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Jeanne Dillschneider statt Hubert UlrichSaar-Grüne mit Spitzenfrau

Nach juristischem Gerangel steht die Liste der Saar-Grünen für den Bundestag nun fest. Passenderweise steht eine Juristin an der Spitze.

Die 25-jährige Juristin Jeanne Dillschneider Foto: dpa

Saarbrücken taz | Nur zwei Tage vor Ablauf der Abgabefrist für die Landesliste haben die Saar-Grünen eine neue Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl gewählt. Auf einem Landesparteitag in Saarbrücken erhielt die 25-jährige Juristin Jeanne Dillschneider 56 von 86 Stimmen. „Wir haben gekämpft, aber vor allem gegeneinander und nicht gegen die politischen Gegner“, spielte die Landessprecherin der Grünen Jugend, die dem Saarbrücker Stadtrat angehört, auf die heftigen innerparteilichen Auseinandersetzungen der letzten Wochen an. Sie rief die Delegierten zu einem Neuanfang auf. „Das hier ist unsere letzte Chance“, sagte sie und gab sich optimistisch: „Wir können zeigen, dass wir die Krise überleben und daran wachsen werden.“

Ob allerdings die neue KandidatInnenliste beim Landeswahlausschuss Bestand haben wird, ist nach wie vor unklar. Bis wenige Stunden vor Beginn der Veranstaltung stand nicht einmal fest, ob der Parteitag überhaupt stattfinden würde. Der amtierende Landesvorstand wollte die Delegierten wegen der seiner Meinung nach ungeklärten Rechtsfragen wieder nach Hause schicken. Zweimal hatte jedoch das Bundesschiedsgericht interveniert. Zum einen erklärte es die Wahl der Delegierten aus Saarlouis für ungültig. Das war eine erste Schlappe für den bisherigen Spitzenkandidaten Hubert Ulrich, dessen Machtbasis damit geschwächt war. Am Samstag Vormittag untersagte das Schiedsgericht schließlich dem Landesvorstand, die Versammlung abzusagen.

Um diesmal keine Fehler zu machen, hatten die Saar-Grünen mit Misbah Khan aus Rheinland-Pfalz und Jürgen Suhr aus Mecklenburg-Vorpommern Spitzengrüne aus dem „Bundesgebiet“ angefordert. Dem bisherigen Spitzenkandidaten selbst und den Delegierten aus seinem Ortsverband waren durch das Bundesschiedsgericht am Samstag das Stimmrecht entzogen worden. Ulrich verfolgte die Debatte aus den hinteren Reihen. Um die Liste mit ihm an der Spitze kämpfte an seiner Statt der Saarbrücker Grüne Sebastian Pini. Er und Ulrich kennen sich aus der Zusammenarbeit der 2012 gescheiterten „Saarmaika“-Koalition aus CDU, Grünen und FDP, der Pini damals noch als FDP-Staatssekretär angehörte.

Pini nannte den Parteitag am Samstag eine „Totgeburt“. Die Aufhebung der Liste vom 20. Juni durch Parteigerichte sei nicht rechtskräftig und mit der Ausladung durch den Landesvorstand sei der neue Parteitag nicht ordnungsgemäß zu Stande gekommen, so Pini.

„Das Bild ist desolat“

In seiner Gegenrede warf Stephan Körner ihm vor, die Einreichung einer rechtmäßigen Liste bei der Landeswahlleiterin torpedieren zu wollen; das sei „unerhört“, rief Körner, im Zivilberuf Verwaltungsrichter. Die Versammlung folgte ihm mit großer Mehrheit und hob die erste, heftig umstrittene Landesliste mit dem früheren Landesvorsitzenden an der Spitze auf. Damit war der Weg für die neue Liste frei.

Mit Blick auf die Chaostage der Saar-Grünen räumte Andrea Schrickel bei ihrer Bewerbungsrede für einen Listenplatz ein: „Das Bild ist desolat“. Doch mit Blick auf die nächsten Wochen machte sie den Saar-Grünen Mut: „Der Alptraum ist vorbei, ab morgen sind unsere Gegner wieder CDU, SPD und FDP!“

Es gilt indes als sicher, dass zwischen den feindlichen Lagern nach diesem Parteitag noch kein Frieden eingekehrt ist. Vertreter des am Samstag unterlegenen Flügels um Hubert Ulrich kündigten Anfechtungen an. Sollte die am Samstag aufgestellte vor Gericht nicht Bestand haben, würden die Grünen im Saarland nicht auf den Stimmzetteln erscheinen.

Aktualisiert am 19.07.2021 um 9:20 Uhr. Rechtschreibfehler in Namen wurden korrigiert. Wir bitten die Fehler zu entschuldigen. d. R.

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6 Kommentare

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  • Realpolitiker at it's best.....

  • Zum Glück ist das Saarland ja klein, aber die dortigen Grünen sind wirklich eine Katastrophe. Könnte man verfilmen als deutschen "Denver Clan" (den Älteren ein Begriff), zumal im Saarland auch andere Parteien schon interessante Beziehungen mit zum Beispiel Rotlicht-Bezug gehabt haben sollen. Seit vielen Jahren ist das Saarland immer wieder für Skandale gut.

    Wie die neue Spitzenkandidatin davon ausgehen kann, ab morgen sei der interne Kampf beendet (zumal sie selbst nach der letzten Wahl erklärt hatte, sieh hätte lieber keine Liste als die von Ulrich angeführte), bleibt rätselhaft. Zweckoptimismus oder Naivität?

  • Wie bei der Baerbock-Nominierung ist hier wieder mal nicht Demokratie wichtig oder die Frage, wer die meisten Stimmen bringt oder wer am meisten Erfahrung hat. Wichtig ist die richtige Reihenfolge der Geschlechtsteile, die der Liste zugeordnet werden können. Das Ganze dann mitten in der eskalierenden Klimakrise. Toll gemacht, Grüne.

  • Es ist unfassbar. Zumal die Delegierten aus Saarlouis nicht zugelassen wurden.



    Frau Dillschneider hätte soviel Anstand beweisen müssen und nicht mehr antreten dürften.



    Aber Grüne und Anstand, das passt einfach nicht zusammen

  • Wäre es nicht so fatal, könnte man darüber lachen, dass die jetzige Spitzenkandidatin noch gar nicht geboren war, als 1991 die Schlichtungsverhandlungen zwischen dem Ulrich-Flügel (des ehemaligen spendablen Thekers aus einer Saarlouiser Kneipe) und dem Rest der Partei scheiterten und die Orbanisierung der Grünen-Saar begann.



    Für Grüne und Linke im Saarland sitzt der politische Gegner im eigenen Laden. Ein "so" nicht abgestimmter Absatz in einer Pressmitteilung, und schon bricht - zur Freude des Zirkuspublikums und des politischen Gegners - ein heroischer Kampf der Gladiolen um den besten Fensterplatz aus.



    Es ist zum Verzweifeln!

  • Eine Wahl zu wiederholen, ist ja schon komisch genug.



    Aber der Stimmrechtsentzug der vermeintlich bösen Buben ist unglaublich. Da hätte dieses "Bundesschiedsgericht" die neue Liste ja auch gleich selbst erstellen können.