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Grenzregion zwischen Polen und BelarusGrünes Licht für Geflüchtete

In Polen kommen viele Geflüchtete aus Belarus an. Die Grenzregion gilt als rechtskonservativ. Doch viele Be­woh­ne­r:innen zeigen sich solidarisch.

Am Sonntag demonstrierten Tausende in Warschau gegen die Zurückweisung von Mi­gran­t:in­nen Foto: NUR-Photo/imago

Warschau taz | Ein kleines Mädchen in einem dreckigen roten Anorak, das weint und friert. Eine abgemagerte Frau mit Kopftuch, zitternd vor Nässe, Kälte und Erschöpfung. Ein eigentlich kräftiger Mann, der mit schmerzverzerrtem Gesicht am Boden liegt und versucht, seine mit offenen Wunden übersäten Füße wieder in die nassen Schuhe zu zwängen.

Seit Wochen begegnen polnischen Grenz­be­woh­ne­r:in­nen solchen Geflüchteten aus dem Irak, Iran, aus Jemen und Afghanistan. Ihnen gelang zwar die Flucht über die belarussische Grenze, doch dann irren sie verzweifelt und orientierungslos durch den polnischen Białowieża-Urwald mit seinen gefährlichen Sümpfen herum.

Anfangs hatten die meisten Po­l:in­nen noch der Propaganda der regierenden Nationalpopulisten Glauben geschenkt, die im Staatsfernsehen TVP vor den Fremden als angeblichen Terrorosten, Kinderschändern und Vergewaltigern warnten. Doch die Aktion eines Dorfbürgermeisters an der polnisch-belarussischen Grenze löste nun eine Welle der Hilfsbereitschaft aus. Be­woh­ne­r:in­nen fingen an, grün leuchtende Lampen in ihre Fenster zu stellen. Diese sollen den Geflüchteten zeigen, dass sie dort Hilfe finden.

Die Idee kam nicht vom Bürgermeister, sondern von Kamil Syller, einem Juristen, der vor einigen Jahren nach Podlachien, an die Ostgrenze Polens, gezogen ist. Als Freiwilliger hilft er dort einer Flüchtlingsorganisation, die sich um Asylsuchende kümmert. Grün ist die Farbe des Islams, aber auch der Hoffnung. In Podlachien gibt es noch immer Holzmoscheen – klein und grün gestrichen. Die Gemeinden der Tartaren, die vor Jahrhunderten von den polnischen Königen ins Land geholt wurden, sind nicht allzu groß, aber doch sehr präsent.

Grüne Lampen an der Grenze

Die grünen Moscheen brachten Syller auf die Idee, dass die meist muslimischen Mi­gran­t:in­nen dieses grüne Hilfssymbol sofort verstehen müssten.Überall dort, wo das grüne Licht entlang der rund 420 Kilometer langen Grenze zwischen Polen und Belarus leuchtet, können die Geflüchteten mit einer freundlichen Aufnahme rechnen. Es gibt etwas Warmes zu essen und zu trinken, ein erholsames Bad, ein sauberes Bett für ein oder zwei Nächte und vor allem – Ruhe und Sicherheit.

Eigentlich ist fast der gesamte Osten Polens eine Hochburg der PiS, doch die tägliche Hetzpropaganda im Staatsfernehen gegen die „fremde Invasion“ oder die „Provokation Lukaschenkos“ ist auch ihnen zu viel. „Wenn sie bei uns sind, sind sie bei uns“, sagt etwa eine alte Bäuerin in der Kleinstadt Michałowo bei Białystok, die von Reportern des Privatsenders TVN24 befragt wurde. „Wir müssen ihnen helfen, wenn sie in Not sind. Das sind doch auch Menschen.“

In dem 3.000-Seelen-Ort Michałowo fing alles an. Dort hatten Reporter Ende September vor einem Haus des polnischen Grenzschutzes eine furchtbare Szene mit rund 20 Geflüchteten gedreht, die „Asyl, Asyl“ riefen. Darunter waren auch acht Kinder und Frauen, die verzweifelt schrien: „Die Kinder können nicht mehr laufen.“ Doch vergebens.

Gegen heftigen Widerstand packten die polnischen Grenzbeamten Kinder, Frauen und Männer auf die Ladefläche eines Lkws, zogen die Plane herunter und fuhren ab. Entsetzt über die Brutalität der eigenen Leute fragten viele immer wieder: „Wo sind die Kinder von Michałowo?“ Doch offiziell hieß es nur, dass es sich bei der Gruppe um eine weitere „Provokation Lukaschenkos“ gehandelt habe. Daher habe man sie zurück an die Grenze gebracht. In Wirklichkeit, so erzählte es die Mutter von zwei Kindern dem Rechercheprotal OKO.press, wurden sie über die Grenze gebracht und dort im Wald ausgesetzt.

Am Anfang waren wir völlig hilflos. Jetzt wächst die Hilfsaktion und wird immer größer

Anna Chmielewska, Helferin

In Michałowo schockierte diese Nachricht. Die große Hilfsaktion der Grenz­be­woh­ne­r:in­nen nahm ihren Lauf: Der Bürgermeister und alle Mit­glie­der:in­nen des Stadtrates gingen nach Hause, umwickelten Tisch- und Stehlampen mit grünen Tüchern und stellten sie ans Fenster. „Am Anfang waren wir völlig hilflos. Doch dann begannen wir aktiv zu handeln. Und jetzt wächst die Hilfsaktion und wird immer größer“, sagt Anna Chmielewska, die in der Stiftung Fundacja Ocalenie die Flüchtlingshilfe koordiniert.

In Warschau bekam man vom Stimmungsumschwung entlang der Grenze zu Belarus nichts mit. So verlängerte der Sejm, das polnische Abgeordnetenhaus, zunächst den Ausnahmezustand in der drei Kilometer breiten Grenzsperrzone und verabschiedete dann auch noch ein Gesetz, das „Pushbacks“ über die Grenze ermöglicht. Diese sind eigentlich illegal. Das Gesetz würde es den Grenzern und Soldaten nun offiziell erlauben, das Wort „Asyl“ schlicht zu überhören und den Geflüchteten das Recht auf Asyl zu verweigern. Noch muss der Senat zustimmen. Auch der Präsident muss das Gesetz noch unterschreiben.

Doch ohne Druck von außen dürfte dies nur noch eine Frage der Zeit sein. Zudem will die PiS-Regierung eine moderne Grenzschutzanlage mit Bewegungsmeldern und Wärmekameras an der Grenze zum Nachbarland Belarus einrichten. Im polnischen Internet kursiert das Bild einer sieben Meter hohen Stahlwand mit Stacheldraht und Suchstrahlern. Der polnische Grenzschutz und der Geheimdienst sollen für den Bau rund 1,6 Milliarden Złoty (ca. 355 Millionen Euro) bekommen. Eine normale Ausschreibung oder eine spätere Überprüfung durch den Rechnungshof ist nicht vorgesehen.

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4 Kommentare

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  • So wie ich letztes Jahr die Menschen in Podlachien (so heißt die Gegend, in der der Artikel spielt) kennengelernt habe, verwundert mich das nicht. Es ist eine Landschaft, in der sich noch ein Rest der gewachsenen Multikulturalität erhalten hat, die früher Osteuropa bestimmt hat. Dort wohnen eben nicht nur nur Polen sondern auch Belorussen,Litauer und die erwähnten Tataren (früher auch viele Juden), übrigens jenseits und diesseits der Grenzen zwischen Litauen, Polen und Belorus. Dass es eine:n Anderen gibt, der anders glaubt, spricht und isst, ist dort normal, die Grenze wanderte derart oft durch das Gebieten, dass man verstanden hat, was sie zerreisst und der nächste Verwandte auch jenseits davon wohnen kann. Und vor den orthodoxen Kirchen dort wehen keine polnische Fahnen wie sonst meist vor den katholischen. Nur in einem muss ich die Autorin korrigieren - grün ist nur die Holzmoschee in Kruszyniany, die andere Holzmoschee in Bohoniki ist braun. Die beiden Moscheen in Bialystok sind helle Steingebäude, weitere Holzmoscheen findet man dann wieder in Litauen und Belorus.

  • Ich drücke nur die Daumen, dass diesen Menschen nicht die Lucano-Behandlung [1] zuteil wird.

    In diesem Fall wird die EU ganz eifrig weggucken, wie bei Italien auch. Wetten?

    [1] taz.de/Willkommens...-Italien/!5805017/

  • Es ist gut zu hören, dass mancherorts der normale menschliche Reflex, nämlich zu helfen, wenn Not offenkundig ist, noch intakt ist.

    Danke also für diesen Artikel.



    (Und insbesondere aus Polen, das ich so mag, und aus dem so elende Nachrichten kommen in den letzten Jahren!)

    Nur, es muss irgendwie sein, eine völlig themenfremde kleine Anmerkung:



    Mitglieder sind Neutrum, es ist "das Mitglied". Da ist also schon fertig gegendert. Mitglieder:innen ist totaler Quatsch.

  • "In Warschau bekam man von dem Stimmungsumschwung entlang der Grenze zu Belarus nichts mit."

    Das ist stark zu bezweifeln.



    Der Ausnahmezustand dient nicht allein, und vermutlich nichtmal in erster Linie, der Bewältigung der Situation in Podlasien.



    Vielmehr sind, solange der gilt, Neuwahlen ausgeschlossen. Angesichst der Koalitionskrise sind die ziemlich wahrscheinlich -- durch den Ausnahmezustand allerdings vorerst abgewendet und der zudem ein Köder für potentielle neue Partner von Rechts.