Polizist klagt wegen Beleidigung: Du Schülerlotse!
In Hamburg muss ein Ladenbesitzer vor Gericht. Er hat einen Polizisten bei einem Einsatz in seinem Laden als „Schülerlotse“ bezeichnet.
![Florian Herrmann, Markus Söder, Anna Stolz und Michael Piazolo posieren in Schülerlotsten-Montur für die Kamera. Florian Herrmann, Markus Söder, Anna Stolz und Michael Piazolo posieren in Schülerlotsten-Montur für die Kamera.](https://taz.de/picture/5190267/14/214502601-1.jpeg)
Der eigentliche Vorfall ereignete sich im Frühjahr dieses Jahres. Betreiber:innen des Anarchisten-Ladens in der Balduinstraße auf St. Pauli hatten Crêpes durch die Eingangstür nach draußen verkauft, um darüber einen Teil der Kosten für ihren Laden einzuspielen. Die Polizei, die im dortigen Teil St. Paulis regelmäßig zwecks Vergrämung der Drogenkleindealer-Szene patrouilliert, bekam das mit – und dazu auch den Eindruck, dass das gegen die gültige Verordnung zur Eindämmung der Pandemie verstoßen könnte.
Schon bald waren 20 Beamt:innen vor Ort, kamen jedoch nicht in den Laden rein. Die Anarchisten machten einfach nicht auf. So erzählt es der Angeklagte Alexander Dumbsky der taz.
Dumbsky ist Ladenmitbetreiber, Musikverleger, lokale Berühmtheit und Ex-Drummer der Punk-Band Die Goldenen Zitronen. Er kam zum Geschehen hinzu und befand angesichts der vielen Polizist:innen, dass der Einsatz nicht mehr mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Einklang zu bringen und deswegen unrechtmäßig sei.
Die Beleidigung gilt als Straftat (§ 185 Strafgesetzbuch), die mit Geld-, aber auch Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren belegt wird. Der Schutz der Meinungsfreiheit findet hier seine Grenzen im Persönlichkeitsrecht.
Wann die Ehre verletzt ist, das liegt zum Teil im Auge des Betrachters: Bei „Oberförster“ für einen Polizisten hat das Amtsgericht Tiergarten schon mal ein Auge zugedrückt.
Beleidigt wird individuell: Wird eine Gruppe pauschal herabgewürdigt („All cops are bastards“), fehlt die persönliche Betroffenheit.
Dies überzeugte den Polizeibeamten G. nicht. Im Gegenteil: Dieser soll gesagt haben, so erzählt Dumbsky weiter: Das, was Recht sei oder nicht, bestimme letztlich die Polizei. „Das macht selbst Libertäre für einen kurzen Moment sprachlos“, erinnert sich Dumbsky. Dann sei er in lautes Lachen ausgebrochen.
Anschließend sei dann auch die vermeintliche Beleidigung „Schülerlotse“ gefallen – eine wertvolle Tätigkeit mit eingeschränkten Kompetenzen zur Verkehrslenkung. Für G., der für sich und seine Kollegen kurz zuvor reklamiert haben soll, sogar Recht setzen zu dürfen, eine wohl nicht mehr hinnehmbare gedankliche Degradierung.
G. zeigte Dumbsky dafür an. Das Gericht setzte dann im August dieses Jahres den Prozesstermin fest. Dabei vertat sich Richter Palke aber in der Auswahl des Saals: Aufgrund verschärfter Coronabestimmungen hätten dort nur maximal acht Zuschauer:innen die Chance zur Teilnahme am Verfahren gehabt.
Nachdem alle am Prozess Beteiligten geneigt waren, eine größere Öffentlichkeit zuzulassen, bemühte sich Richter Palke am morgen des Prozesses spontan um einen größeren Raum und bekam durch die Wachmeisterei schlussendlich den Saal 237 zugewiesen. Dieser ist ein Hochsicherheitssaal mit allem Knick und Knack: schussfestem Glas, hinter dem die Angeklagten meist aus organisierter Kriminalität oder islamistischen Terrorzirkeln sitzen, einem Fangnetz an der Decke und einer Stahltür, durch die aber nur kommt, wer den passenden Schlüssel hat. Daran ist Richter Plake dann – zur eigenen Überraschung – mit seinem Transponderschlüssel gescheitert.
Rund 25 Menschen mussten also unverrichteter Dinge wieder abziehen. Der Prozessbeginn wurde nun auf den 23. November verschoben. Stattfinden wird er im Strafjustizgebäude des Gerichts am Sievekingplatz 3. Welcher größere Saal diesmal getestet wird, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest.
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