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SPD nach der BundestagswahlDie neue Harmonie der Sozis

Die SPD-Fraktion ist jünger und diverser als je zuvor. Und auch die SPD-Linke sehnt sich nach der Ampel. Doch so schnell wird es nicht gehen.

Der wiedergewählte Fraktionsvorsitzede Rolf Mützenich, Chorleiter vor selbstbewusstem Ensemble Foto: Michael Kappeler/dpa

Berlin taz | Mittwoch morgen steht Axel Schäfer, SPD-Linker aus Bochum, vor dem Plenarsaal des Bundestags und ist glücklich. „Olaf klingt schon wie Helmut Schmidt“, sagt er. Und Scholz war doch auch prägender Bürgermeister einer Großstadt, wie Willy Brandt, sagt Schäfer. Olaf Scholz erscheint als Reinkarnation der beiden SPD-Leuchtfiguren der guten alten Zeit.

Schäfer, 69, schwärmt geradezu von Scholz, der jetzt nicht nur die SPD-Forderungen wie den Mindestlohn aufzähle, sondern „eine Zukunftserzählung“ für die Ampel im Blick habe. Scholz biegt da zufällig ein paar Meter hinter Schäfer mit schwarzer Maske aus dem Aufzug in den Plenarsaal ein.

Einen Meter weiter werden Neulinge in der Fraktion vor TV-Kameras interviewt. Alle interessieren sich für die 49 Jusos, ein Viertel der SPD-Fraktion. Sie haben schon mal ein gemeinsames Foto von sich auf der Treppe vor dem Reichstag publiziert. Die Botschaft: Mit uns ist zu rechnen. So viele Jusos gab es noch nie im Parlament.

Eine neue Abgeordnete macht in der Ecke ein kurzes Video für Instagram. Es gibt Neues zu berichten: Sie hat einen Laptop bekommen. Ein altgedienter Abgeordneter aus NRW meint, man müsse sich erst mal kennenlernen. Die einflussreiche Landesgruppe NRW hat 49 Mitglieder, 20 sind neu. So jung und ethnisch divers war noch keine SPD-Bundestagsfraktion.

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Die Stimmung ist blendend. SPD-Linke loben Scholz, Scholz lobt den SPD-Linken und Fraktionschef Rolf Mützenich (62) als „ganz tollen Mann“. Die Fraktion wählt Mützenich am Mittwoch mit 97 Prozent wieder zum ihren Chef. Harmonie überall. Scholz hätte, wenn er auf Nummer sicher hätte gehen wollen, den Job für sich reklamiert. Falls er nicht Kanzler wird, ist Fraktionschef der einflussreichste Posten. Das hat Scholz nicht getan. Dann hätte der eiserne Glaube der SPD, dass er Kanzler wird, einen deutlichen Riss bekommen.

Es gibt Gerüchte, dass Mützenich Bundestagspräsident wird. Er ist von Union bis Linkspartei anerkannt und wird allseits für seine Freundlichkeit gelobt. Der Bundestagspräsident wird in der ersten Sitzung des neuen Bundestages gewählt – voraussichtlich am 26. Oktober. In vier Wochen kann viel passieren.

Die SPD macht, nach anfänglichem Zögern, jetzt Tempo. Die Ampel soll, wenn es nach der SPD geht, am besten schon vor dem 24. Oktober beschlossen sein. Zu dem Gerücht, dass er Bundestagspräsident werden könnte, sagte Mützenich am Mittwoch vieldeutig: „Wenn es eine Wertschätzung ist, dass ich da genannt werde, freut mich das.“

Mützenich ist Außenpolitiker – und hat die Fraktion sanft, aber bestimmt auf einen eher linken außenpolitischen Kurs geführt und solides Machtbewusstsein gezeigt. Er ist links, pragmatisch, höflich – und entspricht damit dem Anforderungsprofil für einen SPD-Fraktionschef in einer Ampel-Regierung.

Nach dem Untergang von Rot-Grün-Rot erscheint auch überzeugten SPD-Linken die Ampel mit Glorienschein. Schäfer hält sie für „eine historische Zäsur wie 1969 und 1998“, Rolf Mützenich für „eine Fortschrittskoalition“. Auch die rhetorischen Scharmützel Richtung FDP – Kevin Kühnert hatte Christian Lindner einen „Luftikus“ genannt – werden jetzt enden. Sie waren noch Echowellen des Wahlkampfes. Aber gleichzeitig angreifen und umarmen ist ja schwierig.

Die Euphorie in der SPD wird sich legen, wenn klar ist, dass Lindner Finanzminister oder der Soli ganz abgeschafft wird – eine 10-Milliarden-Steuersenkung genau für die oberen 5 Prozent, die die SPD eigentlich belasten will.

Die sechsköpfige SPD-Gruppe (Olaf Scholz und die Parteispitze, Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, Generalsekretär Lars Klingbeil, Fraktionschef Rolf Mützenich und Malu Dreyer, Ministerpräsidentin in Mainz) wird sich mit Grünen und FDP treffen, muss sich in der Schlange aber erst mal hinten anstellen. Denn FDP und Grüne tagen am Freitag noch mal. Für Samstag sind dann offenbar Treffen von FDP und Grünen mit der Union anvisiert.

Die SPD wird sich am Sonntag nacheinander mit FDP und Grünen treffen. Terminfragen sind in der Politik Machtfragen. Lars Klingbeil versucht den Ball flach zu halten. Es sei nicht wichtig „wer zuerst miteinander redet, sondern wer am Ende den Koalitionsvertrag unterschreibt“. Das Fingerhakeln hat begonnen. Es macht nicht den Eindruck, dass es so schnell enden wird, wie die SPD hofft.

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13 Kommentare

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  • "links, pragmatisch, höflich"

    Das ist das Ende der Agenda 2010, die sich über die FDP wieder ein wenig in eine künftige Bundesregierung einschleichen wird.



    Die SPD ist mit "höflich" nicht richtig beschrieben, sondern es ist der Big Gerd, der Oberboss, der Brioni-Kanzler mit seinen rüden, aggressiven und egoistischen Attitüden, der sich seine Partei gefügig machte, den die SPD lange zu verdauen hatte.

    Etliche Wahlniederlagen dokumentierten, es war (und ist) der falsche Kurs gewesen, aber das störrte eine Führungsriege, zu der auch Scholz gehörte, nicht.

    Jetzt ist die Fraktion so neu und schwer einzuschätzen wie noch nie, ob die SPD sich erneuert, sich überhaupt erneuern kann, wenn ein Oberpragmatiker wie Scholz führt, das wird die wirklich interessante Frage.



    Und es geht ja heute weniger um die Erneuerungsfähigkeit der SPD, sondern eher um die Frage, wie koalitionsfähig ist die SPD und wie kann sie dennoch Profil in einer Regierung zeigen, ohne andere Partner zu verprellen. Schröder drückte den Grünen alles rein, was die zum Kotzen fanden und erzeugte Angst vor einer aggressiven SPD.

    Wenn jetzt Jusos die SPD-Fraktion aufmischen und ihre Duftmarken setzen wollen, ist das anders, als in den 1970ern, es kann andere Folgen haben, weil die SPD mit 25 Prozent vielleicht in der Arithmetik der SPD wieder da ist, nach einer echten Mehrheitslogig, ist die Comeback-Marke eher bei Plus 35 Prozent anzusetzen, da wäre die SPD hegemonial, da müssen andere Parteien verschwinden oder werden deutlich reduziert, die SPD von heute ist aber in urbanen Zentren jetzt unter Feuer - von den Grünen.

    Die SPD kämpft eben jetzt mit links-liberalen Grünen, bürgerliche Kreise mit Abitur und Studium setzen sich selbstbewusst durch, wählen sich mehr und mehr eine Art Trendelite, auch wenn's mal hackelt, dieser Weg, der ist klar zu sehen. Vor allem kulturell dokumentieren diese Wahlen eine große Veränderung - zu Lasten der SPD. Die muss da erst Mal Anschluss finden - vielleicht mit Jusos?

  • Die Mehrheit der Deutschen hat den Kompromiss gewählt und wird den roten, gelben und grünen Kompromiss bekommen.



    Das ist weder Revolution, noch Richtungswechsel oder Weiterso - sondern von jedem etwas.



    So kann dann - egal ob links oder rechts in der SPD verortet - jede/r etwas finden, was Anlass zur Freude oder Anlass für Ärger und Wut ist.

    Na ja, ist eben Kompromiss und kein Richtungssieg.

  • Macht sich jemand die Mühe ein Masken-Ordnungsgeld einzutreiben ?

  • Wow. So viele Masken..

  • Die FDP wird den Sozen noch schwer vor die Füße fallen, falls es zur Ampel kommen sollte … soziale Gerechtigkeit ade, und auch die Grünen sind in der Hinsicht keine Hilfe, sozialdemokratische Positionen in einer solchen Dreierkonstellation zu stärken.



    Die grün-liberalen Sondierungen sind ein echter Coup der Chefideologen Lindner und Habeck, sie wissen, dass SPD, aber auch die Union, sollte das Pendel Richtung Jamaika ausschlagen, jetzt hochgradig erpressbar sind.



    Aus meiner Sicht wäre R2G die Option gewesen, die zurecht als Zukunftskoalition gelten könnte … das ist von den Wähler*innen anders entschieden worden und unter diesen Umständen rate ich der SPD zur Opposition, gerade wegen ihrer neuen Stärke und programmatischen Neuorientierung.



    Nach vier Jahren Jamaika haben Union und Grüne dann endgültig fertig, nur die FDP kann davon profitieren. Spätestens dann schlägt die Stunde einer inhaltlich erneuerten und verjüngten SPD.

    • 8G
      82286 (Profil gelöscht)
      @Abdurchdiemitte:

      Nun ja, es besteht noch immer die Möglichkeit einer Minderheitsregierung SPD/GRÜNE. Die Möglichkeit ist da.



      Nicht denkbar, dass die gesamte Opposition, einschließlich LINKE und AfD, stetig geschlossen sich gegen jedes Vorhaben stellen werden, vorausgesetzt, man macht sich die Mühe, Einwürfe einzubeziehen. Eine permanente Koalitionsverhandlung. Es wäre ein Gewinn an Demokratie. Die Macht der Zuchtmeister der Fraktionsvorsitzenden wäre zum Teil gebrochen.

  • und das schönste für die Sozen, bei Scholz gilt vielleicht bald die Unschuldsvermutung.



    Ein hehrer Rechtsgrundsatz, für einen Kanzler mit Erinnerungslücken vielleicht doch zu wenig.

    • @naichweissnicht:

      Dann fruet sich sein Nachfolger..



      Und irgendwie könnte ich mir so ganz "leger" vorstellen, dass das KK wird.

  • Ein Finanzminister Lindner wäre der Todesstoß für den Euro. Deshalb wird sich der 26.9. im Rückblick möglicherweise als der point of no return für die EU erweisen:

    Auch die FDP lehnt Eurobonds ab und besteht auf Sparmassnahmen. Dass ihr Parteichef Lindner Interesse für das Amt des Finanzministers angemeldet hat, sorgt in Frankreich und Italien für Unruhe. «In diesem Fall wäre Deutschlands Drang sehr gross, so schnell wie möglich zurückzukehren zu einer fiskalischen und monetären Austeritätspolitik», meint die italienische Zeitung «La Repubblica». Für Rom und Paris wäre eine solche Restauration eine «Katastrophe».www.nzz.ch/interna...-die-eu-ld.1647484

    • 8G
      82286 (Profil gelöscht)
      @Michael Myers:

      Die FDP, jedenfalls die, die sich unter Herrn Lindner versammelt, der darf keine Regierungsverantwortung zuteil werden.

  • "die SPD-Linke sehnt sich nach der Ampel" wieso hat Kevin Kühnert dann von Olaf Scholz einen Maulkorb bekommen?

    • 8G
      82286 (Profil gelöscht)
      @Weitsicht80:

      Seh ich jetzt grad nicht auf dem Bild. Trotzdem: mit einiger Wahrscheinlichkeit werden sie ihre Harmonie auf den Oppositionsbänken zelebrieren können.

  • Lustiges Wimmelbild: Such den Epidemiologen!