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„Projektionsbericht“ der BundesregierungUnsere Klimapolitik tut weh

Deutschland wird auch mit den bis August beschlossenen Maßnahmen seine selbst gesteckten hohen Klimaziele nicht erreichen.

Klimaschützer stehen mit Bannern vor der CDU-Zentrale, die sie mit Kunstblut bespritzt haben Foto: dpa

Berlin taz | Klimapolitik in Deutschland (und eigentlich überall) zu machen hat ja etwas Masochistisches an sich: Es gibt sehr viel Schmerzen und Niederlagen zu ertragen und wem das keinen Spaß macht, dem geht es schlecht. Das zeigt einmal mehr der aktuelle „Projektionsbericht“ der Bundesregierung zur Klimapolitik, der nun als Entwurf veröffentlicht worden ist. Diesen Bericht schicken die EU-Länder regelmäßig nach Brüssel, um darüber zu informieren, wie es die nächsten 20 Jahre bei ihnen mit dem Klimaschutz weitergeht.

Und der aktuelle Bericht, vom Umweltbundesamt beauftragt und von unabhängigen WissenschaftlerInnen zusammengestellt, zeigt: Deutschland wird auch mit den Maßnahmen, die bis August 2020 verkündet worden sind, seine selbst gesteckten hohen Klimaziele nicht erreichen. Dabei sind da schon das Klimapaket von 2019 und die grünen Coronahilfen aus dem letzten Jahr enthalten.

Bis 2030 werden demnach die CO2-Emissionen nicht um 65 Prozent gegenüber 1990 zurückgehen, wie offiziell geplant, sondern nur um 49 bis 51 Prozent, je nachdem, wie teuer die Zertifikate im EU-Emissionshandel werden. Für 2035 stehen minus 77 Prozent im Klimaschutzgesetz, aber wir sind laut Bericht auf einem Kurs zu höchstens 60 Prozent. Und für 2040, fünf Jahre bevor wir bei netto null sein müssen, stehen da nicht minus 88 wie im Gesetz, sondern nur 67 Prozent.

Regierung leugnet Probleme

Auch bei den anderen Kennziffern sind wir nicht auf Kurs, melden wir an die EU: 2030 fehlen 10 Gigawatt an Leistung bei Windanlagen an Land, 5 GW auf See und immerhin 50 GW – fast so viel wie Sonnenstrom-Kapazität heute insgesamt in Deutschland steht – an installierter Solarstromleistung. Auch sonst tut es ziemlich weh, diese Zukunftsbeschreibung zu lesen: Statt der 2030 nötigen 14 Millionen Elektroautos sieht der Projektionsbericht nur gut 8 Millionen. Und statt der 6 Millionen Wärmepumpen in deutschen Kellern, die 2030 unsere Häuser ökologisch heizen sollen, stehen die Signale für die Experten bisher nur auf 880.000 dieser Anlagen.

Wenn der Schmerz zu groß wird, kann man das Problem leugnen: Am Ende der Zusammenfassung steht im Projektionsbericht: „Die Bundesregierung macht sich die Ergebnisse der vorgelegten Szenarien für die Entwicklung der Treibhausgasemissionen in Deutschland nicht zu eigen.“

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3 Kommentare

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  • Ich möchte (noch einmal) an einen Satz erinnern, der vor fast 50 Jahren einen Moment lang tatsächlich darauf hindeutete, dass die Spezies Mensch mit Intelligenz ausgestattet ist und auf eine akute Bedrohung, mit heute nicht mehr vorstellbarer Rationalität und Einsicht, reagieren konnte. Dieser Satz wurde von der Regierung, den Gewerkschaften, der Industrie, von Kirchenkanzeln verbreitet und gepredigt und sogar von der "Blöd" Zeitung . Er lautete:



    "Energie sparen ist unsere effizienteste, ressourcenschonendste und umweltfreundlichste Energiequelle."



    Leider war es nur ein kurzes intellektuelles Strohfeuer, dass Tempolimits 80 und 100 ebenso möglich machte, wie Sonntagsfahrverbote und, für viele Branchen, die Drei-Tage Woche. Was während der Ölpreiskrise 1973 zur Sicherstellung der Energieversorgung möglich war, ist angesichts des Klimawandels ein No go!



    Schade eigentlich, dass der technologische Fortschritt und gewachsener Wohlstand nur zu einer nachhaltigen kollektiven Demenz geführt hat. Eine Therapie ist nicht in Sicht.



    PS: Etwa zeitgleich wurde propagiert, dass, für uns als rohstoffarmes Land, "Bildung unsere wichtigste Ressource" sei. War jedenfalls nicht falsch, was die Ressourcen das Landes betraf. Wir müssen heute auch nicht mehr über Bildung reden. Außer vielleicht, um den Zweck von Bildung (im Neoliberalismus), die "Aufwertung des Humankapitals", weiter zu beschleunigen, wie es ein Berater von Toni Blair nannte. Aber das war in England und Ende der 90er Jahre. Also lange vor Corona!

  • > "Klimapolitik in Deutschland (und eigentlich überall) zu machen hat ja etwas Masochistisches an sich: Es gibt sehr viel Schmerzen und Niederlagen zu ertragen und wem das keinen Spaß macht, dem geht es schlecht."

    Das Problem hier nicht nur bei grossen Teilen der deutschen Gesellschaft sondern auch bei den Grünen und der taz ist, dass sie immer noch in wichtigen Teilen die Realität krampfhaft leugnen. Es gilt immer noch das Prinzip, "wasch mir den Pelz aber mach mich nicht nass", unklare Prioritäten, zuviel Angst vor Veränderung (die doch eigentlich was Gutes ist), und so weiter.

    Auf diese Weise kann man ebendiese Realität aber nicht bewältigen, und *das* schafft Frust und Depression. Es führt auch zu Verdrängung, Schuldgefühlen und diesem ganzen Mist. Es ist ein mentaler Käfig.

    Eigentlich drollig, da wir doch eine intelligente Art sind und aller Erfahrung nach durchaus in der Lage, Probleme kollektiv und intelligent zu lösen, wenn wir nur wollen.

    Viel besser ist es, sich mal im Original anzuhören, zum Beispiel auf YouTube, was z.B. die Vertreter von Fridays For Future selber sagen. Was die Techniker und Ingenieure und Ökonomen sagen, die sich schon lange Gedanken machen um Lösungen.

    Die alle sind nicht nur ehrlicher und realistischer, sondern überraschenderweise auch optimistischer, denn sie wissen, dass das wesentliche Problem ein politisches ist, keines der Technik oder Machbarkeit, und daher lösbar sobald dies genug Rückhalt findet. Es ist ein Optimismus, der aus Aufrichtigkeit und sozialer Kreativität kommt. In gewisser Weise sind sie mental freier und der Zukunft zugwand, sie haben die Haltung, nicht ein Teil des Problems sein zu wollen, sondern Teil der Lösung. Die oft sehr jungen KlimaaktivistInnen sind sozial und politisch heute um vieles innovativer und freier als die Grünen, und sie werden darin ganz gewaltig unterschätzt.

    Wer also von der Lage gefrustet ist, sollte mal mit ihnen reden und lesen und hören, was sie sagen.

  • Vielleicht könnte einfach mal jemand ausrechnen, was wir wirklich tun müssen. So was wie einen Plan machen.

    So einen Plan wird eine CxU oder SPD Regierung sowieso nicht umsetzen, aber irgendwann knallt es womöglich dann mal so, dass die Bevölkerung meint, es sei genug und endlich Zeit, dass was geschieht. Ein Hurrican, der quer durch Hamburg zieht oder so, oder 1500 Liter Starkregen in Frankfurt/Main. Und bei der Geschwindigkeit, mit der Wettermuster zerfallen und sich destabilisieren, kann das früher passieren als man denkt.

    Dann wird es gut sein, einen Plan zu haben.