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Debatte um Rückkauf der Berliner S-BahnEin kapitalistisches Lehrstück

Bert Schulz
Kommentar von Bert Schulz

Wie bekommt ein Land ein Unternehmen unter Kontrolle? Enteignen könnte eine Lösung sein. So weit sind SPD, Grüne und Linke aber noch nicht.

Schraubt sie bald an den Eigentumsverhältnissen der S-Bahn Berlin GmbH herum? Foto: dpa

E s gab tatsächlich Zeiten, da waren unzuverlässig verkehrende oder krass überfüllte S-Bahnen noch Grund genug, um damit das Wort Krise zu verbinden. Oder Chaos, wie das 2009 noch hieß, als die S-Bahn Berlin GmbH, eine hunderprozentige DB-Tochter, nach einem Radbruch einen guten Teil ihrer Flotte überarbeiten musste, dafür aber wegen eines Sparplans über Jahre keine Kapazitäten hatte. Heute gibt es die Coronakrise und die Klimakrise, alles ist also eine Nummer größer. Aber dennoch lohnt ein erneuter Blick auf den Umgang des Landes mit diesem (Staats-)Unternehmen.

Auch, weil am Dienstag Linksfraktionschef Carsten Schatz aus dem Nähkästchen der Sondierungsverhandlungen mit Grünen und SPD geplaudert hatte. Man habe sich auf eine Kommunalisierung, sprich den Kauf, der S-Bahn geeinigt, verriet er auf dem Landesparteitag, der für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen stimmen sollte und das dann auch brav tat. Im öffentlichen Sondierungspapier fand sich diese Einigung – die die Grünen im übrigen nicht als Einigung verstanden wissen wollen – allerdings nicht, weil man, so Schatz, mögliche juristische Folgen für die derzeit laufende Ausschreibung mehrerer S-Bahn-Strecken sah.

Und hier beginnt das kapitalistische Lehrstück: Da sich das S-Bahn-Chaos mehrere Jahre zog und viele für die Landesregierung unvorteilhafte Schlagzeilen produzierte, diskutierte die Politik über die Möglichkeiten, gegenüber dem Unternehmen handlungsfähig zu werden. Das erste Problem: Die Berliner S-Bahn nutzt ein einzigartiges Gleissystem. Sprich, es existiert kein Konkurrenzunternehmen, das mal eben ein ähnliches Angebot wie die S-Bahn Berlin GmbH auf die Schiene bringen könnte.

So schrieb das Land zwar mehrfach Strecken aus und zahlte für den Verkehr ordentlich Geld, doch es bewarb sich niemand anderes. Und so musste man trotz allen Chaos am Ende wieder die S-Bahn Berlin GmbH beauftragen. Das Land hat es schlicht und einfach mit einem Monopolisten zu tun.

Nun wäre eine Möglichkeit, das Unternehmen zu kaufen und es, wie die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), in Landesbesitz zu überführen. Hier kommt nun Problem Nummer zwei: Die Deutsche Bahn wollte bisher nicht veräußern. Und die Bundesverkehrsminister, die ihren Einfluss auf das Staatsunternehmen hätten nutzen können, kamen meist von der CSU, was sie neben umfänglicher Inkompentenz davon abhielt, der in Berlin regierenden SPD einen Gefallen zu tun.

So beschloss Rot-Rot-Grün den milliardenschweren Aufbau eines eigenen Fuhrparks mit rund 1.300 S-Bahn-Waggons, der Mitbewerbern den Einstieg in den Berliner Markt möglich machen soll. Genau an dieser Stelle sind wir derzeit: Bis Anfang November läuft die Frist für Unternehmen, ein Angebot vorzulegen.

Wie viele Mitbewerber wird es geben?

Umso irritierender ist die vom Linken-Fraktionschef bekannt gegebene Absicht, die S-Bahn GmbH zu kaufen – abgesehen davon, dass er damit seiner Partei entgegenkam, die schon immer vehement gegen die von ihr gefürchtete Zerschlagung der S-Bahn GmbH war. Ist etwa schon absehbar, dass es erneut keine anderen Bewerber geben wird, trotz der vom Land zur Verfügung gestellten Waggons? Das wäre ein Zeichen, dass sich selbst mit viel Geld und Kniffen Monopolstrukturen nicht knacken lassen.

Bliebe das Prinzip Hoffnung, dass die DB ihre Tochter doch verkaufen will, irgendwann, irgendwie, zu irgendeinem Preis. Dem haben die Mitglieder der Sondierungsgespräche offenbar Ausdruck verliehen. Mehr aber auch nicht.

Was ebenfalls in der Sondierung vereinbart (und sogar schriftlich festgehalten) wurde, ist eine Expertenkommission zur Prüfung der Möglichkeiten den Enteignungs-Volksentscheid gegebenenfalls wirklich umzusetzen. Vielleicht kann eine künftige rot-grün-rote Koalition dabei lernen, ob sich nicht auch der Monopolist S-Bahn irgendwie verstaatlichen lässt. Wäre eine spannende Frage.

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Bert Schulz
Ex-Leiter taz.Berlin
Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.
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26 Kommentare

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  • Nun wenn keiner das Netz betreiben will evtl stimmen ja Ansprüche und Preis nicht überein?



    Ein evtl Neubewerber müste ja erstmal eine Firma aufbauen und Preislich geht bloß etwas wenn die neue Firma weniger bezahlt als die S-Bahn….



    Wieso bewirbt die BVG sich den nicht ?



    Aber ist ja nicht der einziege Bereich wo es hakt, wie schaut es den mit der Schulbauoffensive aus ?



    Da stimmen Anspruch und Realität auch nicht überein.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    "Sprich, es existiert kein Konkurrenzunternehmen, das mal eben ein ähnliches Angebot wie die S-Bahn Berlin GmbH auf die Schiene bringen könnte."

    Wieso, die freie Marktwirtschaft hat sich für ein Monopol entschieden, hahahaha.

  • "Waren die Berliner Wohnungen nicht erst im Besitz des Landes? Und wurden die nicht total heruntergewirtschaftet verkauft , weil man die Kosten für die Modernisierung seitens des Landes nicht stemmen konnte?"

    Die Wohnungen waren durchaus nicht "heruntergewirtschaftet", jedenfalls nicht alle. Ich habe (ältere) Familienangehörige, die aus einem Mietshaus in einstigem Bezirksbesitz herausprivatisiert wurden. Ganz schick, gute Lage. Das Haus wurde mehrfach mit Gewinn weiterverkauft, ohne daß irgendwas daran gemacht wurde, später kamen immerhin schöne Balkons an die Fassade und es wurden Eigentumswohnungen.

  • Die Lonkspartei strebt u.a. kostenlosen ÖPNV an. Wie ist dieses Ansinnen in Ausschreibungen codiert?

    Gar nicht weil das Ziel nicht wirklich verfolgt wird?



    Halbherzig mit dem Ergebnis, dass es zu schwammig ist um ein Angebot abzugeben?



    Oder konkret mit zu wenig Ersatzzahlungen seitens des Senats, dass das niemand anpacken will?

    • @Rudolf Fissner:

      Die Linkspartei ist nur ein (keiner) Teil des Senats.

  • Wo nimmt Berlin eigentlich das ganze Geld her? Zur Erinnerung, es gilt die Schuldenbremse.

    • 8G
      86548 (Profil gelöscht)
      @DiMa:

      da muss berlin dann mal wieder juristisches neuland betreten. dann geht das schon.

  • Wie hoch ist eigentlich der Hartz-IV Satz, bei dem sich diejenigen, die jeden Tag arbeiten gehen, um das Leben von denen zu finanzieren, die nicht arbeiten gehen, ausrechnen, dass es sich unten Strich mehr lohnen würde, ebenfalls nicht arbeiten zu gehen und stattdessen "in Würde" von Hartz IV zu leben?

  • Leute, wenn die S-Bahn der DB gehört, dann ist sie bereits im Volkseigentum. Seid Ihr jetzt so dreist und nehmt dem "falschen" Volk was weg, um es dem "richgigen" zu geben.



    Die se Geschichte lehrt ganz was anderes: Der Staat ist ein schlechter Unternehmer.

    • @Münchner:

      Die Geschichte lehrt eher folgende Struktur: Infrastruktur wird gebaut, mit öffentlichen Mitteln, die an private Unternehmen gehen. Das gebaute System wird im öffentlichen Interesse genutzt. Eine rechte Regierung privatisiert das Unternehmen. Die privaten Eigner ziehen Profit daraus und vernachlässigen Investitionen und Instandhaltung. Der Service wird schlecht und schlechter. Schließlich kauft eine andere Regierung das Unternehmen zurück und setzt es in Stand. Es wird als öffentlicher Service betrieben, bis die nächste rechte Regierung das Spiel von neuem anfängt. Jedes Mal gibt es fette Profite für den privaten Sektor, von der Öffentlichkeit bezahlt.

      • @Kahlschlagbauer:

        Die Infrastruktur(Schienen, Bahnahnhöfe, LST) ist doch schon im Eigentum Berlins. Das beweist eher das Gegenteil von dem was Sie schreiben. Bei uns fahren auf zahlreichen Regio-Strecken private Anbieter. Züge sind neu und pünktlich, Personal freundlich. Vieleicht ist die



        Senatsverwaltung arm, sexy aber leider zu doof den Betrieb richtig auszuschreiben.

  • Ich empfehle in diesem Zusammenhang mal den autobiografischen Roman "The Ragged Trousered Philantropists".



    Geschrieben von einem ungelernte englischen Wanderarbeiter mit sozisalistischem Blickwinkel irgendwann 1908 oder so, kurz darauf an Tuberkulose verstorben.

    Er beschreibt dort diesen unfassbaren Vorgang bis ins letzte Detail:



    Erst der Verkauf der Stromwerke (u.ä.), die dann gewinnmaximiert ohne nennenswerte Investitionen bis zur Dysfunktionalität in Privathand sind, um dann überteurt von der Stadt zurückgekauft zu werden.

    Das hat sich bis heute nicht geändert.

    Das Verwunderliche für mich ist, dass es bis heute einfach nicht gesehen wird, dass das schlichtweg Methode ist, bei der auch die Politiker sich die Taschen vollstopfen, während die Allgemeinheit zahlt.

  • Enteignen ist super!!!!!

    Man zeige mir einen staatlichen Konzern , der in ihrgendeinen Bereich (Service, Kosten etc) einen privates Unternehmen schlägt.

    Waren die Berliner Wohnungen nicht erst im Besitz des Landes? Und wurden die nicht total heruntergewirtschaftet verkauft , weil man die Kosten für die Modernisierung seitens des Landes nicht stemmen konnte?

    Und gab es nicht bei Wende im ehm. Ost Berlin noch über 60% der Wohnungen nur mit Etagenbad …..

    Klingt als könnte man das Erfolgskonzept auch auch die S BAHN in Berlin anwenden….

    Hoffen wir dass Berlin noch genügend Geld für den S Bahn Kauf hat, wenn es all die Wohnungen gekauft hat die es laut Volksbescheid kaufen muss, will

    • @Thomas Zwarkat:

      Die Wohnungen wurden nicht wegen ihres Zustandes verkauft, sondern um den Haushalt zu sanieren. Die CDU hatte vorher das Geld mit der Schaufel ausgegeben.

  • Enteignen ist das neue Kaufen…. :—)

    • @Birdman:

      Ist ja praktisch auch kaufen. Es wird ja (nicht wenig) Geld gezahlt.

    • @Birdman:

      Die Berliner S-BAHN GmbH ist eine hundert prozentige Tochter der deutschen Bahn, die sich wiederum im hundert prozentige Eigentum der Bundesrepublik Deutschland befindet. Das Bundesland Berlin soll also den übergeordneten Staat enteignen. Langsam wird's lächerlich.

  • "...der Mitbewerbern den Einstieg in den Berliner Markt möglich machen soll..."

    Genau hier liegt der Denkfehler. Gebraucht wird ein ineinandergreifendes System verschiedener Verkehrsmittel, die sich gegenseitig ergänzen. Dieses muss von einer Stelle koordiniert werden. Die BVG sollte diese Aufgabe übernehmen.

    Dass Letzte, was städtischer Nahverkehr braucht, sind konkurrierende Unternehmen, die auf den attraktiven Strecken um die Kunden kämpfen und darüber den Rest vernachlässigen.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Das Zauberwort heißt Verkehrsverbund.



      U-Bahn, Bus, Tram gehören zur städtisch MVG, Die S-Bahn gehört der DB.Fahrpläne, Neubauten und Erneuerung werden koordiniert Klappt auch ohne Enteignen.

      • @Münchner:

        Ist aber noch viel einfacher, wenn alles in einer Hand ist.

        Mitbewerber sind übrigens Konkurrenten. Und die wollen natürlich Marktanteile. Irgendwie kann man das natürlich steuern. Aber wie gesagt. Es geht einfacher.

  • Die SBahn ist schon öffentliches Eigentum.



    Weil die DB dem Bund gehört.



    Letztlich konkurrieren sich also zwei staatliche Eigentümer darum, wer die öffentliche Dienstleistung mit den selbst gewählten privatwirtschaftlichen Organisationsformen am besten umgesetzt bekommt.



    Da ist Enteignung wohl kein plausibler Begriff.



    Möglicherweise hat der Bund seiner DB aber gar nicht das Ziel kommuniziert, gute Dienstleistungen zu erbringen. Vielleicht gilt dort immer noch das Ziel größter Rentabilität, rein konzernbezogen?

  • Und was genau verspricht sich der Autor von der Kommunalisierung der S-Bahn? Sie ist doch auch jetzt schon eine Gewerkschaft mit angeschlossenem Fahrbetrieb, genau wie die BVG. Und wir wissen auch aus anderen Bereichen, dass Dinge, die Berlins Verwaltung selbst in die Hand nimmt, ja wunderbar funktionieren (ITDZ, BER, Lageso, you name it).

  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Man kann nicht gleichzeitig Investoren anlocken und von Investitionen reden, außerdem geht es hier um ein Geschäft bei dem man erst nach Jahren oder Jahrzehnten wirklich Gewinne einfährt, das macht niemand wenn gleichzeitig von Enteignungen gesprochen wird. Ob es besser läuft wenn das Land Berlin den Betrieb unter Kontrolle hat? Ich wage es zu bezweifeln.

    • @83379 (Profil gelöscht):

      Wir reden über den Eigentumsübergang vom Bund (dem gehört die DB AG) auf ein Land.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        wir rden vom Bund, wo die Dinge eher so lala klappen und von Berlin wo nichts klappt.

        Vieleicht wäre es besser das Netz auf die DB Netz AG zu übertragen. Die sind zwar auch nur "mittelgut", wäre aber ein großer Fortschritt zur Senatsverwaltug.

        • @Münchner:

          "Vieleicht wäre es besser das Netz auf die DB Netz AG zu übertragen."

          Guter Witz.