: Lücken im System
Wie geht es nach Ferien und Sommerschule weiter? Kann Schule wieder im normalen Regelbetrieb funktionieren? Erst in der letzten Ferienwoche – Anfang August – wird sich der Hygienebeirat mit dem Senat zusammensetzen, um das bestehende Hygienekonzept fürs neue Schuljahr – eventuell – noch einmal zu überdenken. Reichlich spät
Von Anna Klöpper
Man blicke nun, hatte Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) vor den Sommerferien im Juni gesagt, „mit Optimismus nach vorn“. Das vergangene Schuljahr sei „hart“ gewesen, aber „zum Glück“ gehe diese schwierige Zeit nun zu Ende – doch das war vor den Sommerferien. Dann kam die Delta-Variante in Berlin richtig an. Inzwischen ist sie vorherrschend bei den Neuansteckungen. Und mit den wieder steigenden Inzidenzen schwindet der Optimismus.
Denn bei allen Anstrengungen, die nun unternommen werden, um pandemiebedingte Lernlücken bei den Kindern und Jugendlichen zu schließen, darf man nicht vergessen: Die drängendste Frage ist, ob die Schulen im Herbst wieder im normalen Regelbetrieb laufen werden.
Denn sollte es eine Rückkehr zu Wechselunterricht und Homeschooling geben, ist klar: Auch Nachhilfe in den Ferien kann nicht kompensieren, was gerade diejenigen Kinder verpassen, die zu Hause wenig Unterstützung bekommen (können), sollten die Schultore sich nicht wieder weit und uneingeschränkt öffnen.
Die Schere der Chancenungleichheit, sie geht weiter auf: Nicht überraschend stellte eine repräsentative Allensbach-Umfrage im Auftrag der Telekom Anfang Juli fest: GymnasiastInnen sind der eigenen Einschätzung nach besser durch die Pandemie gekommen als SchülerInnen anderer Schulformen. Etwa 27 Prozent aller Befragten waren der Meinung, „deutlich“ im Rückstand zu sein. Immerhin noch 52 Prozent befanden, sie seien „etwas“ im Rückstand. Und: Je besser das Elternhaus digital ausgestattet war, desto besser lief, wenig überraschend, das Homeschooling.
Die Sommerschulen (siehe Seite 44–45), die die Bildungsverwaltung über das Bundesprogramm „Stark trotz Corona“ finanziert, sind ohne Frage wichtig. Die zusätzlichen Gelder aus demselben Topf für mehr Jugend- und Familien(sozial)arbeit sind sicher dringend nötig nach eineinhalb Jahren Pandemie.
Am 9. August beginnt für rund 337.000 SchülerInnen das Schuljahr an den 763 allgemeinbildenden Schulen. Die circa 34.000 ErstklässlerInnen starten eine Woche später nach den Einschulungsfeiern am 14. August. Geplant ist, dass die Schulen im Regelbetrieb starten – die Kinder also in vollen Klassen ohne Abstand sitzen.
14 Tage lang soll nach den Sommerferien auch im Unterricht eine Maskenpflicht gelten. Außerdem sollen sich alle SchülerInnen in der ersten Schulwoche dreimal statt wie bisher zweimal selbst testen. Auf diese Weise hatte man – vor Ausbreitung der Deltavariante – gehofft, auf steigende Infektionszahlen etwa durch Urlaubsreisen reagieren zu können. Inzwischen steigt das Infektionsgeschehen aber schon vor Ende der Ferien wieder schneller als erwartet. Die aktuelle Inzidenz am Freitag: 21,8.
Nach Plan Im Herbst 2020 waren die Schulen ebenfalls für kurze Zeit im Regelunterricht. Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) hatte dafür einen Stufenplan konzipiert: Die bezirklichen Gesundheitsämter setzten sich jede Woche mit den Schulleitungen zusammen und entschieden unter Berücksichtigung des Infektionsgeschehens an der Schule sowie im Bezirk insgesamt, wie jede Schule auf einem Ampelsystem eingestuft wurde. Bei „Rot“ mussten die Schule zurück in den Wechselunterricht aus Homeschooling und Unterricht in halbierter Klassenstärke. (akl)
Vielleicht sollte man an dieser Stelle aber auch einwenden, wie es etwa die Lehrergewerkschaft GEW und PädagogikexpertInnen taten: Sind die Ferien wirklich zum Lernen da? Oder wäre es nicht besser, den Kids eine Pause zu gönnen – und stattdessen, die Politik in die Pflicht zu nehmen, die Schulen rechtzeitig fit zu machen? Einige Länder, wie etwa Thüringen und Sachsen, gehen deshalb auch einen anderen Weg und sagen: Aufholen ja, aber das kriegen wir auch noch im kommenden Schuljahr hin.
Lernlücken sind ein Symptom der lange geschlossenen Schulen, die eben nicht – wie von der Politik versprochen – in der Pandemie als Letztes zu- und als Erstes wieder aufgemacht wurden.
Erst in der letzten Ferienwoche Anfang August wird sich der Hygienebeirat mit der Bildungsverwaltung zusammensetzen, um das bestehende Hygienekonzept für das neue Schuljahr eventuell noch mal zu überdenken. Eine Woche vor Schulbeginn, das ist spät.
Es wird dann auch um die eventuelle Anschaffung von noch mehr Luftfiltergeräten für die Berliner Klassenzimmer gehen, hatte ein Sprecher von Senatorin Scheeres der taz gesagt. Zur Erinnerung: Die Besorgung der bisherigen rund 8.000 Geräte hat etwa ein dreiviertel Jahr lang gedauert.
Selbst wenn der Bund jetzt auch mit 200 Millionen Euro die Anschaffung von mobilen Luftfiltergeräten – bisher gab es nur für fest verbaute Geräte Geld – in den Ländern fördert: Es ist doch unschwer abzusehen, dass die ersten zusätzlichen Geräte kaum vor Beginn der kalten Jahreszeit, wenn Lüften wieder vielerorts wegen maroder Fenster oder mangelnder Möglichkeit zum Querlüften zum Problem wird, in den Klassen ankommen werden.
Immerhin: Seit dem 19. Juli läuft ein Modellprojekt der Bildungsverwaltung in den Kitas mit Pool-PCR-Tests; der Pilotversuch soll danach auch auf die Grundschulen ausgeweitet werden. Die Kinder lutschen dabei für etwa 15 Sekunden an Wattestäbchen, die Speichelproben werden gesammelt, und nur wenn das Ergebnis des gesamten Pools mittels PCR-Test positiv ausfällt, wird einzeln nochmal nachgetestet. Die Vorteile: Man spart Testkapazitäten, und das Lutschen am Wattestäbchen ist angenehmer als ein Abstrich.
PCR-Tests sind genauer als die Schnelltests („Nasenbohr-Tests“), mit denen sich die Kinder bisher in den Schulen selbst testen sollen. Zudem spart man bei der Poollösung Testkapazitäten, wenn nur gezielt nachgetestet wird. Laborkapazitäten für so ein PCR-Pooling gäbe es in Berlin genügend, hatten die akkreditierten Labore in der Medizin bereits geäußert.
PCR-Pooltests, Luftfilter und auch die Diskussion darüber, wie man Impfanreize schafft für die Erwachsenen, die sich jetzt impfen lassen könnten – denn für Kinder und Jugendliche gibt es eine Impfempfehlung bekanntlich noch nicht: Letztlich geht es darum, dass nicht die Kinder und Jugendlichen in der Pflicht sein sollten, irgendetwas aufzuholen. Die Verantwortung liegt bei den Erwachsenen. Sie müssen Sorge tragen, dass die Kinder in Zukunft möglichst wenig aufzuholen haben werden.
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