Die Wahrheit: Die Mauer in der Pampa
Vor genau 60 Jahren wurde in Berlin ein Betonbauwerk errichtet. Zunächst gab es die Absicht, es woanders zu bauen.
Der 60. Jahrestag des Mauerbaus am 13. August wird, so ist zu erwarten, ein Tag des tumben Jubels und der geschichtsblinden Fröhlichkeit. Überall wird es Feuerwerk geben, die Randfichten und Boney M. spielen zum Bumms, vor dem Reichstag lässt sich möglicherweise sogar Alt-Rocker Pink Floyd mit seinem Kurorchester sehen, um das mit „Die Wand“ ausreichend präzise übersetzte Schwulst-Werk aus den musikgeschichtlich zu Recht unter dem Mantel des Schweigens endgelagerten Spätsiebzigern aufzuführen. Dazu gibt’s Freibier der Marke „Silberpils“, einer legendären Nahtoderfahrung aus Sachsen, amtliche Reden aus der Themengruppe „Mauern sind Brücken“, Clowns, Luftballons, Luftgewehrschießen.
Bei allem Trubel wird gern vergessen, dass es Zeiten gab, in denen die Meinungen über die Mauer durchaus auseinandergingen. Vor allem in der jüngeren Generation gilt die Mauer heute bekanntlich als eines der, wenn nicht als das Nationalbauwerk der Deutschen – berühmt und bestaunt, mit nur einem Makel: Es steht nicht mehr.
Ingenieurtechnisch ist eine Mauer möglicherweise nicht die Krone der Baukunst – ein paar Steine oder Platten aufrichten und dafür Sorge tragen, dass sie bei Wind nicht gleich wieder umfallen, das kann jeder Maurer-Azubi am Ende der dritten Ausbildungswoche –, aber diese Mauer war eben mehr als ein Bauwerk. Sie war Symbol, Monument und Verkehrsberuhigung in einem. Sie sorgte dafür, dass der Westberlin-Bewohner zuverlässig wusste, wo sein Gehege endete und dass Raumfahrer beim Blick aus dem Weltall sogleich erkannten: „Das da unten müsste Berlin sein, weil China ist doch größer, oder?“
Suche nach Standort
Wer die damaligen Diskussionen verstehen möchte, muss einen Blick auf die Vorgeschichte werfen. Bereits in den späten fünfziger Jahren kam der Wunsch nach einer Mauer auf, und man begann mit der Suche nach einem geeigneten Standort. Im Gespräch waren neben Berlin auch verschiedene Orte im brandenburgischen Umland. Mehrere Machbarkeitsstudien kamen letztlich unabhängig voneinander zu dem Ergebnis, dass Berlin von allen in Frage kommenden Alternativen die am wenigsten geeignete sei.
Die Gründe wirken aus heutiger Sicht einigermaßen putzig: So hieß es beispielsweise, eine Mauer würde das Berliner Stadtbild unnötig aufwerten. Oder: Die Berliner könnten auf dem Heimweg von der Kneipe dagegenlaufen und sich „am Kopp“ stoßen, was der ohnehin schon unterdurchschnittlichen Intelligenz der Wohnbevölkerung nicht dienlich wäre. Auch befürchtete man Rivalitäten unter den Berlinern („Wieso kriegt meine Schwägerin, die blöde Kuh aus Friedrichshain, ’ne Mauer inne Stube und icke nich?“).
Die Findungskommission votierte letztlich für Sperenberg, etwa 40 Kilometer südlich der Stadtgrenze. Da sei schön viel Platz, es gebe dort auch einige Meter einer alten Mauer, möglicherweise einem ehemaligen Stallgebäude zugehörig, an die man anbauen könne, außerdem ließe sich über ein täglich verkehrendes Ochsenfuhrwerk eine gute Anbindung an das Berliner Stadtzentrum herstellen.
Sturm gegen Mauer
Die Berliner Politik erfasste wie üblich die Tragweite dieses Vorschlags nicht sofort, aber dann lief sie parteiübergreifend Sturm dagegen. Die Mauer gehöre nach Berlin! Man könne es, so hieß es, den Berlinern auf der jeweils anderen Seite der Mauer nicht zumuten, jedes Mal erst nach Sperenberg zu fahren, wenn sie mal von ihren Brüdern und Schwestern getrennt sein wollten.
In dieselbe Kerbe schlugen die Berliner Taxifahrer: „Ick fahr doch mit den Dödel-Touris nur wejen die Mauer nich jedes Mal runter inne Pampa!“, herzschnauzten sie, wie es nun einmal ihre Art ist. Von Willy Brandt, dem damals Regierenden Bürgermeister von West-Berlin, ist die Aussage überliefert, er könne dem Kennedy nicht vermitteln, dass er seinen schönen Satz „Ick bin ain Börliner!“ nicht aufsagen könne, weil es nun „Spörenbörger“ heiße. Und sein Ost-Berliner Amtskollege Friedrich Ebert jun. ergänzte: „Die Mauer muss eine Mauer aller Werktätigen sein!“ Auf Nachfrage eines italienischen Journalisten fügte er hinzu, sie dürfe auch nicht erst irgendwann errichtet werden. Sondern sofort, unverzüglich.
So kam es, wie es kommen musste. Nach einem internationalen Architektenwettbewerb, der ausnahmsweise mal nicht von einem der drei berühmten Betonformkünstler Norman Foster, David Chipperfield und Meinhard v. Gerkan gewonnen wurde, sondern von einem bis dahin unterschätzten Jungarchitekten aus dem Saarland, kam die Mauer nach Berlin. Nach kurzer Bauzeit wurde sie am 13. August 1961 der Öffentlichkeit übergeben – und zwar vollständig, mit funktionierender Brandschutzanlage und vor allem: Keinen Tag später als geplant. Das hat seither bei keinem größeren Berliner Bauwerk mehr geklappt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sturz des Assad-Regimes
Freut euch über Syrien!
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Krieg in Nahost
Israels Dilemma nach Assads Sturz
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Missbrauch in der Antifa
„Wie alt warst du, als er dich angefasst hat?“
Weihnachten und Einsamkeit
Die neue Volkskrankheit