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„Serbische Welt“ und BalkankonfliktGeschmeidige Nationalisten

Erich Rathfelder
Kommentar von Erich Rathfelder

Das Projekt Großserbien wurde nie aufgegeben und ist nun als „Serbische Welt“ wieder aufgetaucht. Die EU muss jetzt handeln, bevor es zu spät ist.

Schwerbewaffnete Polizeikräfte im serbischen Teil Bosniens bei einer Übung Foto: AP

D em Europaabgeordneten Michael Gahler (CDU) riss vergangene Woche im Europaparlament die Hutschnur. Das Gremium diskutierte die Lage auf dem Balkan, ohne den weitreichenden und gefährlichen Konflikt in Bosnien und Herzegowina auch nur zu erwähnen. Gahler hat sich zu Recht aufgeregt.

Was hindert eigentlich die europäische und auch deutsche Öffentlichkeit daran, sich mit dieser Entwicklung auseinanderzusetzen, die in einen Krieg münden könnte? Mit der Drohung, den von Serben beherrschten Landesteil von Bosnien und Herzegowina abzutrennen, ist ein Szenario entstanden, das in vielem an die Zeit vor dem letzten Krieg von 1992 bis 1995 erinnert.

Das Vorhaben der bosnisch-serbischen Führung ist nach Meinung Gahlers „illegal“ und hebelt das Friedensabkommen von Dayton 1995 aus. Das hat zwar auch die serbischen Eroberungen und die Verbrechen der ethnischen Säuberungen während des Krieges legitimiert und der serbischen Seite 48 Prozent des Landes zugesprochen. Es hat aber auch die Existenz des Gesamtstaates Bosnien und Herzegowina in seinen historischen Grenzen bestätigt und mit der bis heute währenden Anwesenheit von (symbolischen) Kontingenten von Eufor- und Nato-Truppen garantiert.

Wer Milorad Dodik, den starken Mann der bosnischen Serben, als nicht ernst zu nehmenden Politiker oder gar Spinner ansieht, macht einen Fehler. Denn Dodik folgt einer langfristig angelegten Agenda des serbischen Nationalismus. Das Projekt Großserbien, das vor 30 Jahren den damaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milošević beflügelte und das zum Ziel hatte, alle Gebiete des ehemaligen Jugoslawien, wo Serben leben, in einem Staat zusammenzufassen, scheiterte zwar. Es wurde jedoch nie aufgegeben und ist jetzt im neuen Gewand von „Srpski Svet“, der serbischen Welt, wieder aufgetaucht.

Gezielte Provokationen

Die vom serbischen Präsidenten Alexandar Vucić ausgerufene „serbische Welt“ umfasst die Republika Srpska in Bosnien und Herzegowina, Montenegro und Kosovo. Und genau in diesen Gebieten werden nun gezielt Provokationen lanciert. So beispielsweise im Kosovo mit dem Aufmarsch serbischer Truppen an der Grenze, um die angeblich in Gefahr geratene serbische Minderheit zu schützen.

Erich Rathfelder

ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen beizutragen. Er schrieb die Bücher: „Kosovo – Geschichte eines Konflikts“ (Berlin 2010), „Bosnien im Fokus“ (Berlin 2010).

Im Nato-Land Montenegro ist es gelungen, mit Hilfe der orthodoxen Kirche eine serbienfreundliche Regierung zu etablieren. Und in Bosnien und Herzegowina wird das Parlament der Republika Srpska diese Woche entscheiden, alle gemeinsamen Gesetze und Institutionen zu revidieren mit dem Ziel, die Republika Srpska zu einem unabhängigen Staat zu formen – der natürlich dann die Option offen hält, sich irgendwann mit Serbien zu vereinigen.

Man kann der serbischen Führung und den serbischen Nationalisten vieles vorwerfen, aber nicht, dass sie nicht geschmeidig ihre langfristigen Ziele verfolgen und dabei die gesamtpolitische Lage in Europa und der Welt vor Augen haben. Bei Gegenwind weicht sie zurück, ohne jedoch ihre langfristigen Ziele aus dem Auge zu verlieren. Wenn aber die EU in einer Krise und der Westen insgesamt außenpolitisch fast handlungsunfähig ist, kann sie austesten, wie weit sie gehen kann.

Hilflose Aufrufe aus Brüssel, nicht die Serben, sondern die Kosovoalbaner sollten sich mäßigen, spielt ihnen in die Hände. Die EU-Mission in Bosnien und Herzegowina, die den Forderungen der serbischen und kroatischen Nationalisten immer wieder entgegenkam, ist in ihren Augen ein Weichei. Dass Angela Merkel und Ursula von der Leyen bei ihren kürzlichen Besuchen in der Region Serbien als stabilisierenden Faktor in der Region ansahen, gehört zu den großen Fehleinschätzungen von europäischer Seite. Es wiederholt sich die Appeasementpolitik Europas gegenüber Milošević von vor 30 Jahren.

Schwäche des Westens

Der serbischen Führung ist auch nicht entgangen, dass die USA mit dem überstürzten Rückzug aus Afghanistan Vertrauen verloren haben. Denn bisher war ja nicht daran zu rütteln, dass allein die Anwesenheit der Amerikaner Kriegsgelüsten einen Riegel vorgeschoben hat. Die Schwäche des Westens hat ein politisches Vakuum erzeugt, in das die serbischen Strategen hineinstoßen können. In Bosnien und Herzegowina kann man jetzt ausprobieren, was geht und was nicht.

Vucić und Dodik können sich dabei auf die Unterstützung Russlands verlassen. Nicht nur, dass Putin modere Waffensysteme an Serbien und damit auch indirekt an die Republika Srpska liefern ließ. Die serbischen Nationalisten können auch mit diplomatischer Unterstützung rechnen. Denn Ende November muss das Mandat der Eufor-Truppen vom UN-Sicherheitsrat verlängert werden. Russland kann ein Veto einlegen.

Der Kreml tut alles, um die Stellung der internationalen Institutionen vor allem in Bosnien und Herzegowina zu erschüttern. So möchte er im Einklang mit Dodik am liebsten die Institution des Hohen Repräsentanten abschaffen. Serbien und Russland fühlen sich im Aufwind.

Leider hat sich auch Kroatien in diese Front eingereiht. Das von kroatischen Nationalisten propagierte Wahlgesetz destabilisiert ebenfalls Bosnien und Herzegowina, rechte Bewegungen und Regierungen innerhalb der EU geben Flankenschutz. Mit Non-Papers aus Ungarn und Slowenien wurden sogar neue Landkarten auf Kosten Bosniens propagiert.

Die Verantwortlichen im Westen müssen jetzt handeln, statt zu warten, bis jegliche Gegenmaßnahme zu spät kommt. EU, USA und die Nato müssen bereit sein, die bestehenden Grenzen zu garantieren. Worte allein genügen nicht. Nato und Eufor sollten nach den Vorschlägen von Thinktanks und Nato-Militärs sofort beginnen, ihre Truppen im Lande zu verstärken und an strategischen Punkten zu platzieren. Geschieht dies nicht, wird der neuen Regierung in Deutschland ein massiver Konflikt vor die Füße fallen.

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16 Kommentare

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  • Es zeigt sich, dass der Krieg um das zerfallene Jugoslawien der 1990er Jahre nur ein Waffenstillstand wurde - kein Friede. Einst versuchten Milosevic und sein kongeniales kroatische Double Tudjman die einstige jugoslawische Teilrepublik Bosnien-Herzegowina entlang der ethnischen Gruppen zu spalten. Großserbien und Großkroatien waren und sind das Ziel der Regierungen in Belgrad und Zagreb - daran hat sich leider wenig geändert. Angesichts der wirtschaftlich desolaten Lage setzen die Mächtigen hier auf den Nationalismus als einigenden Kitt. Und im Gegensatz zu den 1990er Jahren können sie auf erfolgreiche Nationalchauvinisten in Europa setzten - von Ankara, über Budapest bis Warschau und Minsk.....

  • Weil es in einem Vertrag steht, der seit 20 Jahren einen Krieg verhindert.

    Die deutsche Wiedervereinigung kam erst nach Verhandlungen mit Alliierten und Nachbarn zustande. Kein Nachbarstadt hat dadurch Gebiete verloren.

    Serbische Nationalisten wollen ohne Verhandlungen auf Kosten eines Nachbarstaats ihr Land vergrößern. Sie riskieren dafür einen Krieg.

    Ihr Vergleich steht auf tönernen Füßen. Es gibt keine Parallelen zwischen den beiden Situationen in der Realität.

    • @PPaul:

      Man kann es auch so sehen, dass sie gewaltsam geschaffene Grenzen nicht akzeptieren. Oder wie ist das Gebilde Bosnien - Herzegowina sonst entstanden? Es war ein Diktat der Großmächte vor über 100 Jahren.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Die Geschichte war und ist nicht jedermann Sache! Ich helfe Ihnen gerne zb. hiermit:



        de.wikipedia.org/wiki/Kulin_(Ban)



        Die Urkunde des Kulin Ban stellt das älteste Dokument zwischen zwei Staaten dieser Gegend dar. Bosnien als Staat existierte somit sogar viel Früher als die Nachbarländer Kroatien oder Serbien.

  • 1G
    14390 (Profil gelöscht)

    „EU, USA und die Nato müssen bereit sein, die bestehenden Grenzen zu garantieren. Worte allein genügen nicht.“

    Dann bitte einmal die Karten auf den Tisch: wenn Worte alleine nicht reichen, wie konkret soll Deutschland als mächtigster Staat der EU und Mitglied der Nato - was war noch gleich mit der 2%-Zusage? - eine möglicherweise erfolgende Garantieerklärung bezüglich der bestehenden Grenzen praktisch umsetzen?

    • @14390 (Profil gelöscht):

      Gemeinsam feiern wir die Wiedervereinigung z.B. mit Sudetendeutschen nicht! Heute wissen wir auch, dass die Parole „Heim ins Reich“ keine gute Idee war. Das Projekt Großserbien, heute unter neuem Gewand „die serbische Welt“, brachte bisher für die Serben genauso viel wie damals das Projekt „Heim ins Reich“ für die Deutschen, nämlich die Vertreibung. Und ja, natürlich geht uns das Thema was an. Wir haben es geschworen, nie wieder! Und ja, wir haben dafür zu sorgen, diese faschistischen Ideen nie mehr aufkommen zu lassen.

      • @mrga:

        Nur um der historischen Wahrheit Willen: Das Sudetenland hat niemals zu Deutschland gehört, konnte also nicht "Heim ins Reich". es gehörte bis 1918 zur K&K Monarchie Österreich-Ungarns - mit einer größtenteils deutschsprechenden Bevölkerung.

        • @Philippe Ressing:

          Genau so ist es! Und genau dewegen feieren wir die Weidervereinigung mit Sudetendeutschen nicht. Völlig zu recht! Genauso wenig werden wir die von Faschstien angepriesene "Verienigung" der zum Montenegro oder Bosnien gehörenden Landesteile mit Serbien sehen.

  • Wir feiern jedes Jahr am 3. Oktober, dass die Deutschen in einem gemeinsamen Staat leben können.

    Wie erklären Sie, Herr Rathfelder, den Serben, dass sie das nicht dürfen? So lange man auf den Grenzen beharrt, die Kaiser und Könige in ihrem Interesse gezogen haben, ohne die Menschen vor Ort zu fragen, wird es in der Region keine Ruhe geben.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Wie erzählen sie den bosnischen Leuten die dort leben, das sie nun von ihrem Heimatland abgespalten werden?

  • Wenn ich den Text richtig verstehe, haben Länder, die auf dem Balkan nichts zu suchen haben, die Befürchtung, dass die Zerschlagung Jugoslawiens nicht nachhaltig sein könnte. Für Herrn Rathfelder scheint es nur serbische Nationalisten zu geben und keine Serben, die im Kosovo ständig malträtiert werden und größtenteil dort abgehauen sind.



    Und dann kommt natürlich sofort Putin ins Spiel. Der Böse hat auch eigene Interessen, wie die USA, wie Deutschland und andere, die im Balkan nichts zu suchen haben. Was spielt es eine Rolle, dass Serbien und Russland historisch gute Beziehungen haben? Und die Rolle Nazideutschlands? Spielt auch keine Rolle. Genau so wie der Angriffskrieg gegen ein Volk, das unter Nazideutschland sehr gelitten hat.



    Die größte Gefahr für den Frieden auch auf dem Balkan ist die Geschichtsvergessenheit, die sich in NATO-Deutschland breit macht.

    • @Rolf B.:

      Relativieren, das scheint groß im Trend zu sein! Das Relativieren ist jedoch nicht weniger als das Mitmachen. Ein jeder müsste einen Moment darüber nachdenken. Das Thema im Artikel behandelt das Wiederaufkommen des Nationalismus auf dem Balkan und mahnt vor folgen. Erwähnt wurde Serbien aber auch Kroatien die sich leider dem Trend anschließt.

      • @mrga:

        Es ist kein Relativieren, wenn man die Einseitigkeit bemängelt. Bestrebungen, das eigene Territorium zu vergrößern sind in Ex-Jugoslawien weit verbreitet und die Serben sind nicht die einzigen. Kroatische Nationalisten würden sich auch gern eine große Scheibe von Bosnien abschneiden. Von den Albanern ganz zu schweigen. Die würden auch gern den Kosovo "Heim ins Reich" holen. Dazu auch noch gleich Gebiete in Serbien und Nordmazedonien.



        Entweder man ist gegen jeden Nationalismus, oder lässt es gleich bleiben. Wer nur den Nationalismus des einen anprangert, zum anderen jedoch schweigt, der macht sich mitschuldig.

        • @Schöneberg:

          Weit verbreitet eigentlich nicht. Dies beschränkt sich derzeit auf Sertbien und Kroatien und die beiden wurden im bericht erwähnt. Aus meiner Sicht somit alles richtig.

          • @mrga:

            Na, wer ist jetzt am Relativeren? Irgendwie müssen Sie den Teil mit den Albanern überlesen haben. Vom slowenischen Präsidenten hört man auch nur nationalistische Töne. Allein auf das Gebiet des ehem. Jugoslawiens bezogen ist das schon recht viel. Man kann das ganze noch viel weiter führen, wenn man sich die Nachbarländer wie Bulgarien, Ungarn, usw. mit ihren jeweiligen Gebietsansprüchen ansieht.