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Verletzungen der SchulpflichtDie Schulen der „Querdenker“

In mehreren Bundesländern richten Co­ro­nal­eug­ne­r:in­nen für ihre Kinder eigene Bildungsstätten ein. Sie wollen die Maskenpflicht umgehen.

Querdenker*innen-Demonstration in Nürnberg am 9. Oktober Foto: Alexander Pohl/imago

Berlin taz | Es ist eine Form der Instrumentalisierung von Kindern in der Pandemie, eine ziemliche niederträchtige sogar. Nach Streit um die Maskenpflicht und andere Coronaregeln an Schulen haben „Querdenker“ jetzt eigene Bildungsstätten aufgebaut. Zum Beispiel am Stadtrand von Grimma in Sachsen, in der ehemaligen Gaststätte „Schützenklause“ auf einem abgelegenen Grundstück nahe der Ortschaft Neuneunitz.

Die Leipziger Volkszeitung (LVZ) recherchierte, dass sich dort teilweise bis zu 20 Kinder aufhalten sollen, am Vormittag, während der Schulzeit, den Ranzen dabei. Das Blatt zitiert die zuständige Amtsleiterin der Stadt Grimma, Jana Kutscher, mit den Worten: „Wir wissen aus sicherer Quelle, dass dort viele Kinder ihren Tag verbringen.“

Zugleich seien Kutschers Amt erstmals seit Jahresbeginn eine ganze Reihe von Verletzungen der Schulpflicht gemeldet worden. Oberbürgermeister Matthias Berger (parteilos) sagte: „Hier treffen sich wohl Leute aus der Querdenker-Szene und machen Unterricht.“

Die Eltern wollen nicht, dass Kinder auf das Coronavirus getestet werden und eine Maske tragen müssen. Von einem Trend zum „Homeschooling“ ist beschwichtigend die Rede, und angeblich gibt es allein im sächsischen Muldental drei weitere ähnliche Projekte. Eine Frau, die sich dieser Szene zugehörig fühlt, sagte der LVZ: „Es handelt sich nicht um Nazis, sondern um Eltern, denen das Wohl ihrer Kinder am Herzen liegt.“

Die Behörden in Sachsen reagieren zum Teil beschwichtigend. Aus dem Kultusministerium in Dresden heißt es auf Anfrage der taz, die bisherigen Informationen seien „diffus“, weitere Aufklärung sei notwendig. Und überhaupt: Erst einmal sind, noch bis zum Wochenende, Schulferien in Sachsen. Auch das Landesamt für Schule und Bildung hat zwar Hinweise, dass in der ehemaligen Gaststätte „Schützenklause“ Grundschüler und einige wenige Oberschüler unterrichtet werden. Das Amt sieht sich allerdings, wie eine Sprecherin der LVZ sagte, nicht als Ermittlungsbehörde. Das Landesamt fahre für so eine Sache „nicht mit dem Auto durchs Land“.

Konsequenzen in Bayern

In Bayern ist man weiter. Dort schlossen die Behörden eine illegale Schule bei Rosenheim. Sogar der Verfassungsschutz wurde nach Informationen des Bayerischen Rundfunks (BR) in die Ermittlungen einbezogen. Wie der Sender berichtete, hatte eine verbeamtete Lehrerin, Veronika G., über Telegram Pädagogen und Lehrer gesucht, die „das Schulsystem nicht mehr weiter bedienen wollen und eine Alternative suchen“. 50 Kinder besuchten die „Querdenker-Schule“ zwischenzeitlich, laut Behörden alle aus Familien, die Coronatests an Schulen ablehnen.

Auch in Bayern sollte es, so der BR, nicht das einzige Projekt sein. In zwei Regierungsbezirken habe es sogar Anträge auf Schulgründungen gegeben. Beispielsweise habe eine Frau im Allgäu, die auf „Querdenken“-Kundgebungen auftrat und bei der Initiative „Eltern stehen auf“ aktiv war, im März 2021 einen Antrag auf Neugründung einer Grund- und Mittelschule gestellt – sie arbeitet, wie sie auf Telegram schreibt, weiter an dem Plan. Im österreichischen Villach flog im Oktober eine illegale Lernstätte für Kinder von Kri­ti­ke­r:in­nen der Coronamaßnahmen auf. Es gab dort mehrere Razzien bei einem Verein, der zur „Querdenker“-Szene gehört.

Es ist nur eine Facette im Kampf gegen Coronaregeln an Schulen. Allein in Thüringen gab es in diesem Jahr in diesem Zusammenhang mehrere Dutzend Angriffe auf Lehrer:innen. In Sachsen bekommen einzelne Schulen inzwischen sogar Polizeischutz, wenn dort getestet wird.

Kampagne gegen Maskenpflicht

„Querdenken“ hat schon vor Monaten die Maskenpflicht für Schü­le­r:in­nen zum „Verbrechen“ erklärt – und Mit­strei­te­r:in­nen gefunden. Der ehemalige Potsdamer Jugend- und Familienrichter Hans-Christian Prestien bot Co­ro­na­ver­harm­lo­se­r:in­nen Mustervorlagen für Klagen gegen die Maskenpflicht an Schulen. Und fand damit Unterstützung, beispielsweise bei einem Verein von Väterrechtlern, dem „Väteraufbruch“. Dessen Kieler Ableger lud Prestien im April zur Diskussion ein und warnte vor einer „deformierten Generation“. Dazu hieß es: „Wer Kindheitstraumata sät, wird Totalitarismus ernten. Die Coronamaßnahmen hinterlassen eine Schneise der Verwüstung in unzähligen Kinderseelen.“

Prestiens Musterklagen beschäftigten jetzt sogar den Bundesgerichtshof. Der stellte am Mittwoch klar, dass zwei Familiengerichte im thüringischen Weimar und im oberbayerischen Weilheim im Frühjahr ihre Kompetenz überschritten haben, als sie selbst eine Aufhebung der Maskenpflicht anordnen wollten. Co­ro­na­skep­ti­ke­r:in­nen jubelten damals, unter Ju­ris­t:in­nen gab es vor allem Kopfschütteln. Der BGH entschied: „Die ge­richtliche Kontrolle dieses Behördenhandelns – auch hinsichtlich Infektionsschutzmaßnahmen in den jeweiligen Schulen – obliegt hierbei allein den Verwaltungsgerichten.“

Die Eingaben an die Familiengerichte waren als „Anregung“ formuliert gewesen. Das Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen kam dennoch im Mai zu der Auffassung, dass die Kosten für die Verfahren von den In­itia­to­r:in­nen der Sammelklagen getragen werden müssten. Prestien als Autor des Vordrucks habe gegenüber Lai:­in­nen „grob schuldhaft“ den Eindruck zu vermitteln versucht, dass Familiengerichte zur Entscheidung kompetent wären, so das Amtsgericht damals. Diese Kostenentscheidung wurde allerdings schon im Juni vom Oberlandesgericht München wieder kassiert.

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8 Kommentare

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  • Einflussreich ist dabei auch Sven Böttcher, der behauptet hatte, sich von Multipler Sklerose geheilt zu haben. Er hat 2016 gemeinsam mit Mathias Bröckers ein populäres Buch über die Rettung der Zukunft geschrieben.



    Darin und auf seinem Blog macht er reißerische Behauptungen über die Pharmaindustrie und die Erfindung von Krankheiten aus Gründen des Profits. Auf seinem Blog behauptet er seine Tochter evakuiert zu haben nach Frankreich, um sie dort unterrichten zu lassen. - Wegen der Diktatur in Deutschland.

  • "Illegale Schule" - was für ne unbedacht blöde Formulierung. Rchtswidrig ist das Fernbleiben von der Schule, wo ein Kind angemeldet ist. Es aber zu unterrichten, wo wie was auch immer, soll "illegal" sein ???? In einem Land wo - notwendigerweise sehr wahrscheinlich - Schulferien mal eben um Monate verlängert und Kinder ohne Lern-Raum, Ruhe und Laptop im "Online-Unterricht" alleingelassen wurden ???? ...

  • Bis vor gar nicht langer Zeit waren Heim- und privat organisierter Unterricht vollkommen normal, wenn auch allein aus Kostengründen vor allem in den gehobenen Gesellschaftsschichten. Noch Dietrich Bonhoeffer wurde bis zum Gymnasium zu Hause unterrichtet. Die Umdeutung der Schulpflicht in eine Pflicht zum Besuch der staatlichen Schulen erfolgte erst mit dem Reichsschulpflichtgesetz von 1938 und sit bis heute, mit Ausnahme einiger weniger totalitären Enklaven in stalinistischer Tradition, eine deutsche Besonderheit.



    Zum Beispiel in den USA gibt es allein die Pflicht zur einheitlichen, staatlichen Abschlußprüfung und in der Regel, nicht in jedem Einzelfall natürlich, schließen heimunterrichtete Schüler dort deutlich überdurchschnittlich ab.



    Erst heute morgen berichtet der des "Querdenkens" unverdächtige WDR in mehreren Beiträgen, daß Lernerfolg in der Grundschulse seit über einen Jahr de facto nicht mehr stttfindet und psychische Probleme sowie Schulangst ein Ausmaß angenommen haben, das den Bgriff "epidemisch" wirklich rechtfertigt. Sehr wahrscheinlich handelt es sich hier also ganz einfach um Eltern, denen Schule, Lernen, Bildung und ihre Kinder noch wichtig sind und die bereit sind, mit eigenem Einsatz selbst etwas zu tun anstatt aus der sozialen Hängematte nach dem Staat zu rufen.

    • @Axel Berger:

      Soso, der WDR meldet also von mangelndem Schulerfolg und psychischen Problemen bei Grundschülern... schöner kann man Dinge ja nicht umdeuten! Als Grund wurden nämlich nicht die Corona-Maßnahmen genannt, sondern dass seit 1 1/2 Jahren praktisch kein Unterricht mehr stattgefunden hat! Dass sich genau jetzt, wenn der Unterricht wieder einigermaßen normal weiter geht, "Elterninitiativen" für "privaten Unterricht" bilden, lässt eher darauf schließen dass es den Eltern um etwas ganz anderes geht als Schule, Bildung und Lernen.

    • @Axel Berger:

      Die Frage stellt sich nur, warum die Eltern, denen Schule, Lernen, Bildung und ihre Kinder wichtig sind, erst dann merken, dass etwas schiefläuft, wenn sie ihre Kinder vor tödlichen Epidemien schützen sollen - und nicht schon Jahre vorher, wo Untersuchungen immer wieder ergeben haben, dass ein Drittel aller Kinder mit Angst zur Schule geht. Man hätte auch mal die eigenen Kinder fragen können. Hat man aber offenbar nicht. Die Bereitschaft, "mit eigenem Einsatz selbst etwas zu tun anstatt aus der sozialen Hängematte nach dem Staat zu rufen", entstand erst als Vorsichtsmassnahmen zur Coronabekämpfung eingeführt wurden, es also gerade um das Wohl ihrer Kinder ging. Deswegen kann ich Ihrer Meinung nicht zustimmen, dass es sich "sehr wahrscheinlich" um Eltern mit den genannten Eigenschaften handelt.

    • @Axel Berger:

      Keine Frage das hiesige Schulsystem ist defizitär, dass hat aber vor Allem finanzielle Gründe. Da geht der Blick regelmäßig neidvoll nach Skandinavien, aber, dass die dortigen Erfolge nicht allein durch Strukturen und Methodik bedingt sind, sondern auch eine Frage der materiellen Ressourcen will man nicht wahrhaben.



      Demgegenüber scheinen mir die US-amerikanischen Zustände mit massiver sozialer Seggregation eher ein abschreckendes Beispiel als ein Vorbild zu sein. Das Home Schooling ist auch dort ein Phänomen das vor Allem von Evangelikalen und anderen Sektierern genutzt wird, allein schon daran kann man ablesen, dass ein vergleichbares Angebot an hiesige Querschwurbler- und Nazi-Milieus der gesellschaftlichen Integration nicht gerade zuträglich sein dürfte.

    • @Axel Berger:

      Hier wird verharmlost, nichts Anderes.

    • @Axel Berger:

      Genau, und die Verquickungen um Querdenken, samt tatkräftiger Agitatoren, sind nur rein zufällig und werden sich ganz bestimmt nicht auf die vermittelten Bildungsinhalte auswirken.

      Ich weiß ja nicht ...