Milliarden für den Strukturwandel: Die Wüste lebt
Die Lausitz verkörpert alles, was wir eigentlich nicht mögen. Arbeit von gestern, Kohle, geschundene Landschaft. Zeit für eine Liebeserklärung.
Über Lieberose etwa schrieb der erste Lausitzhasser: „Jetzt führe ich Sie, mein Freund, in den unkultivirtesten, sandigsten und unangenehmsten Kreiß der Niederlausitz, und ich rathe Ihnen, sich ja nicht weit von der Stadt zu entfernen und Excursionen aufs Land zu machen, wenn Sie es nicht bei jedem Schritt fühlen wollen, daß Sie in der Gegend sind, die Ihnen so oft als die Wendische Tartarei vorgestellet wurdet.“
Die Fotos zu unserem Schwerpunkt stammen vom Fotografen Lorenz Kienzle, Jahrgang 1967, der seit 1992 immer wieder in der Lausitz fotografiert. Kienzle arbeitete nach der Ausbildung in Rom und Berlin für den Museumsverband Brandenburg und für den US-amerikanischen Bildhauer Richard Serra, bevor er 2013 die Agentur für Museumsfotografie kienzle|oberhammer GbR gründete. Neben Projekten über das Werk der Schriftsteller Theodor Fontane und Alfred Döblin, arbeitet Kienzle inzwischen seit 2018 auch kuratorisch mit fotografischen Nachlässen.
Aktuelle Ausstellung Bilder von Lorenz Kienzle sind in „Brandenburger Industrielandschaften 1992–2021“, einem Ausstellungs- und Buchprojekt im Rahmen des Themenjahres Kulturland Brandenburg 2021 „Zukunft der Vergangenheit – Industriekultur in Bewegung“ in der Museumsfabrik Pritzwalk bis 2. Januar zu sehen. Zur Ausstellung erscheint im Oktober das Buch „Arbeitswelten und Lebensräume“ im Verlag für Berlin Brandenburg, dem wir das Foto auf dieser Seite entnommen haben. (taz)
Wendische Tartarei, das blieb hängen. Feindliches Slawenland also. Da passte es ganz gut ins Bild, dass sich das erste Brandenburger Wolfsrudel 2009 in Welzow ansiedelte, auf dem Gelände eines bis heute existierenden Tagebaus. Nicht nur unzugänglich und fremd war die Lausitz, sondern auch gefährlich. Und jetzt sollen in diese Wüste Milliarden gepumpt werden, um den Menschen den Ausstieg aus der Braunkohle schmackhaft zu machen? Sind das nicht Perlen vor die Wölfe?
Dass eine Wüste auch leben kann, war schon zu Schmidts Zeiten kein Geheimnis. Ganz gleich, ob das Markgraftum Niederlausitz zu Böhmen gehörte, zu Habsburg oder zu Sachsen: Die Adligen in Lübben oder Lieberose ließen sich von den Herrschern in Prag, Wien und Dresden nicht in die Karten schauen. So kam es, dass die Lausitz nicht nur als abgehängte, sondern auch als autonome Region in die Geschichtsbücher einging. Eine Region am Weltenrand, an der sich die Zentralgewalten ihre Zähne ausbissen.
Die Lausitz war ein gallisches Dorf
Eine „Adelsrepublik“ nannte das der Historiker des Klosters Neuzelle, Winfried Töpler, in Anlehnung an die polnische Adelsrepublik. Die war zwar unregierbar, aber auch demokratisch. Bis zur Übernahme durch Preußen 1815 ging das so. Heute würde man sagen: Die Lausitz war ein gallisches Dorf, lange bevor Kreuzberg diesen Titel für sich in Anspruch nehmen durfte.
Und warm ist es in der Wüste. Sonst würden all die Trüffel, Weinreben und Hanfpflanzen auf dem Sandboden nicht gedeihen. Selbst der Pfeffer wächst in der Lausitz. Allerdings erst seit Neuestem, sonst hätte der Pfarrer Schmidt sicher ein weiteres Bonmot parat gehabt.
Aber warum soll man nicht dorthin gehen, wo der Pfeffer wächst? Wenn im März in Berlin gerade mal 12 Grad vorhergesagt sind, können es in der Lausitz gut und gerne 16 Grad sein. Im Sommer freilich ist das nicht immer angenehm. Deshalb fürchten viele, dass sich zur alten Wüste bald eine neue gesellen könnte.
Vielleicht will das Land Brandenburg auch deshalb aus der größten Bergbaulandschaft der Republik die größte zusammenhängende Seenlandschaft der Welt machen. Vorausgesetzt, die Spree speist all die neuen Seengespinste. Am Einlassbauwerk zum Cottbuser Ostsee, dem ehemaligen Tagebau Cottbus-Nord, rinnsalt es derzeit nur, obwohl der Sommer 2021 bei Weitem nicht so trocken ist wie seine beiden Vorgänger.
Der Lausitz kann es egal sein. Wer es mit Wien und Dresden aufnehmen konnte, hält sich auch Potsdam und Berlin vom Leibe. Zur Not dreht die Lausitz der Hauptstadtregion einfach das Wasser ab. Denn die Spree muss, bevor sie Berlin erreicht, halbwegs unbeschadet durch die ehemaligen Tagebaulandschaften, bevor sie sich im Spreewald zu einem Binnendelta mit unzähligen Fließen auffächert.
Berlin braucht also die Lausitz …
Dort drohen zwar nicht, wie an Ahr oder Oder, Hochwasser. Aber auch das Gegenteil von viel Wasser, nämlich fast keines, ist nicht schön. Es kann dazu führen, dass das Wasser in der Berliner Spree rückwärts fließt. Und auch ein Flussbad funktioniert am Kupfergraben nur, wenn eine Mindestmenge Wasser durchfließt. Berlin braucht also die Lausitz, und die Lausitz braucht die Berlinerinnen und Berliner. Als Investoren, als Zuzügler, als Touris.
Die Wüste lebt? Oft ist das noch Zukunftsmusik. Aber selbst das ist im Labor Lausitz ein Ereignis. In der Lieberoser Heide soll man dem Werden dessen, was nach der Wüste kommt, sogar zuschauen können, vorausgesetzt, man bringt ein wenig Zeit mit. Denn die dortige Wüste, entstanden auf einem der größten Truppenübungsplätze der DDR, soll sich selbst überlassen werden. „Internationale Naturausstellung“ heißt das Projekt, das mit den „Urwäldern von morgen“ für sich wirbt.
Vielleicht werden die Reisenden von morgen aus der Lausitz ganz andere Bilder nach Dresden oder Berlin bringen. Nicht von „unfruchtbaren Steppen“ wird dann die Rede sein, sondern von einem Labor der Zukunft, in dem die Braunkohle zunächst den Klimawandel befeuerte, dann aber, nach dem Kohleausstieg, nach neuen, nach positiven Energien gesucht wurde.
Und wenn der Pastor Christian Gottlieb Schmidt demnächst nach Cottbus käme, würde er vielleicht sogar fantasieren, dass es in der Wüste eine prosperierende Wüstenstadt gäbe, die Lausitzer Ausgabe von Dubai. Nur, dass dort nicht mehr nach fossilen Brennstoffen gesucht wird, sondern nach denen der Zukunft.
Dieser Text ist Bestandteil eines dreiteiligen Schwerpunktes aus der Printausgabe der taz am wochenende vom 7./8. August 2021.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Trumps Personalentscheidungen
Kabinett ohne Erwachsene