piwik no script img

Athletinnen mit psychischen BelastungenDie Sache mit dem Druck

Simone Biles und Naomi Osaka machen bei Olympia ihre psychischen Probleme publik. Sie sind Botschafterinnen für einen Sport mit menschlichem Antlitz.

Abgang der Größten: Simone Biles verlässt die olympische Bühne Foto: Mike Blake/Reuters

Es war eine schier herzzerreißende Nachricht, die Simone Biles via Twitter in die Welt gesendet hat. Ein Herz, grau auf weißem Hintergrund, das war’s. Der traurige Kommentar der besten Turnerin der Gegenwart zu ihrem Abgang von der olympischen Bühne am Dienstagabend hatte binnen weniger Stunden Hunderttausende Likes. Dies ist vielleicht der Hoffnung spendende Aspekt an der traurigen Nachricht des Tages aus Tokio.

Biles hatte das Teamfinale mitten im Sprung abgebrochen, hatte ihren Kolleginnen vom Team USA gesagt, sie mögen alleine weiterturnen. Wegen psychischer Probleme könne sie auch am Mehrkampffinale am Donnerstag nicht teilnehmen, ließ sie dann mitteilen.

Es war ein Schock, der die Sportwelt aufgerüttelt hat. Was folgte, war ein Lovestorm für Biles in den sozialen Medien. Ihr Abgang von den Spielen könnte dereinst als großer Sieg gefeiert werden. Als Erfolg im Kampf von Sportlern und Sportlerinnen dafür, dass sie als Menschen mit all ihren auch psychischen Problemen ernst genommen werden. Und vielleicht ermutigt Biles’ Offenheit auch Menschen in anderen gesellschaftlichen Bereichen, in denen normalerweise nur Erfolge zählen, sich ihren mentalen Problemen zu stellen. Im besten Falle treffen sie dann auf offene Ohren bei Chefs, Mitarbeiterinnen und Angehörigen.

Auch Naomi Osaka, Japans beste Tennisspielerin, hat viel Zuspruch erfahren, als sie im Juni öffentlich über ihre Ängste und Depressionen gesprochen hat. Dennoch hat sie ihre Rolle als Sportbotschafterin für die Spiele in Japan weitergespielt. Wie nach einen Drehbuch für eine Hollywood-Schmonzette war ihr Sportjahr auf den Höhepunkt Olympia ausgerichtet. Sie entzündete das olympische Feuer bei der Eröffnungsfeier.

Als Tochter einer Japanerin und eines Haitianers füllte sie die Rolle als Botschafterin einer diversen Gesellschaft für Japan aus. Was sie über sich preiszugeben bereit war, konnten sich Interessierte in einer kurz vor den Spielen veröffentlichten Netflix-Serie anschauen. Zu viel? Nach ihrer überraschenden Drittrundenniederlage gegen die Nummer 42 der Welt Marketa Vondrousova hatte sie gesagt: „Ich sollte den Druck gewohnt sein.“ Und: „Vielleicht war es alles einfach ein bisschen zu viel für mich.“

Osaka ist eine der besten Tennisspielerinnen der Welt. Doch sie ist mehr, sie ist Stil­ikone und politische Botschafterin für eine Welt ohne Rassismus. Keine Sportlerin der Welt verdient mehr als sie. 37 Millionen US-Dollar hat sie im Vorjahr eingenommen. Sie musste ganz nach oben kommen, um öffentlich über ihre psychischen Probleme sprechen zu können.

Mehr als nur Sportlerinnen

Auch Simone Biles ist mehr als eine gute Turnerin. Von Twitter ist sie vor den Spielen zur Grea­test Of All Times, zur Größten aller Zeiten ausgerufen und mit einem eigenen Emoji ausgezeichnet worden. Sie repräsentiert eine amerikanische Aufsteigerstory, hat die Geschichte ihrer alkohol- und drogenabhängigen Mutter hinter sich gelassen. Sie ist die 1,42 kleine, schwarze Frau, die die Sportwelt erobert hat. Sie war es, die mit dazu beigetragen hat, das Missbrauchsregime im US-Turn­verband anzuprangern. Sie war ein Opfer, das zur Superheldin wurde. Biles ist vierfache Olympiasiegerin, hat unzählige Weltmeisterschaften gewonnen. Am Ende war sie stark und großartig genug, ihre Probleme anzusprechen. Biles und Osaka waren gut genug, um sagen zu können, dass es ihnen nicht gut geht.

Für die Gesellschaft sind sie wirkmächtige Botschafterinnen beim Thema psychische Gesundheit. Welche Botschaft aber senden sie in den Leistungssport? Der Druck, der auf den ganz Großen des Sports lastet, ist viel höher als der, dem andere ausgesetzt sind, von denen nicht ganz so viel erwartet wird. Doch der Leistungssport lebt auf allen Ebenen auch vom Druck, von der Unterwerfung unter ein strenges Trainingsregime, von den Erwartungen der Trainer, von den Erwartungen der Athletinnen selbst.

Das kann im besten Falle motivierend sein, es kann aber ebenso gut Versagensängste auslösen. Derartige Drucksituationen können einen Sportler schier zerreißen, auch wenn es nur um das Podium einer regionalen Meisterschaft geht. Beim Kampf um das Erreichen der Olympianorm steht die Trainingsarbeit von mehreren Jahren auf dem Prüfstand.

Biles und Osaka werden zu Recht für ihre Offenheit gefeiert. Wenn ihr Vorbild dazu beitragen kann, dass Leistungssportlerinnen zu ihren Trainern, Mitstreiterinnen, Eltern gehen können und sagen: „Ich kann nicht mehr“, wenn sie dann statt Kritik Zuspruch erhalten, wenn sie statt aus dem Kader geworfen zu werden, eine zweite, dritte, vierte Chance bekommen, dann kann es eine Zukunft geben für so etwas wie einen Leistungssport mit menschlichem Antlitz.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • "Die Sache mit dem Druck" ist eine sehr despektierliche Überschrift, die dem Leiden der Betroffenen aber auch nicht im Ansatz gerecht wird. Warum immer wieder sprachliche Verrenkungen, wenn es auch viel einfacher geht? Es geht mitnichten um eine Sache, es geht um die Psyche. Und die ist keine Sache. Und das kann schon in der Überschrift deutlich werden.

    • @Sarg Kuss Möder:

      So isset. Aber das hat mit der gerade zu Sport bei den Medien weit verbreiteten sprachlichen Infantilität zu tun.



      Gerade fein paar Blätter weiter von Jürgen Roth “ Die Wahrheit



      : Am Nullpunkt der beringten Hölle



      Beeindruckendes Absinkverhalten: Betrachtungen zum olympischen Geschehen und seinen Vermittlern im Fernsehen.“ - fein aufgespießt!



      Da kann die taz Rubrik SPORT - früher Leibesübungen - doch nicht zurückstehen! Newahr.



      Nö. Normal nich - Martin Krauss mal außenvor - wa!



      taz.de/Die-Wahrheit/!5785770/

  • Hut ab - finde ich stark von den beiden.

    • @RuthH:

      Ich finde es auch stark und sehr mutig. Mutiger sogar noch von Simone Biles, denn sie hat den TEAM Wettbewerb abgebrochen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihre Kolleginnen jetzt nicht sauer auf sie sind. So lange auf das große Ziel Olympia hintrainiert und dann sowas. Man möchte nicht in ihrer Haut stecken.

  • "für einen Sport mit menschlichem Antlitz"

    Das wird Schwierig, denn im Leistungssport geht es um Gewinnen versus Verlieren.



    Wer schwache Nerven hat der gewinnt eben nicht. Die Welt ist hart, aber so ist sie nunmal.

    • @Paul Rabe:

      Sorry - “Wer schwache Nerven hat…“



      Aber dss ist so banal ahnungslos - wie der feine Mr. Ray Ban Rüttenauer! 😎 -



      Nur - & ich weiß wovon ich spreche!



      Das ist allenfalls die Spitze des Eisberges! Newahr. Aber komplex-differenzierte Zusammenhänge - sind den Claqueuren ja bekanntlich zu schwierig & überfordernd! Gellewelle&Wollnichwoll!



      Normal Schonn •

      kurz - Über Leibesübungen zu schreiben - ist halt schwieriger - als über den ahl Mainstream Quark - SPORT - Gellewelle!

  • Zitat: „Sie musste ganz nach oben kommen, um öffentlich über ihre psychischen Probleme sprechen zu können.“

    Wie bitte? Wo, genau, muss eine Person erst „ganz nach oben kommen“, bevor sie über ihre Probleme reden kann? In Hollywood-Schmonzetten vielleicht?

    Im richtigen Leben können Menschen überall und jederzeit den Mund aufmachen. Im richtigen Leben gibt es nur keine Garantie auf ein Happy End. Wer da nicht Spitze ist, wird gar nicht erst wahrgenommen mit seinem Gejammer. Und wer keine Millionen in der Hinterhand hat, der muss sowieso mit dem Schlimmsten rechnen.

    Für Menschen mit körperlichen Schwächen gilt inzwischen hier und da bereits der Satz: „Behindert ist man nicht, behindert wird man“ - und zwar von einer Gesellschaft, die keinerlei Rücksicht nehmen mag auf Schwächere. Für Menschen, die sensibel reagieren auf psychische Belastung, gilt das Gesagte längst noch nicht. Schon gar nicht da, wo die Luft dünn ist. Psychische Probleme sieht man den Menschen ja auch nicht unbedingt an. Man blamiert sich als rücksichtsloses A-Loch also nicht unbedingt öffentlich, wenn man solche Leute unterwegs platt macht. Und sicher ist sicher. Vielleicht simuliert der ja nur…

    Trotzdem, wahrscheinlich aber gerade deswegen, gelten psychische Probleme immer noch als persönlicher Makel, der seine Ursache in tief im Inneren der Betroffenen liegenden Schwächen hat. Dass die Gesellschaft insgesamt der psychischen Gesundheit nicht bekommen könnte, wird sehr gerne abgestritten. Die Mehrheit der Leute tut ja so, als wäre sie gesund. Man kann es sich nicht leisten, Schwäche zu zeigen. Weil: Unter Hyänen ist Schwäche eine Aufforderung, im Rudel über das vermeintlich leichte Opfer herzufallen.

    Die Zeitung berichtet darüber, wenn überhaupt, nur in extremen Ausnahmefällen und im Promi-Kontext. Die Konkurrenz tut das schließlich auch. Nur noch etwas unverschämter, heißt es dann jedesmal knapp. Wenn das kein Zeichen psychischer Deformation ist, weiß ich nicht, was eines sein sollte.

    • @mowgli:

      Pertfekt, gut gesagt.

    • @mowgli:

      anschließe mich - fein gesagt.

  • Bis auf den letzten Satz kann man so schon mitgehen.

    Wenn aber im Kader Athleten bleiben die nicht antreten können, dann bleiben andere zurück, welche dies gekonnt hätten.

    Wenn Frau Biles sagt, sie kann nicht mehr ist es absolut legitim und ihr persönliches Recht die Teilnahme abzubrechen. Aber der Welt sollte durchaus erlaubt werden sich weiterzudrehen.

  • Vertell! Vertell! Das ist alter Hut mit nasser Krempe!



    Und ändert an der längst erreichten Perversität dieser -



    Gesellschaftlichen Abricht&Zirkus-Abteilung keinen Deut •



    Wie ja Ihre eigene Schreibe wundersam-eklig belegt. Newahr.



    Normal.

    unterm——btw but not only —-



    Schon was her - da fragte mein großes Bruderherz.



    Rudernleistungssportweggefährte & zwischenzeitlich Bundestrainer:



    ”Wieso machste diesen Quatsch noch mit?“



    “Du hast ja recht. Als die Schwimmer sich den Arsch zuklebten!



    Um die Schwimmlage zu verbessern - gut hat nicht geklappt!



    Aber da dacht ich: Es reicht! - Naja. Ich verdien mein Geld damit.“

    So weit mal & nochens -



    Diese tautologisch-gebetsmühlenartigen -



    Gesundbetereien. Auch & gerade in den Medien.



    Sind schon lange - peinlich & pervers •

    • @Lowandorder:

      Das …“ich“…in fragte ich…sei zum Verständnis nachgeliefert - sorry