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Über ein wenig umgängliches GefühlAngst ist so lästig

Wie es ist, sich hormonell vollgepumpt vor'm Klima und dem Wahlkampf zu fürchten? Was, wenn sich ein Vielficker in der U-Bahn prügelt? Ein Erfahrungsbericht.

Angst und Bange: Albtraum Klimawandel Foto: Lisa5201/getty

I ch gebe es wirklich nicht gerne zu, aber: In dieser Woche herrscht in meinem Hirn ziemliche Leere. Kein schlauer Gedanke, nur Verzweiflung. Das Klima: im Arsch, nicht zu retten. Zwei Grad Erwärmung sind eigentlich schon das Mildeste, auf das wir hoffen dürfen. Dann sind es zur Abwechslung mal wieder Islamofaschisten, die Frauen, Männer und Kinder in Angst, Elend und Tod stürzen, beziehungsweis Islamofaschist:innen, Sprache ändert schließlich unser Bewusstsein, wie uns auch dieser trübselige Wahlkampf nicht vergessen lässt.

An den mag ich sonst gar nicht denken. Wen soll ich bitte wählen? Keinem der drei Kandidaten (sorry, Baerbock, fühlen Sie sich bitte mitgemeint, solange Sie nichts für die Frauen in Afghanistan tun, brauchen Sie deswegen nicht rumheulen) traue ich bei der Abschwächung des Klimawandels oder im außenpolitischen Kampf für Menschenrechte viel zu. Und innenpolitisch? Ja mei, seien wir ehrlich, wie viel wird sich da nach der Wahl schon ändern? Bisschen mehr oder weniger soziale Gerechtigkeit, bisschen mehr oder weniger Verfolgung und Aufarbeitung rechtsextremer Straftaten, bisschen mehr oder weniger Tropfen ins überhitzte globale Klima.

Bin ich abgestumpft? Nee, ich habe eine Scheißangst. Nicht nur vor dem, was klimatisch ansteht, auch vor der Angst an sich. Denn ich sehe ja an meinem – zugegeben hormonell frisch aufgepumpten – Mutterhirn, dass Angst nicht gerade ein umgängliches Gefühl ist. Ich kenne es noch aus meiner Schulzeit, als ich die Angst – damals waren es Atomtod, Rinderwahn, Balkankrieg und ganz normale Autofahrten – zu meiner zentralen Lebensaufgabe machte. Also einer hübschen Zwangsstörung, die ich durch die richtige Anzahl von Licht an- und ausknipsen, Türen auf- und zumachen und einer sehr, sehr weirden, pustenden Ausatmetechnik versuchte in Schach zu halten vermochte.

Wer weiß, vielleicht haben Sie es meinen schlaflosen Nächten zu verdanken, dass kein zweites Tschernobyl passiert ist! Damals fühlte es sich jedenfalls so an, als läge das Wohl der Welt in meinen Händen. Das meiner Familie sowieso; warum die trotzdem Auto fuhren – trotz meiner eindringlichen Warnungen –, war mir unverständlich.

Man muss sich rauswagen

Neben dieser schweren Verantwortung war irgendwann nach der Grundschule – die nahm ich noch locker nebenbei mit – nicht mehr so viel Kraft und Luft in meinem Kopf für Binär-, Oktal- oder Hexadezimalsystem oder lateinische Verben. Schade, sonst wäre ich vielleicht doch Psychotherapeutin statt Journalistin geworden. Dass das schlau gewesen wäre, sehe ich jetzt, wo ich Mutter bin.

Während ich überall Bilder von den Wänden stürzen, den Kopf meiner Tochter zwischen den Bettchenstäben eingeklemmt und Viren springen sehe, sind die Therapeuten, die ich kenne, mit ihren Kindern wahnsinnig tiefenentspannt. Die nehmen ihre Babys auf dem Fahrrad mit, machen keine Ideologie aus Muttermilch und sind überhaupt so cool, wie ich mich selbst als Mutter immer gesehen habe – bevor ich es wurde.

Es kann also nicht stimmen, was ich die ganze 9. Klasse zusammen mit Janis Joplin sang: Freedom is just another word for nothing left to lose. Mal abgesehen von der Frage, ob das wirklich erstrebenswert sein kann. Freiheit, auch die von lähmender Angst, muss möglich sein, auch wenn man alles zu verlieren hat. Sonst ist es keine Freiheit, sondern ordinärer Selbstschutz. Man muss sich rauswagen, reinstürzen in all die Beziehungen die man bekommt, gerade weil sie zerbrechlich sind. Sonst hat man nicht gelebt.

Daran musste ich kurz denken, als ich neulich seit Längerem mal wieder Zeuge einer Schlägerei in der S-Bahn wurde. Das heißt, erst war es nur eine Schreierei zwischen einem Pärchen und einer Gruppe junger Mädchen. Beim Aussteigen aber schlug die Pärchenfrau einem der Mädchen auf dem Kopf. Im darauf folgenden Gerangel trat der Mann – der die Mädchen kurz vorher noch lautstark daran erinnert hatte, dass man sich „hier in Deutschland benimmt“ – nochmal zu.

Bis dahin hatte ich nicht verstanden, worum es überhaupt ging. Das wurde mir erst klar, als er sich nochmal umdrehte und brüllte: „Und ich habe viele Frauen gefickt!“. Also wieder mal einer, der sich in dieser – zwar quälend zögerlich und nur auf bestimmte Regionen beschränkt – vielleicht doch langsam etwas gerechter werdenden Welt aus Angst um seine Männlichkeit in die Hosen macht. Und das hinter Gewalt versteckt. Bevor ich meine Tochter und mich aus der Trittlinie gebracht hatte und die Polizei rufen konnte, war er verschwunden.

Vielleicht müssten ich und viele andere weniger Angst haben, wenn Typen wie der Vielficker (und all die Trumps und Taliban) über ihre Entmannungsängste redeten. Wenn Schisshaben für niemanden mehr eine Schande wäre. Meine Tochter kann das schon ganz gut. Angst vor peinlichen Situationen sind ihr fremd. Sie macht sich lautstark in die Hosen und lacht noch lauter dabei.

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Ariane Lemme
Redakteurin
schreibt vor allem zu den Themen Nahost, Antisemitismus, Gesellschaft und Soziales
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