Selbstbestimmung bei den Filmfestspielen: Die Kontrolle zurückgewinnen
Starke Frauenfiguren kommen bei den Filmfestspielen in Venedig in diesem Jahr nicht zu kurz. Darunter eine Psychiatriepatientin mit übernatürlichen Fähigkeiten.
S tarke Frauenfiguren gibt es dieses Jahr bei den Filmfestspielen von Venedig eine ganze Menge. Neben den zwei Auftritten von Penélope Cruz („Madres paralelas“ von Pedro Almodóvar und „Competencia oficial“ von Gastón Duprat und Mariano Cohn) wäre da Maggie Gyllenhaals Regiedebüt „The Lost Daughter“, in dem Olivia Colman very british kontrolliert-unkontrolliert eine von ihrer Mutterrolle traumatisierte Professorin im Griechenlandurlaub spielt.
Unter den jüngeren Schauspielerinnen fällt Anamaria Vartolomei auf. Sie ist in Audrey Diwans Literaturverfilmung „L’événement“ nach dem gleichnamigen Roman von Annie Erneaux in der Rolle der Studentin Anne zu sehen.
Anne hat eine vielversprechende Karriere als Literaturwissenschaftlerin vor sich, man schreibt das Jahr 1963, diskutiert wird über Camus und Sartre und die richtige Abendgarderobe, wenn man zu einer „Tanzveranstaltung“ geht. Vartolomei gibt Anne als lakonisch selbstbewusste Frau, die sich ihrer akademischen Fähigkeiten ebenso sicher ist wie ihrer Wirkung auf Männer.
Als eine Untersuchung beim Frauenarzt ergibt, dass sie schwanger ist, will Anne das Kind um jeden Preis loswerden. Bei Medizinern wie Kommilitonen stößt sie auf Unverständnis, zumal eine Abtreibung noch strafbar ist. Vartolomei zeichnet den Wandel von erster Verstörung bis zu Verzweiflung in ihrer Figur mit leicht veränderter Mimik nach, bis die Angelegenheit in beklemmender Weise körperlich wird.
Diwan beschränkt die Erzählung fast ausschließlich auf die Frage, welche Möglichkeiten der Selbstbestimmung eine ungewollt Schwangere in den sechziger Jahren hatte. Und sie spitzt ihr Anliegen in ideologisch platter Form zu, sodass die Botschaft am Ende das Medium bestimmt. Anamaria Vartolomei tut innerhalb dieser Grenzen, was sie kann.
Schwanger im Kloster
Eine ebenfalls unfreiwillig schwangere junge Frau spielt Ioana Bugarin in der Reihe Orizzonti im rumänischen Film „Miracol“ (Wunder) von Bogdan George Apetri. Die Novizin Cristina fährt eines Morgens heimlich von ihrem Kloster in die Stadt, weil sie „Kopfschmerzen“ hat.
Nach dem Besuch der gynäkologischen Abteilung einer Klinik fragt sie bei der Polizei nach einem bestimmten Kommissar. Der ist jedoch nicht auf der Wache. Stets lässt Bugarin diese Cristina dabei in kontrollierter Verschlossenheit handeln. Als sie unverrichteter Dinge im Taxi zum Kloster zurückfahrt, wird sie unterwegs vom Fahrer bei einer Pause vergewaltigt und schwer verletzt.
Im zweiten Teil des Films ermittelt der Kommissar Marius Preda (Emanuel Pârvu) im Fall von Cristina, die im Krankenhaus mit dem Leben ringt. Apetri erklärt wenig, gibt aber in seiner sparsamen Regie zu verstehen, dass Cristina und Marius sich kennen.
Später wird ein und dieselbe entscheidende Szene in zwei Wendungen wiederholt. Offen bleibt, ob es sich um zwei verschiedene Enden handelt oder um einen Tagtraum und die anschließenden „echten“ Ereignisse.
Mit Magie aus der Klinik entkommen
Eine stark konzipierte Frauenrolle ist ebenfalls die Titelfigur im US-amerikanischen Wettbewerbsbeitrag „Mona Lisa and the Blood Moon“ von Ana Lily Amirpour. Diese Mona Lisa Lee, eine Psychiatriepatientin koreanischer Abstammung, befreit sich zu Beginn des Films dank übernatürlicher Fähigkeiten, mit denen sie die Handlungen anderer Menschen kontrolliert, aus der Klinik.
Jeon Jong-seo lässt diese „Wonder Woman“ danach wie einen Alien durch New Orleans irren, wo sie auf einen hilfsbereiten Techno-DJ, eine geschäftstüchtige Stripperin (Kate Hudson) und deren Heavy-Metal-begeisterten Sohn trifft. Einer der humorvolleren Filme dieses Jahrgangs, auch was den spielerischen Umgang mit Außenseiterrollen angeht.
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