Festival „21 Sunsets“ im HKW: Dämmerung in Trance
Neoklassik, Sommerjazz und ein literarischer Streifzug über die Kanstraße: Das Festival „21 Sunsets“ auf dem Dach des HKW neigt sich dem Ende zu.
Der Online-Regenradar machte den vierzehnten der insgesamt „21 Sunsets“ am vergangenen Freitag zu einer Zitterpartie. Schließlich droht bei heftigem Regen grundsätzlich die Absage von den Konzerten, (eher obskuren) Filmen und Lesungen auf der Dachterrasse des Hauses der Kulturen der Welt. Und auf dem Radar hängen fiese Regenwolken herum.
Doch um 17 Uhr dann die frohe Botschaft: Konzert und Film sollen stattfinden. Es schüttet dann allerdings ordentlich, als ich losfahre. Bei Ankunft tröpfelt es nur noch, aber Jeff Özdemir ist leider auch schon halb durch mit seinem Set. Na ja, um 22 Uhr ist draußen eben Feierabend. Da muss man wohl pünktlich anfangen – egal was vom Himmel kommt.
Trotz meines Fehlstarts erschließt sich nach ein paar Takten: Dieser Abend wird auch die Nachzügler glücklich machen. Dafür braucht Jeff Özdemir nur ein paar Minuten. Der gut vernetzte Musiker und Plattenhändler aus dem Wrangelkiez – mit bürgerlichem Namen heißt er Adem Mahmutoğlu – ist ein sympathischer Enthusiast, der selbst mindestens so viel Freude daran zu haben scheint, sich entrückt zu den Klängen zu wiegen, die seine Band – bestehend aus Romy Pope, Querflöte, Denis Sushchenko am Schlagzeug und der Keyboarderin Anne von Keller – in die Luft schickt, wie das Publikum.
Mit Musikerfreunden nahm er in den vergangenen sechs Jahren drei Alben auf, die so eklektisch klingen, dass sie fast wie ein Mixtape wirken. Erst im Juni erschien „Jeff Özdemir & Friends, Vol. 3“. Heute Abend allerdings, erklärt er zum Ende des Konzerts, ist er mit Jeff Özdemirs Heart Repair unterwegs, mit Musiker*innen also, die in dieser Konstellation noch auf keinem Tonträger verewigt sind.
21 Sunsets, Open Air auf dem Dach des HKW, bis 15. 8.
Doch die Band hat zusammengefunden und bringt einen sommerlich flirrenden, jazzigen Vibe auf die nach dem Starkregen doch arg abgekühlte Terrasse. Die charmante Sängerin Tigerlily lieferte dazu ein leicht chansoneskes i-Tüpfelchen.
Musik zum Versinken
Im Anschluss feiert die Pianistin und Komponistin Meredi, unterstützt von drei Streichern, beim zweiten Konzert des Abends die Veröffentlichung ihres zweites Albums, „Trance“. Das, so erklärt sie, handelt davon, mit seiner Umgebung zu verschmelzen. Das scheint auch ihrem Publikum mit ihrer Musik zu gelingen, auch wenn der Abend dramaturgisch in umgekehrter Reihenfolge vielleicht besser funktioniert hätte.
Nach Jeff Özdemir fühlt sich diese meditative Neoklassik fast etwas antiklimaktisch an, obwohl man das schwebend-schwelgerische Album durchaus gern noch mal hören würde – aber eben eher unter Kopfhörern, bei einem Spaziergang.
Am Samstag gehört die Primetime im HKW mal nicht der Musik, sondern einer der interessantesten Berliner Straßen, der Charlottenburger Kantstraße nämlich. Musikalisch angereichert wird aber auch dieser aufwendig produzierte Audio-Spaziergang; neben Vorgelesenem und Mitschnitten spielt etwa eine Violinistin. Zu hören sind Interviews mit Anwohnern und Menschen, die hier arbeiten: etwa mit der Bibliothekarin der Jüdischen Gemeindebibliothek oder dem iranischen Schriftsteller Abbas Maroufi, dem Inhaber der dort ansässigen persischen Buchhandlung Hedayat.
Bei der vom Flaneur Magazine ausgerichteten Listening Session überlagern sich Stimmen aus Vergangenheit und Gegenwart: etwa wenn Maroufi beschreibt, was ihm durch den Kopf geht, wenn er vor seinem Laden sitzt und Menschen vorbeiströmen. Nur wenige Häuser entfernt von seinem Laden, hinter der Kantstraße 79, so lernt man bei dem Audio-Spaziergang, verbarg sich einst das Frauengefängnis der Gestapo.
Asiatische Community ausgespart
Die Verdichtung durch Raum und Zeit wirkt nach, als wir nach der Lesung noch für eine asiatische Nudelsuppe zur Kantstraße radeln – auf die die bloße Erwähnung der Straße der Autorin verlässlich Lust macht. Überhaupt kam die in dem Kiez sehr präsente asiatische Community bei der Lesung ein bisschen kurz. So oder so: Bis zu einem ausführlichen Spaziergang in der Gegend wird es nach diesem Teaser nicht mehr lang dauern.
Am nächsten Abend präsentiert sich dann ein völlig anderes Szenario auf der Dachterrasse: die siebenköpfige brasilianische Band Roda de Feijoada – die vor der Pandemie Partys im Festsaal Kreuzberg feierte – interpretiert bekannte Samba- und Chorinho-Stücke und schafft damit ziemlich entrückte Gesichter bei einem erstaunlich heterogenen Publikum.
Bleibt zu hoffen, dass die „Sunsets“-Reihe, diese Bereicherung des Berliner Sommers, in irgendeiner Form bestehen bleibt, wenn Reisen wieder geht und damit auch das Wassermusik-Festival wieder stattfinden kann – was selbstredend in den letzten beiden Jahren durchaus vermisst wurde.
Doch die verspielte Vielfalt, mit der die aus der Not geborene, eher lokal ausgerichtete „Sunsets“-Reihe aufs HKW-Dach geladen wurde, erwies sich als Gewinn – nicht nur dank unerwarteter Synergieeffekte des Genregrenzen sprengenden Bookings. Nun steht in diesem Jahr leider nur noch ein Wochenende bevor – das allerdings fängt schon an diesem Mittwoch an. Ein Blick ins Programm lohnt sich.
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