SPD-Parteitag in NRW: Fast schon revolutionär

Die SPD in NRW will mit einem linken Programm zurück an die Macht. Dann sprengen die Jusos mit einer Rassismus-Debatte die feel-good-Atmosphäre.

Thomas Kutschaty vor einer Wand mit Himmel und Wolken und dem Text "Für euch gewinnen wir das Morgen"

Alles ist auf ihn zugeschnitten: der designierte SPD-Spitzenkandidat Thomas Kutschaty Foto: Julia Meya/dpa

BERLIN taz | „Wir sind hier auf einem Wahlparteitag“ sagt Nadja Lüders, SPD-Generalsekretärin kurz nach 15 Uhr am Samstagnachmittag. Es klingt fast beschwörend. Denn eigentlich soll der Parteitag, die Krönungsmesse für SPD-Chef Thomas Kutschaty, schon zu Ende sein. Doch die Jusos zwingen dem digitalen Parteitag eine Rassismus-Debatte auf, die Zeitplan und Choreographie sprengen. Sie stellen einen Antrag zu dem Terroranschlag in Hanau. Es geht um einzelne Formulierungen – und viel mehr.

Am 15. Mai wird in NRW gewählt. Es ist für die Bundes-SPD die wichtigste Wahl 2022. Es gibt viel zu gewinnen, sagt Kanzler Olaf Scholz in seinem Grußwort. Und – eben auch viel verlieren. Jamaika in Düsseldorf würde bei der Ampel in Berlin Störgeräusche verstärken.

Wahlparteitage dienen der Inszenierung von Einigkeit nach außen und Selbstermutigung nach innen. Und eigentlich läuft bis zur Hanau-Debatte alles wie geplant Die Kampagne ist ganz auf Kutschaty, den früheren Justizminister, zugeschnitten. Er steht – offenes Hemd, keine Krawatte, Jeans – vor der Fotowand eines offenen Himmels. „Für euch gewinnen wir das Morgen“ steht darauf. Wir für euch – es ist das alte, leicht paternalistische Selbstbild der SPD, die sich kümmert und alles regelt.

Die SPD will ganz viel Soziales

Kutschaty wird als „authentisch“ angepriesen. Der Eisenbahner-Sohn aus dem Essener Norden war, typisch sozialdemokratisch, der erste Bildungsaufsteiger seiner Familie. Er redet 45 Minuten lang, fast ohne Publikum in einem kleinen Digital-Studio. Konzentriert und flüssig. Und scheint ganz gut ohne Parteitagsjubel auszukommen.

Die SPD will in NRW ganz viel Soziales. Alle Kitagebühren sollen entfallen, SchülerInnen sollen in NRW umsonst den Nahverkehr nutzen. Vor allem in Grundschulen sollen mehr LehrerInnen mehr Geld bekommen. 1.000 Schulen in sozial schwachen Gegenden sollen besonders gefördert werden. 2017 hat Rot-Grün die Wahl wegen der Bildungspolitik verloren. Kutschaty scheint sie jetzt auf diesem Gebiet gewinnen zu wollen.

Hinzu kommen die anderen SPD-Kernkompetenzen. 100.000 neue Wohnungen sollen gebaut werden, ein Viertel davon Sozialwohnungen. Ein Werbevideo zeigt Kutschaty mit wippendem Gang in Zeitlupe wie er MieterInnen einer alten Bergbausiedlung in Gelsenkirchen, die von einem Immobilienhai bedrohten werden, zur Hilfe kommt. Für den klimaneutralen Umbau, das wichtigste Thema im Industrieland NRW, soll ein 30 Milliarden Euro Fonds gebildet werden, vor allem mit privatem Kapital.

„Das ist der sozialdemokratische Fortschritt – für die vielen, nicht für die wenigen“, so Kutschaty. Die SPD hat wirklich ein linkes Programm. Fast 97 Prozent der Delegierten wählen den Essener zum Spitzenkandidaten und sagen Ja zum Programm.

Wie viel das alles kostet, bleibt vage. Auf dem Parteitag fällt kein Wort über die Finanzierung. Dem Wahlprogramm ist zu entnehmen, dass man die Schuldenbremse kreativ interpretieren will und die Landesbank einspannen könnte.

„Die SPD ist zurück“, sagt Kutschaty fröhlich. Dieser typische Wahlkampf-Satz hat einen Beigeschmack von Wahrheit. Denn die SPD an Rhein und Ruhr war fast verschwunden. Ein jahrelanger Machtkampf zwischen Kutschaty und Sebastian Hartmann hatte sie lange gelähmt. In Umfragen ging es Richtung 17 Prozent. Die Partei ist überaltert, der Mitgliederschwund ungebremst. Jetzt aber ist alles offen. Die SPD kann am 15. Mai gewinnen.

Kein Polizeibashing im Wahlkampf

Dann kommt der Initiativantrag der Jusos zum Terroranschlag am 19. Februar 2020. „Hanau betrifft uns alle, aber nicht alle gleich“ so der Titel. „Der rassistische Normalzustand muss endlich zu Ende gehen“ steht dort. „Rassistische Polizeigewalt“ wird an anderer Stelle in einem Atemzug mit „rechter Gewalt“ genannt.

Das will die SPD-Spitze so lieber nicht verabschieden. Pauschales Polizeibashing im Wahlkampf? 2017 gewann die CDU auch mit innerer Sicherheit die Wahl gegen Rot-Grün.

Es entspinnt sich ein einstündiger Schlagabtausch zwischen Jüngeren und Älteren, AktivistInnen und SPD-Mainstream. Jusos werfen der SPD-Spitze vor, eine weiße Mehrheitsperspektive einzunehmen anstatt das „rassistische System unserer Gesellschaft einzureißen“. Juso Sarah Mohamed erklärt bündig: „Hanau ist überall“. Ein Juso wirft Generalsekretärin Nadja Lüders Zynismus vor.

Aber das ist die Ausnahme. Die Debatte ist scharf, emotional, moralisch hoch aufgeladen, aber ohne persönliche Attacken. Manche Ältere kritisieren die „vorwurfsgeladene Stimmung“ bei den Jusos. Generalsekretärin Lüders fordert: „Wir müssen bei den Worten abrüsten“.

Der Konflikt geht tief. Manche Jusos halten die gesamte deutsche Gesellschaft für durch und durch rassistisch. Das geht nicht nur der SPD-Traditionskompanie zu weit. Am Ende steht ein dreiviertel Sieg der Jusos. Der Konnex von rechter Gewalt und „rassistischer Polizeigewalt“ wird gestrichen. Der Rest bleibt. Kutschaty lobt am Ende versöhnlich, dass es „gut war, dass wir uns für die Debatte so lange Zeit gelassen haben“.

Bei der Listenaufstellung für die Landtagswahl sind Jusos und MigrantInnen nicht ganz so erfolgreich. Auf den ersten 20 Plätzen stehen drei Jusos und zwei Politikerinnen mit Migrationsbackground. Eigentlich normal für eine Partei, die jünger und diverser werden will. Für die strukturkonservative SPD in NRW, sagt einer, sei das fast schon revolutionär.

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Am 19. Februar 2020 erschoss der Rechtsextremist Tobias R. an drei verschiedenen Tatorten in der Hanauer Innenstadt neun Menschen:

Kaloyan Velkov, ermordet mit 33 Jahren.

Fatih Saraçoğlu, ermordet mit 34 Jahren.

Sedat Gürbüz, ermordet mit 30 Jahren.

Vili Viorel Păun, ermordet mit 22 Jahren.

Gökhan Gültekin, ermordet mit 37 Jahren.

Mercedes Kierpacz, ermordet mit 35 Jahren.

Ferhat Unvar, ermordet mit 22 Jahren.

Hamza Kurtović, ermordet mit 22 Jahren.

Said Nesar Hashemi, ermordet mit 21 Jahren.

Später ermordete der Attentäter seine Mutter Gabriele R., 72 Jahre alt.

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