Poller-Protest in Hamburg: Solidarität mit dem Sitzfleisch
Wegen „Lärmbelästigung und starken Alkoholkonsums“ sind in St. Georg Sitzgelegenheiten abgeschafft worden. Nun gibt es wieder Sitzpolster.
Hamburg taz | „Defensive Architektur“: Das klingt beinahe harmlos. Gemeint ist damit aber, was sich Verantwortliche in den Verwaltungen so mancher Stadt einfallen lassen – um Menschen zu vertreiben. Oder genauer: ihnen den Aufenthalt möglichst unangenehm zu machen.
Weit über die Stadt- und sogar Landesgrenzen hinaus bekannt wurden vor ein paar Jahren etwa die Spikes, also Stacheln, mit denen das Schlafen oder auch bloß Lagern in manchen Londoner Hauseingängen verunmöglicht werden sollte. Subtiler – und „Architektur“ nur im weiteren Sinne – scheint dagegen die Dauerberieselung mit klassischer Musik am Hamburger Hauptbahnhof.
Hier wie da geht es aber, kaum überraschend, um beziehungsweise gegen Menschen, die in den Städten nicht oder nicht genug Geld lassen. Und wenn sie doch konsumieren, dann das Falsche: Alkohol oder andere Rauschmittel. Nehmen wir den Hansaplatz in Hamburg-St. Georg, eigentlich noch in Hörweite der Anti-Bettler:innen-Bahnhofsbeschallung: Von „Beschwerden wegen Lärmbelästigung und starken Alkoholkonsums“ berichtete da im März eine Behördensprecherin, und die Schuldigen waren demnach Menschen, die dort irgendwelche Poller wortwörtlich besetzten, nämlich mit dem Hintern drauf. Was tat also der Bezirk Hamburg-Mitte? Verpasste den rund 25 dieser Poller oben drauf eine Stahlkugel, die das Sitzen denkbar erschwert.
Kritik gab es daran auch damals schon. An diesem Wochenende nun wird die ganz handfest: Runde Polster aus Recyclingkunststoff verleiht am Sonntag der Verein VOB Hansaplatz – „damit Menschen künftig trotz der Po-Kugeln auf den Pollern wieder bequem Platz nehmen können“. Gestaltet hat die Po-Polster der Designer und freie Künstler Oliver Paul Simon, beschriftet sind sie mit den Namen solidarischer Gruppen und Initiativen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung
Serpil Temiz-Unvar
„Seine Angriffe werden weitergehen“