piwik no script img

Bidens Rede nach dem Afghanistan-AbzugDer Abschied

Bernd Pickert
Kommentar von Bernd Pickert

Der US-Präsident sagt Militäreinsätzen zur Umgestaltung anderer Länder ab. Für die USA heißt das, mit anderen Mitteln im Rest der Welt mitzuspielen.

Immer mehr Fokus – auf die wirtschaftlichen Interessen Foto: Carlos Barria/reuters

E s war im Wesentlichen bekannt, was US-Präsident Joe Biden am Abend des vollendeten US-Abzugs aus Afghanistan zu sagen hatte. Nur ein Satz ragte in seiner Kategorik heraus: „Es geht darum, eine Ära großer Militäroperationen zur Umgestaltung anderer Länder zu beenden.“

Der Satz geht in den USA im aktuellen Streit über die Schuld am verkorksten Abzug unter. Niemand widerspricht. Dabei ist es nun beileibe nicht so, dass Biden hier lediglich eine Binsenweisheit wiederholt hätte. Wenn das tatsächlich der neue Konsens der US-Außenpolitik wäre, dann bedeutete das wirklich das Ende einer Ära, und zwar einer überparteilichen.

Die neokonservativen und die humanitärinterventionistischen Falken hätten beide ausgedient. Die Drohungen mit „regime change“ durch Militäreinsatz, die seit so vielen Jahren zumindest rhetorisch zum außenpolitischen Instrumentarium Washingtons gehören, wären Vergangenheit. Das hieße auch: Die USA müssten ihre Stärke als Global Player wieder aus anderen Faktoren ziehen als aus ihrer Feuerkraft.

Biden hat sich selbst schon während des Wahlkampfes gelegentlich als „Übergangspräsidenten“ bezeichnet. Allmählich wird klar, dass er damit nicht – oder nicht nur – meinte, aufgrund seines Alters einen Übergang auf seine Vizepräsidentin Kamala Harris vorzubereiten. Er sieht sich offenbar tatsächlich als denjenigen, der erst einmal korrigiert, was vor ihm verbockt wurde, um Spielraum für Neuausrichtungen zu schaffen.

Plötzlich klingt Biden wie Donald Trump

Dabei bleiben seine eigenen Ideen und wie sie aussehen könnten, mitunter ausgesprochen vage, zerrieben zwischen verschiedenen Flügeln der Demokratischen Partei und einem Dauerbeschuss aus dem republikanischen Lager, das gern im nächsten Jahr die Kontrolle über den Kongress zurückgewinnen will. In der Außenpolitik dürften zuallererst die Verbündeten staunen.

Plötzlich klingt Biden wie Donald Trump, wenn er darauf besteht, zukünftig ausschließlich US-Sicherheitsinteressen im Auge zu behalten. Das hatten sich die Nato-Partner anders vorgestellt, als Biden noch vor wenigen Monaten „We are back“ konstatierte, wir sind zurück. Allerdings: Die Definition dessen, was das nationale Sicherheitsinteresse der USA sei, unterscheidet Biden und Trump fundamental. Am deutlichsten wird das beim Umgang mit der Klimakrise.

Wenn Bidens Satz bedeuten sollte, dass die USA sich von dem alten Streben der Umgestaltung der Welt nach eigenem Vorbild verabschieden, würde das tatsächlich Ressourcen freisetzen, die sinnvoll eingesetzt werden könnten. Nur: Die USA bleiben eine Supermacht mit weltweiten, vor allem wirtschaftlichen Interessen.

Ob es wirklich besser wird, wenn sie nur noch diese Interessen militärisch durchsetzen und sich einen feuchten Schmutz darum scheren, was sonst in den Ländern geschieht, ist zu bezweifeln. Und davon, das Militär nicht mehr einzusetzen, hat Biden nicht gesprochen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Bernd Pickert
Auslandsredakteur
Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Regime Sturz kommt ja stets durch den Volksaufstand im Innern und nicht von außen. Aber es gibt im 20. und 21. Jh. viele Fälle, in der die Repression des Regimes stärker ist: Massenmord. Da ist es unterlassene Hilfeleistung, diese Kämpfe im Stich zu lassen.



    Die weiteren Schritte sind bekannt: Übergangsregierung und Neuwahlen.



    Die Taliban sind eine Terrorsekte mit Ideologie aus Pakistan.

  • Wenn Joe Biden seine Rechnung da mal nicht ohne die Compliance des militärisch-informationellen Komplexes gemacht hat, der seine Interessen durchzusetzen versteht. Allein die Dienste zur Beschaffung von Informationen haben für unsere Vorstellungen gigantische Möglichkeiten. Die neuen Waffensysteme für Einsätze weltweit sind nicht nur bereits entwickelt, sondern bestellt. Die Planungen sind wohl über mehrere Amtszeiten zu verstehen. Abschreckung zählte bislang nach der Doktrin der NATO nur als wirksam, wenn eine konsequente Drohung zu Sanktionen und Interventionen dahinter stand. Das wird sich vorerst wohl nicht ändern. Es geht am Ende auch um die Umverteilung von Lasten und Engagement, ein Fokus der USA liegt dabei natürlich auf einem neuen Image. Eine Stärkung der UN-Organisationen wäre da sehr hilfreich, zur Beibehaltung der humanitärinterventionistischen Optionen im nicht auszuschließenden Bedarfsfalle allemal.

  • Was war denn die Invasion in Afghanistan, wenn nicht die „Verteidigung nationaler Sicherheitsinteressen“? Da war mal was im Herbst 2001… In den letzten 20 Jahren hat sich zwar die Begründung der Besatzung nachträglich geändert, aber das ändert ja nix daran, dass es als „Verteidigung“ begann.

    Den Feldzug im Irak darf man getrost auch in die selbe Schublade legen.

    Die letzte „große“ Intervention, die auch von vorne herein (propagandistisch) der Verteidigung der „Werte“ dienen sollte war wohl in Vietnam…

    Sicher, da war noch mehr, aber damit die USA sich an einen auch nur mäßig starken Gegner trauen sind mittlerweile mindestens einstürzende Wolkenkratzer in New York nötig. Die große Ära der „waghalsigen“ US-Militärinterventionen aus „humanitären Gründen“ ist schon lange vorbei.

    Viel interessanter als Bidens Geschwätz, das er oder seine Nachfolger jederzeit revidieren können, wäre, ob sich das alles auch in der offiziellen Militärdoktrin niederschlägt. Derzeit halten die USA Truppen vor um zwei größere Kriege, egal wo auf der Welt, gleichzeitig beginnen und gewinnen zu können und das ohne die Verteidigung des eigenen Territoriums zu gefährden. Erst wenn die USA auf diese Fähigkeiten tatsächlich verzichten ist die „Drohkulisse“ abgebaut.

    Man wird das Weißbuch des Pentagons nur mäßig genau im Auge behalten müssen, um zu sehen ob Biden nur schwafelt, oder ob sich die Supermacht tatsächlich selbst entwaffnet.