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Chaotischer Wahltag in BerlinWas war da los?

Der Superwahlsonntag in Berlin war ein Debakel: fehlende Wahlzettel, Warteschlangen. Protokolle von zwei Wahl­hel­fe­rin­nen und einem Wähler.

Es war ein Kreuz mit dem Kreuzen am Wahltag: Schlange vor einem Berliner Wahllokal Foto: picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow

Berlin taz | Fehlende oder falsche Stimmzettel und stundenlange Wartezeiten hin oder her, in der Landesregierung sieht man trotz eigener Verärgerung über die Pannen bei den Wahlen samt Volksentscheid am vergangenen Sonntag derzeit keinen Grund für eine Neuauflage. „Aus dem, was dem Senat bisher bekannt ist, ergeben sich noch keine Anhaltspunkte dafür, dass so schwerwiegende Fehler da sind, dass eine Wahlwiederholung unmittelbar bevorsteht“, sagte Senatskanzleichef Christian Gaebler (SPD) am Dienstag. Er betonte mehrfach, dass nicht der Senat, sondern die ehrenamtliche Wahlleitung für die Organisation der Wahl verantwortlich sei.

In der Sitzung sprach laut Gaebler kein Senatsmitglied von einer Wahlanfechtung. Der RBB hatte berichtete, das Kultursenator Klaus Lederer (Linkspartei) auf eine Nachzählung in einem Pankower Wahlkreis für das Abgeordnetenhaus dränge. Probleme gab dem Senatskanzleichef zufolge in einer zweistelligen Zahl von Wahllokalen – konkreter mochte er trotz Nachfrage nicht werden. „Egal, ob 50 oder 90 – das heißt auch, dass es in 2.100 Wahllokalen keine Probleme gegeben hat“, sagte Gaebler, „es ist kein Grund, von einem Wahlchaos zu sprechen. Auch die Wahlbeobachter der OSZE – nach seiner Kenntnis vier – seien nicht erst am Sonntag aktuell eingeflogen worden. Dass die vor Ort waren, „sehe ich weder als einen Skandal noch als eine große Besonderheit.“

Für sämtliche Fragen zum Ablauf und warum was wann nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung war, verwies er auf die Wahlleitung. Die wird angeführt von Petra Michaelis, im Hauptberuf in leitender Stellung im Landesrechnungshof tätig. Zu einer Forderung nach ihrer Abberufung erwiderte Gaebler: Der Senat benenne zwar die Wahlleitung und könne sie auf abberufen. Das aber jetzt zu tun, würde aus seiner Sicht wie ein Eingriff des Senats wirken.

Auf eine Sache legte sich der SPD-Politiker fest: „Der Marathon war nicht das Problem.“ Und wenn, dann war dafür nicht der Senat verantwortlich: Man habe auf Bundesebene darauf gedrängt, die Wahl eine Woche früher anzusetzen, was aus Gaeblers Sicht möglich gewesen wäre, doch sei damit nicht durch gedrungen. Eine Verlegung des Laufs sei nicht möglich gewesen, weil der in einen internationalen Wettkampfkalender eingebunden ist.

Das berichten zwei Wahlhelferinnen und ein Wähler der taz:

„Bei der Zuteilung der Wahlzettel für die Zweitstimme der Abgeordnetenhauswahl ist ein schwerer Fehler passiert: Wir hatten sowohl einige korrekte Stimmzettel für unseren Friedrichshain-Kreuzberger Bezirk, wie auch einige für Charlottenburg-Wilmersdorf.

Aufgefallen ist uns das allerdings erst eine knappe halbe Stunde nach Öffnung des Wahllokals – die falschen und die richtigen Zettel lagen in der gleichen Kiste. Das heißt: Einige der ersten Wählerinnen und Wähler bekamen von uns Charlottenburg-Wilmersdorfer Stimmzettel ausgehändigt und haben auf den falschen Zetteln ihre Kreuze gemacht.

Da mit der Zweitstimme eine Partei und nicht eine Person gewählt wird, hat der Wahlvorstand abends gemeinsam beschlossen, die Stimmen auf diesen Zetteln für gültig zu erklären und entsprechend zu werten. Wahrscheinlich handelte es sich lediglich um 10 bis 15 Stimmen.

In der Schule, in der ich als Wahlhelferin eingesetzt war, waren drei Wahllokale untergebracht, alle hatten das gleiche Problem mit den Zetteln aus Charlottenburg-Wilmersdorf. Und alle hatten deutlich zu wenige Zettel für Friedrichshain-Kreuzberg. Die gültigen Wahlzettel wurden aufgeteilt, die Bezirkswahlleitung wurde sofort informiert darüber, dass wir dringend Nachschub brauchen.

Es hat aber gut zwei Stunden gedauert, bis der Kurier mit neuen, richtigen Stimmzetteln eintraf. Sein Kommentar: „Ist halt Marathon draußen. Die Straßen sind ja alle gesperrt.“ Der Kurier kam wenige Minuten, nachdem uns die blauen Zweitstimmenzettel für die Abgeordnetenhaus tatsächlich ausgegangen waren und wir das Wahllokal schon kurz geschlossen hatten. Die Schlange draußen war zu diesem Zeitpunkt an die 150 Meter lang.

Am Abend sollten wir der Wahlleitung nach der Auszählung der Bundestagswahl telefonisch die Ergebnisse aus unserem Wahllokal durchgeben. Doch die Nummer, die wir mitgeteilt bekommen hatten – alle drei Wahllokale in der Schule hatten dieselbe -, funktionierte nicht.

Die Ansage war: „Diese Nummer ist nicht vergeben.“ Erst nach eineinhalb Stunden nahm plötzlich und völlig überraschend jemand am anderen Ende ab. So lange durften wir nicht mit der Auszählung der abgebenen Stimmen für die Abgeordnetenhauswahl, für die BVV und den Volksscheid beginnen. Die Auszählung der Stimmen zog sich deswegen bis kurz nach Mitternacht. Je­de:r freiwillige Hel­fe­r:in soll 60 Euro Erfrischungsgeld erhalten.“ Eine Wahlhelferin in Kreuzberg, die anonym bleiben möchte (Protokoll: bis)

„Ich gehöre zu einer Gruppe von mehreren hundert Wähler*innen, die am Sonntag keine Erststimme für die Wahl des Abgeordnetenhauses abgeben konnten. In mehreren Wahllokalen in Prenzlauer Berg sind am Nachmittag die Wahlzettel ausgegangen und es war nicht möglich, Nachschub zu organisieren. Von den Verantwortlichen wusste niemand, was zu tun ist. Was mich besonders stört, ist die Tatsache, dass einfach weitergewählt wurde, obwohl keine Wahlscheine vorhanden waren.

Ich war ungefähr zwei Stunden im Wahllokal 717 und in dieser Zeit haben alle Menschen dort ohne Erststimme gewählt. Ich weiß überhaupt nicht, was jetzt aus meiner Erststimme gemacht wurde. Ist sie ungültig? Gelte ich als Nichtwähler? Es sollte geklärt werden, in welchem Ausmaß ohne Erststimmen gewählt wurde. Wenn sich also herausstellt, dass die fehlenden Stimmen einen Einfluss auf das Wahlergebnis gehabt haben könnten, sollte die Wahl unbedingt wiederholt werden.“ Felix H., Wähler (Protokoll: gug)

„Ich bin schon das vierte oder fünfte Mal bei einer Wahl als Wahlhelferin dabei, aber so etwas gab es noch nie. Wir haben schon etwas früher gemerkt, dass die Wahlzettel knapp wurden und haben dann auch mehrmals im Wahlamt angerufen, aber da ging niemand ran. Erst nach mehreren Anrufen konnten wir jemanden erreichen, aber bis die Wahlzettel kamen, mussten wir das Wahllokal schon für ungefähr eine Stunde schließen. Die meisten Menschen haben verständnisvoll reagiert.

Manche haben ihre Thermoskannen ausgepackt und die Zeit für ein Teekränzchen genutzt. Wir haben dann aber trotzdem die Polizei gerufen, um die verärgerten Leute zu beruhigen. Die Polizei ist dann mit Sondersignal los, um neue Stimmzettel zu besorgen. So etwas darf nicht passieren, es ist einfach schade um die Wahl.“ Susanne Schmidt, Wahlhelferin in Wilmersdorf (Protokoll: gug)

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5 Kommentare

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  • ich fand tatsächlich schon vor 3 wochen die bedingungen für eine vorortwahl in der briefwahlstelle mitte (rathaus wedding) ne zumutung - es gab ne sehr lange schlange für 3 wahlkabinen, ein teil der wählenden leute ließ ihre nase raushängen, zwei handwerker saßen ganz ohne maske neben der schlange rum - bin dann letztlich gegangen und hab alles postalisch erledigt - aber an sich hätte ich lieber vor ort gewählt - aber nicht so

  • klingt in der Tat nach Sabotage.

  • Berlinische Lässigkeit und Schnoddrigkeit, die gibt es dort fast überall. Und manchmal gibt es dann einen echten K.O. Man muss dort mal gelebt haben, um das verstehen zu können

  • Nanu! Welche Störenfriede/Demokratiegegner waren denn hier wohl am Werk????

  • Vor der Wahl hätte ich behauptet, so etwas kommt nur in den Unvereinigten Staaten und ein paar Entwicklungsländern vor.