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Streit um Zwischenlager in NiedersachsenAtommüll ohne Zukunft

Experten haben die Entscheidung für ein Atommüll-Zwischenlager nahe dem Bergwerk Asse überprüft. Ihr Bericht bleibt aber vage.

Das ehemalige Salz-Bergwerk Asse bei Wolfenbüttel Foto: Imago/epd

Göttingen taz | Der Atommüll soll raus aus dem maroden Bergwerk Asse, doch wohin dann damit? Anwohner befürchten, dass die strahlenden Abfälle auch nach ihrer Bergung für unabsehbare Zeit in ihrer Nähe bleiben. Jedenfalls dann, wenn es bei dem umstrittenen Beschluss bleibt, ein Zwischenlager in unmittelbarer Nähe der Schachtanlage zu errichten. Wer hierzu am Montag eine Vorentscheidung oder zumindest eine Empfehlung erwartet hatte, wurde enttäuscht: Ein knapp 100-seitiger Bericht, den eine vierköpfige Expertengruppe als Ergebnis eines sogenannten „Beleuchtungsprozesses“ an das Bundesumweltministerium übergab, bleibt in seinem Fazit recht vage.

So heißt es darin etwa, es seien vor einer Genehmigung des Zwischenlagers „möglicherweise weitere Zulassungen nach dem Naturschutzrecht erforderlich“. Die geplanten Baumaßnahmen „können Eingriffe in Natur und Landschaft darstellen“ und bedürften dann der Zulassung nach dem Bundesnaturschutzgesetz. Weitere Anforderungen an die Rückholung und Aufbewahrung von radioaktiven Abfällen könnten sich aus dem Fauna-Flora-Habitat-Recht ergeben, heißt es.

Das Papier enthalte „keine schnellen Antworten“, räumte auch Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth ein: „Das Thema standortnah oder standortfern muss weiter diskutiert werden.“ Aus seiner Sicht lasse sich aber bereits festhalten, „dass die vorgestellten Ergebnisse wichtige Denkanstöße geben“.

Der Streit um den Standort für das Zwischenlager schwelt also zunächst weiter. In das frühere Salzbergwerk Asse II im Kreis Wolfenbüttel wurden zwischen 1967 und 1978 rund 126.000 Behälter mit schwach- und mittelradioaktiven und chemischen Abfällen eingelagert, zum Teil auch einfach abgekippt. Weil die Grube instabil ist, voll Wasser zu laufen droht und etliche Fässer bereits korrodiert und undicht sind, sollen die Abfälle nach Möglichkeit an die Oberfläche geholt werden. Die Nachbarschächte Asse I und Asse III waren schon früher vollgelaufen und aufgegeben worden.

Massive Kritik

Bevor sie irgendwann in ein Endlager kommen, müssen die aus der Asse geborgenen Abfälle neu verpackt („konditioniert“) und zwischengelagert werden. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), Betreiberin des Atommülllagers Asse, hatte im vergangenen Jahr wesentlich aus pragmatischen Überlegungen für diese Anlagen – also eine Konditionierungsanlage, ein Pufferlager und ein Zwischenlager – ein Grundstück in unmittelbarer Nähe des Bergwerks ausgewählt und bereits erworben. Die Entscheidung stieß in der Region auf massive Kritik.

Auch weiter entfernt liegende Orte müssten ernsthaft geprüft werden, forderten Bürgerinitiativen und Vertreter von in der Asse-II-Begleitgruppe zusammengeschlossenen Kommunen. Die Ortschaft Remlingen zum Beispiel liegt nur rund 1,5 Kilometer von dem Bergwerk und dem von der BGE ausgewählten Zwischenlager-Standort entfernt, bemängelt etwa Eleonore Bischoff von der Wolfenbütteler Atom-Ausstiegs-Gruppe. Alternativen mit mehr Abstand zur Wohnbebauung seien offensichtlich gar nicht in Erwägung gezogen worden. Was für den Schutz vor dem Coronavirus gelte, müssen auch für den Schutz vor radioaktiven Belastungen gelten: „Abstand halten.“

Heike Wiegel vom Verein „Aufpassen“ sagte, wenn ausgerechnet an der Asse eine Konditionierungsanlage und ein Zwischenlager errichtet würden, verlangsame das die Rückholung des Atommülls erheblich und unnötig, da alle radioaktiven Belastungen vor Ort zu addieren und die Grenzwerte einzuhalten seien. Konditionierungsanlage und Zwischenlager führten zu einer Dauerbelastung der Anwohner durch Radionuklide wie radioaktiven Wasserstoff und radioaktiven Kohlenstoff, ergänzte der Asse-Aktivist Andreas Riekeberg. Die Asse-II-Begleitgruppe stellte ihre weitere Mitarbeit ein.

Unter dem Eindruck der Proteste verständigten sich im Februar dieses Jahres die Umweltministerien von Bund und Land Niedersachsen, die BGE sowie die Asse-II-Begleitgruppe darauf, die Standortentscheidung in einem sogenannten „Beleuchtungsprozess“ rechtlich und fachlich überprüfen zu lassen. Erstes Ergebnis dieses Prozesses ist das am Montag übergebene Papier – es „beleuchtet“ die BGE-Entscheidung unter den Aspekten von Recht und Gesetz, Geologie, Strahlenschutz und Sozialwissenschaften. Und kommt dabei, wie erwähnt, zu keiner eindeutigen Empfehlung.

Gestörte Kommunikation

Aus der Sicht von BMU-Staatssekretär Flasbarth sollen der Bericht und der gesamte „Beleuchtungsprozess“ helfen, die „große Sprachlosigkeit“ zu überwinden, die infolge der BGE-Entscheidung in der Region geherrscht habe. Der Prozess biete die „einzigartige Chance“, die gestörte Kommunikation zwischen Asse-Betreiber, Behörden und Bevölkerung wieder in Gang zu bringen.

Nach den Worten von Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) hat der Bericht das Verfahren „nicht nur beleuchtet, sondern auch an der ein oder anderen Stelle ausgeleuchtet“. Jetzt gehe es darum, sich intensiv und kritisch mit den Hinweisen des Expertenteams auseinanderzusetzen. Der Bericht werfe viele Fragen auf, die zügig zu klären seien. Am 8. November soll es ein internes, am 22. November ein öffentliches Gespräch dazu geben, kündigte Lies an. „Wir müssen sicherstellen, dass die schnelle und sichere Rückholung der Abfälle gewährleistet bleibt. Dieses Ziel eint uns.“

Auch BGE-Geschäftsführer Stefan Studt äußerte die Hoffnung, „dass wir schnellstmöglich aus der kommunikativen Sackgasse herauskommen“. Der Expertenbericht biete dafür dem ersten Eindruck nach eine gute Grundlage: „Wir werden uns alles in Ruhe ansehen.“

Studt bekräftigt gleichzeitig bisherige BGE-Planungen, wonach die eigentliche Rückholung der Asse-Fässer im Jahr 2033 beginnen soll. Neben dem Standort für das Zwischenlager steht vor allem auch der dauerhafte Verbleib dieser Abfälle in den Sternen. Das frühere Eisenerzbergwerk Schacht Konrad in Salzgitter, das von der BGE gegenwärtig zum Bundesendlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle ausgebaut und von Atomkraftgegnern heftig bekämpft wird, kann den strahlenden Schrott aus der Asse schon aus Platzgründen nicht aufnehmen.

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3 Kommentare

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  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Warum nicht den Atommüll nach Frankreich exportieren. Von dort werden wir ja wegen mangelnder Strommengen künftig auch deren Atomstrom importieren müssen.



    Aber:



    "Seit über 50 Jahren nutzt Frankreich Strom aus Kernkraftwerken. Doch bis heute gibt es kein Atommüllendlager. 2035 soll nun ein unterirdisches Lager in Lothringen in Betrieb gehen. Doch es gibt Sicherheitsbedenken und die Bevölkerung wehrt sich." (Deutschlandfunk Kultur)

    Gibt es überhaupt auf der ganzen Welt ein einziges Atommüllendlager?

    • @17900 (Profil gelöscht):

      "Warum nicht den Atommüll nach Frankreich exportieren."



      Und Altöl und Lackreste entsorgen sie über Nachbars Gartenzaun oder wie? Warum sollte Frankreich den deutschen Strahlenmüll denn nehmen?



      "Von dort werden wir ja wegen mangelnder Strommengen künftig auch deren Atomstrom importieren müssen."



      Bislang wird deutlich mehr deutscher Ökostrom nach Frankreich exportiert, als französischer Atomstrom importiert wird. Da die französischen Atomreaktoren zunehmend am Ende ihrer Lebensdauer sind, spricht wenig dafür, dass sich dieses Verhältnis in absehbarer Zeit wesentlich ändern wird.



      taz.de/Deutsche-Stromexporte/!5567350/

      • 1G
        17900 (Profil gelöscht)
        @Ingo Bernable:

        Ok, manchmal muss man es offenbar dazu schreiben, dass das ironisch gemeint war.

        Was den Stromexport angeht, so beschreiben sie bzw. die Taz den Ist-Zustand.



        Das wird sich deutlich in Zukunft ändern. Viele sprechen von einer Stromlücke. Da liegt es nahe, den Strom auf Frankreich zu importieren.



        Gerade auch bei der Zunahme der Elektroautos und eines generell zunehmenden Stromverbrauchs.