar freie Termine. Inhaltlich wäre das Debüt dabei kein Fremdkörper in der Reihe, die sich ausdrücklich „Kelly Reichardts Wilderness“ widmet. Denn auch wenn das Gros ihrer Filme im landschaftlich spektakulären Oregon spielt – und zwei davon zu Zeiten, da der pazifischen Nordwesten noch echten Pioniergeist forderte: Die Wildnis, das ist nicht so sehr eine dem Menschen und seinen Kulturtechniken als andere gegenüberstehende. Nein, Kelly Reichardts Wildnis ist eine, die der Mensch wenn nicht geschaffen, dann doch wesentlich geprägt hat – um sich hineingeworfen wiederzufinden, nicht visionär gestaltend.
Karriere startete verzögert
Zum Auftakt wurde „Old Joy“ gezeigt (noch mal zu sehen am 20. November), Reichardts zweiter Spielfilm, entstanden erst zwölf Jahre nach dem Debüt: Was genau dazwischen passiert ist, warum sie keine zunächst Indie- und irgendwann dann anständig budgetierte Autorinnensensation wurde? Manchmal – und zumindest teilweise im Scherz – hat sogar Reichardt selbst es so dargestellt: Sie war halt kein Kerl, Kerle wie Quentin Tarantino aber waren das Gesicht des Indie-Films in den 1990ern und darüber hinaus.
Vom grellen, ironisch-anspielungsgesättigten Kino eines Tarantino – oder, anders, eines Wes Anderson – unterscheiden sich Reichardts Arbeiten maximal: Sie sind geprägt von einer Ruhe, einer Unaufgeregtheit, die manchen Zuschauer*innen schon zu viel sein dürfte; späteren Filmen wurde mitunter im Gestus echten Überraschtseins bescheinigt, sie seien ja so, tja, plotgetrieben.
„Old Joy“ ist wie mehrere der jetzt zu sehenden Filme die Adaption einer Kurzgeschichte, was ja schon andeutet: Hier geht es mehr um innere Vorgänge denn um äußere Action. Zwei alte Freunde, Mark und Kurt, gehen in den Wald, wegen heißer Quellen. Was nur ein paar Stunden dauern soll, dauert über Nacht, weil Kurt, der den Weg eigentlich kennt, das doch nicht tut – worin sich kristallisiert, wie unterschiedlich die Wege sind, die beide gegangen sind seit ihrer gemeinsamen Zeit; wie unterschiedlich geordnet die Bahnen ihrer Leben. In der Tat ein ereignisarmer, meditativer Film, dem sich zuwenden muss, wer nichts versäumen will.
Frauen in tragender Rolle
Dass es da um zwei Männer (und einen Hund) im Wald geht, mag überraschen, denn das Gewicht der weiblichen Charaktere ist auch so ein Spezifikum Reichardts: Frauen spielen in beinahe allen ihrer Filme tragende Rollen, wenn nicht die einzig tragende. Das hat sich erst mit „First Cow“ (2019) geändert. Reichardts zweite Beschäftigung mit dem Western-Genre und einem nicht zeitgenössischen Setting ist nun am 25., 27. und 28. November zu sehen – und erzählt auch ganz ohne weibliche Hauptrollen, so würdigte es im Sommer die taz, „mit leichter Hand von Frühkapitalismus und toxischer Männlichkeit“.
Einen Mann, der nicht ist, was zu sein er vorgibt, hatte „Meek’s Cutoff“ (18. und 28. November) sogar im Titel: Stephen Meek, eine reale Figur im noch unerschlossenen Nordamerika, ein Trapper, dem sich Mitte des 19. Jahrhunderts eine Gruppe Siedler anvertraute. Reichardts Film von 2010 erzählt die vermeintlich heroische Besiedlung des mitnichten leeren Landes als Plackerei, geleistet von Menschen, die sich nicht als Held*innen fühlen.
Die Spannung zwischen hehrem Anspruch und schnödem, weiß Gott nie perfektem Dasein prägt auch „Night Moves“ (2013), Reichardts in mancher Hinsicht konventionellsten Spielfilm: Ein Thriller, von außen gesehen, plotgetrieben und mit gleich mehreren Stars in den Hauptrollen, darunter Dakota Fanning und Jesse Eisenberg. Radikal Umweltbewegte wollen da einen Staudamm sprengen, ein Zeichen setzen gegen all das, was falsch läuft in der Welt – und geraten irgendwann in eine Form der Selbstzerfleischung mit drastischen Auswirkungen (14., 21. und 27. November).
Im – aus Sicht des Autors – vielleicht schönsten Film der Reihe geht es nicht um große Politik oder fehlgeleiteten Idealismus: In „Wendy and Lucy“ (14., 20. und 21. November) strandet Erstgenannte auf dem Weg zu irgendeinem miesen Job in einer Fischfabrik. Das Auto ist alt und streikt, aber die Dollars sind exakt abgezählt auf dieser Reise – und nun? Wieder so ein für Reichardt typisches Spiel mit dem Beinahe und dem Was-hätte-Sollen, ein an äußerer Handlung armes Kammerspiel ohne schützende Kammer, dafür in einem Freien der vorbeifahrenden Züge und schlampig übergeputzten Ernüchterung. Aber Vorsicht: Michelle Williams – die gerade zum vierten Mal mit Reichardt gedreht hat – als Wendy zuzusehen, wie sie ihren geliebten Hund Lucy sucht und an den Institutionen der schäbigen Kleinstadt zu scheitern droht: Das kann Herzen zerreißen.
Infos: https://b-movie.de
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