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Premiere im Theater an der ParkaueDie Kälte der Gekränkten

Alexander Riemenschneider inszeniert am Theater an der Parkaue „Krummer Hund“, ein Stück über Gewalt und Demütigungen unter Jugendlichen.

Eisige Buchstaben: Szene aus „Krummer Hund“ Foto: Sinje Hasheider

Ein Hauch von Berlinale liegt über Berlin Lichtenberg. Ein Steg ist vor der neuen provisorischen Bühne des Theaters an der Parkaue aufgebaut. Sekt wird ausgeschenkt unter dem Licht der LED-Scheinwerfer, die das Laub der umstehenden Bäume bunt färben. Alexander Riemenschneider, neuer Co-Intendant des Hauses und zugleich Regisseur der Eröffnungsinszenierung, ruft unter dem Applaus des Premierenpublikums die Namen aller Beteiligten an dieser Produktion auf, von der Autorin des Textes über den Beleuchter bis zur Ankleiderin.

Diese Würdigung aller Beteiligten deutet auf den neuen Wind in Berlins größtem Staatstheater für junge Menschen hin und auch auf das Verständnis der neuen Leitung aus Riemenschneider und Mit-Intendantin Christina Schulz. Als „intersektional und diversitätssensibel“ charakterisiert Schulz den gemeinsamen Ansatz. Dazu gehört nicht nur ein internationales Ensemble, sondern auch, dass die, die sonst nicht im Rampenlicht stehen, ebenfalls der Aufmerksamkeit wert gehalten werden.

Das Eröffnungsstück „Krummer Hund“, eine Bühnenfassung des gleichnamigen Romans von Juliane Pickel, handelt von einer davon sehr verschiedenen Welt. Zwei einsame, und in ihrer Einsamkeit schwer gekränkte Seelen stehen im Mittelpunkt. Daniel, vom Weggang seines Vaters und den regelmäßig wechselnden Liebhabern seiner Mutter schwer genervt, kultiviert seinen Zorn auf die Welt in der Hingabe an Gewaltexzesse. Mitschülerin Alina lässt ihre Mischung aus Überlegenheitsgefühl und eigener Verletztheit vor allem durch verbale Demütigungen ihres Umfelds aus.

Die Kälte, die ihre gekränkten Gemüter durchweht, macht Bühnenbildnerin Johanna Pfau in vier riesigen Buchstaben aus Eis sichtbar. Sie formen den Namen „OZZY“; so heißt der Hund, den der Vater Daniel vor seinem Weggang schenkte, benannt nach Ozzy Osbourne, dem durch Unangepasstheit aufgefallenen Leadsänger der Heavy Metal Combo Black Sabbath.

Jeder und jede wird mal Daniel

Hund Ozzy kommt im Stück ums Leben, eingeschläfert ausgerechnet durch den neuen Partner der Mutter, einen Tierarzt. Das ist der nächste Verlust in Daniels Leben, der die Gewaltdynamik weiter treibt.

Das sechsköpfige Ensemble erzählt Daniels Gemütslage und die daraus erwachsenen Ereignisse in Kanon-artiger Abfolge. Jeder und jede wird mal Daniel, prägt mit eigener Haltung, Gestik und Mimik diese Figur. Das ist ein schöner Kunstgriff, der seinerseits Diversität herstellt und zugleich den Erzählstrom des Romans rhythmisiert. Allerdings verlässt sich Riemenschneider zu sehr auf dieses eine Mittel.

Der Textstrom wird in einer stets gleich wirkenden, hohen Intensitätsstufe aufgesagt, es sind, bis auf den Wechsel der Stimmen, kaum Brüche oder Modulationen spürbar. Die Spie­le­r*in­nen stehen, sitzen und liegen meist im Raum verteilt herum. Gelegentlich rennen sie, wechseln dabei die Positionen. Ausbrüche aus diesem szenischen Einerlei gibt es nur, wenn in den Gewaltorgien Eisplatten der Buchstaben zertreten und zerstückelt werden. Das ist die zweite gute Idee des Abends; ein paar Einfälle dieser Güte mehr hätten dem Eröffnungsstück der neuen Intendanz aber gut getan.

Immerhin ist das Thema gut gewählt. Roman und Inszenierung spüren den Verlorenheitsmomenten der jungen Protagonisten sensibel nach. Und die künstlerische Leitung musste ja nicht nur für die Neuinszenierung sorgen, sondern in weniger als einem Jahr Vorbereitungszeit auch ein zutiefst verunsichertes Haus zu neuen Zielen führen und zusätzlich den noch mindestens dreijährigen Umbauprozess des Bühnenturms organisatorisch auffangen.

2019 musste der damalige Intendant Kay Wuschek wegen Rassismusvorwürfen das Haus verlassen. Danach gab es Interimslösungen, bevor im September letzten Jahres der zuvor unter anderem am DT tätige Regisseur Riemenschneider und Schulz, langjährige Leiterin der Jugendwettbewerbe der Berliner Festspiele – u.a. Theatertreffen der Jugend und Tanztreffen der Jugend – in einem langwierigen Auswahlverfahren als Sieger hervorgingen. Riemenschneider und Schulz wollen nun einerseits auf die Kompetenzen der oft langjährigen Mitarbeiterschaft setzen, andererseits künstlerisch für neue Impulse sorgen und dabei auch auf Kollaborationen mit den freien darstellenden Künsten setzen.

Wie sehr die Corona-bedingten Einschränkungen ihrem jugendlichen Publikum zugesetzt haben, wissen sie noch nicht. Die erste Schulvorstellung des neuen Stücks gibt es am Dienstag. Festgestellt haben sie immerhin, dass Lehrerinnen und Lehrer Feuer und Flamme sind, dass es endlich mit den außerschulischen Theatererlebnissen weiter geht.

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