Ökoproteste in Serbien: Wenn Blockaden wirken
In Serbien gehen Zehntausende Menschen auf die Straße und besetzen Infrastruktur, um zwei Gesetze zu verhindern. Vorerst mit Erfolg.
Am Mittwochabend lenkte Staatspräsident Aleksandar Vučić vor den „Terroristen“ ein. Alle ihre Forderungen sollen erfüllt werden, sagte er in einer Ansprache an das Volk.
Die Forderungen grüner Aktivisten waren einfach: das neue, bereits verabschiedete Referendumsgesetz zu ändern und das neue Enteignungsgesetz, das nur noch auf die Unterschrift des Staatspräsidenten wartete, zurückzuziehen. Letzteres sollte es bei einem Bauprojekt von „nationalen Interesse“ ermöglichen, Eigentum binnen zehn Tagen samt Klagefrist einfach zu verstaatlichen, wenn es im Wege steht.
Das neue Referendumsgesetz wiederum sieht unter anderem hohe Gebühren für ein Volksbegehren vor. Laut Umweltorganisationen für serbische Verhältnisse so hoch, das sie de facto abschreckend wirken sollten.
Das Milliardengeschäft von Rio Tinto
Grüne Aktivisten beschuldigten die Regierung, die zwei Gesetze im Interesse ausländischer Firmen durchboxen zu wollen. In erster Linie geht es um Rio Tinto. Der umstrittene britisch-australische Bergbaukonzern ist ein rotes Tuch für alle Umweltschützer. Der Konzern möchte im Tal des Flusses Jadar im Westen Serbiens eine Lithiummine errichten – mit dem Boom von Elektroautos der derzeit wohl meist begehrte Rohstoff der Welt. Nahe der Stadt Loznica soll sich das viertgrößte Lithiumvorkommen in Europa befinden. Es geht um ein Milliardengeschäft, Rio Tinto hat schon investiert.
Wissenschaftler und Umweltschützer warnen bei dem von der Regierung unterstützten Projekt vor erheblichen Umweltrisiken. Ab 2026 will Rio Tinto in Serbien jährlich 58.000 Tonnen Lithiumcarbonat produzieren. In der Jadar-Region könnte das zu einer Verseuchung der Grundwasserreserven aufgrund des hohen Arsengehaltes im Erz führen.
Das Enteignungsgesetz könnte die Bauarbeiten beschleunigen und das Referendumsgesetz Manipulationen erleichtern, falls ein Volksbegehren über den Abbau von Lithium im Jadar-Tal entscheiden sollte. Die Anzahl der Bürger, die sich an den Blockaden beteiligten, schien die Behörden überrascht zu haben. Am zweiten Samstag waren es noch mehr.
Auf die Straßen gingen nicht nur Naturliebhaber und Ökos, sondern alle Unzufriedenen, die ihren Frust loswerden wollten. Dort, wo oppositionelle Parteien zugrunde gerichtet werden, Medien gleichgeschaltet sind, das von Vučić’ Serbischer Fortschrittspartei dominierte Parlament für die Abrechnung mit Andersdenkenden missbraucht wird und wo die regierende Partei staatliche Ressourcen für Eigenwerbung und den Kampf gegen jede dissonante Stimmen verwendet, müsse sich der Unmut auf den Straßen entladen, erklärte die bekannte serbische Journalistin Vesna Mališić.
Präsident Vučić pfeift die Polizei zurück
Die Opposition und die wenigen kritischen Medien reden vom „geraubten Staat“. Nicht staatliche Institutionen, sondern Vučić und sein engster Umkreis würden demnach über alles entscheiden.
Überraschend war auch, dass sich praktisch aus dem Nichts sehr viele junge Menschen an den Demonstrationen beteiligten, die bisher überhaupt kein Interesse für Politik oder gesellschaftlichen Aktivismus gezeigt hatten. Die Stimmung war kämpferisch. In einem politischen System, das auf Einschüchterung setzt, zeigten die jungen Menschen keine Angst, nahmen Prügel oder Festnahmen bewusst in Kauf. Sie seien bereit gewesen, wie sie selbst sagen, auch den „Schlägertrupps von Vučić“ die Stirn zu bieten.
Regimetreue Medien und staatstragende Politiker bezeichneten die Demonstranten als „faschistoide Terroristen“, „ausländische Söldner“, eine „Handvoll von Schurken“, die brave Serben terrorisierten. Einer direkten Konfrontation wich das Regime allerdings bisher aus. Der alles bestimmende Präsident Vučić pfiff die Polizei schließlich zurück, um größere Krawalle zu vermeiden.
Vučićs Einlenken war ein taktischer Rückzug. Die Begründung: Nicht wegen des „Drucks der Straße“, tue er das, sondern weil brave Bürger im Jadar-Tal besorgt seien. Er ordnete der Regierung und dem Parlament an, seine Entscheidung gleich am Donnerstag umzusetzen. Die wurden tatsächlich gar nicht erst gefragt.
Die „Causa Rio Tinto“ wurde vorerst aufgeschoben, auf einen Zeitpunkt nach den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen, sowie den Belgrader Wahlen Anfang April. Es gab wohl die Befürchtung, dass die Konfrontation mit Demonstranten sich negativ auf das die Umfragewerte des Präsidenten und seiner Partei auswirken würde. Umweltaktivisten kündigten für Freitagabend eine große Siegesfeier in Belgrad an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Kohleausstieg 2030 in Gefahr
Aus für neue Kraftwerkspläne
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins