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Nach Häftlingsausbruch in IsraelPalästinensergebiete abgeriegelt

Die Flucht von sechs Palästinensern aus der israelischen Haft löst Unruhen aus. Vor dem Feiertag Jom Kippur erhöht Israels Polizei die Wachsamkeit.

Der Löffel ist zum Symbol für die sechs palästinensischen Gefangenen geworden Foto: Ariel Schalit/ap

Jerusalem taz | Vergangene Woche ist es sechs palästinensischen Häftlingen gelungen, aus dem israelischen Hochsicherheitsgefängnis Gilboa im Norden des Landes auf spektakuläre Weise auszubrechen. Auf beiden Seiten malten Medien die Flucht wie einen Action-Thriller im Hollywood-Stil aus – die palästinensische Seite feierte die Geflüchteten als Helden im Freiheitskampf für Palästina, der israelische Inlandsgeheimdienst begann eine dramatische Verfolgungsjagd auf israelischem Territorium und im Westjordanland.

Zu den entflohenen Häftlingen gehören Zakaria Zubeidi, der ehemalige Kommandant der militanten Al-Aqsa-Märtyrerbrigade in der palästinensischen Stadt Dschenin, sowie fünf Mitglieder der radikal-islamischen Bewegung „Islamischer Dschihad“. Vier von ihnen sitzen lebenslängliche Freiheitsstrafen für terroristische Straftaten gegen israelische Zi­vi­lis­t:in­nen ab. Vier der sechs Häftlinge wurden mittlerweile gefasst, zwei sind weiterhin auf freiem Fuß.

In der palästinensischen Bevölkerung ist Haft ein besonders sensibles Thema. Derzeit befinden sich über 4.000 Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen in Haft, etwa 200 von ihnen sind unter 18 Jahren. Seit Beginn der israelischen Besatzung als Ergebnis des Sechs-Tage-Kriegs von 1967 saßen rund eine Million Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen Gefängnisstrafen ab.

Die Flucht löste Unruhen in Gaza, Jerusalem und dem Westjordanland aus. Drei Nächte in Folge schickten militante Gruppen aus dem Gazastreifen Raketen auf israelisches Territorium. In Jerusalem und dem Westjordanland gab es Demonstrationen sowie eine Reihe von Messerstechereien und versuchte Angriffe auf israelisches Armeepersonal.

Hamas feiert die Ausbrecher

Ein 17-jähriger verletzte zwei ultraorthodoxe Männer mit einem Messer und wurde daraufhin angeschossen. Er wird derzeit schwer verwundet in einem israelischen Krankenhaus behandelt. Ein Sprecher der militanten Hamas-Bewegung lobte die Spannungen als „Solidaritätsbekundung des palästinensischen Volkes“, die durch die heldenhafte Gefängnisflucht inspiriert wurde.

Aus Angst vor weiteren Zwischenfällen hat Israel vor dem höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur, der am Mittwochabend beginnt, die Grenzübergänge in das Westjordanland und den Gazastreifen abgeriegelt, teilte das Militär mit. Nur in besonderen medizinischen und humanitären Fällen dürften Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen nach Israel einreisen.

Nach Angaben des israelischen Fernsehsenders Kan 13 sollen anlässlich der Situation zweitausend Po­li­zis­t:in­nen in Jerusalem stationiert werden, um für Sicherheit zu sorgen. „Wir bereiten uns auf eine Eskalation in Jerusalem, Judäa und Samaria und Gaza vor“, sagte der israelische Minister für öffentliche Sicherheit Omer Barlev von der Arbeitspartei dem Sender – und benutzte dabei die biblische Bezeichnung für das palästinensische Westjordanland. Für einen Minister aus linken Reihen ist diese Ausdrucksweise bezeichnend dafür, wie sehr das Westjordanland mit seinen jüdischen Siedlungen inzwischen im nationalen Kollektivbewusstsein als Teil von Israel wahrgenommen wird.

Inmitten der Spannungen zuhause reiste der israelische Premierminister Naftali Bennett am Montag in die ägyptische Stadt Scharm El-Scheich, um dort Präsident Abdel Fattah El-Sisi zu treffen. Es ist die erste Begegnung zwischen einem israelischen und ägyptischen Regierungschef seit zehn Jahren. Während der Besuch für Sisi eine Gelegenheit bot, durch Israel seine Verbindungen zur US-Regierung zu stärken, bedeutet er für Bennett eine Stärkung seiner Position in der Region. Beim jüngsten Schlagabtausch zwischen Israel und militanten Gruppen im Gazastreifen im Mai bemühte sich El-Sisi um einen Waffenstillstand zwischen den beiden Parteien.

Kurz vor Bennetts Treffen mit El-Sisi legte Israels Außenminister Jair Lapid einen neuen Entwicklungsplan für den Gazastreifen vor. Darin bietet Lapid „wirtschaftliche Vorteile im Austausch für Sicherheit“, um für „beide Seiten Stabilität zu schaffen“. Der Plan sieht die Umsetzung großflächiger Infrastrukturprojekte vor und will die Elektrizitätsversorgung sowie das Gesundheits-und Verkehrswesen im Gazastreifen verbessern.

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