Klimaprogramm der EU: Die zwölf Gebote

Das könnte den Alltag der EU-Bürger umkrempeln: Zwölf Gesetze und etliche Neuerungen sollen den Klimawandel bekämpfen. Reicht das?

ein kleiner Flusslauf, dahinter eine grüne Wiese und Bäume, dahinter ein Kraftwerk, das im Nebel verschwindet – man weiß nicht, ob Abgas oder Wolken. Es wirkt alles grau und fast gruselig

Kraftwerk am Horizont. Wie lange noch? Foto: Oliver Berg/dpa

Brüssel/Berlin taz | Ursula von der Leyen liebt die große Geste. Als die deutsche Chefin der Europäischen Kommission vor zwei Jahren ihren „Green Deal“ vorstellte, verglich sie ihn ganz unbescheiden mit der Mondlandung. Nun, da es um die Umsetzung des Klimaversprechens geht, lässt von der Leyen das Brüsseler Kommissionsgebäude großflächig in grün anstrahlen und einen neuen Slogan verkünden: „Fit for 55“ soll die EU werden – und die CO2-Emissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent verringern.

Wie das gehen soll, darüber haben Kommissionsbeamte bis zur Erschöpfung gebrütet. Ergebnis ist ein Klimapaket, das mit zwölf EU-Gesetzen eine Flut von Neuerungen auslösen und den Alltag der EU-Bürger umkrempeln dürfte. Bis zuletzt wurde um die Details gerungen, am Ende soll sich auch noch Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron eingeschaltet haben. Doch als von der Leyen und Klimakommissar Frans Timmermans am Mittwoch vor die Presse treten, schienen die Mühen vergessen.

„Wir haben ein Ziel, wir haben ein Klimagesetz, und nun haben wir auch den Fahrplan“, erklärt von der Leyen, die wie immer zuerst spricht. Sie habe durchgesetzt, dass die EU beim Klimaschutz mehr denn je auf den Markt setzt, erklärt die CDU-Politikerin. Darauf sei sie stolz.

Timmermans betont dagegen das Soziale. „Wir fordern viel von unseren Bürgern“, räumte der Sozialdemokrat ein. Die EU-Pläne würden zu höheren Preisen für Benzin und Heizung führen. Ein neuer Sozialfonds soll hier für Ausgleich sorgen. „Ich bin wirklich begeistert von diesem Plan“, so Timmermans. Er werde den Klimaschutz sozial gestalten.

Was nur die CDU will

Vor allem um den Sozialfonds und den Emissionshandel war bis zuletzt gestritten worden. „Das will nur die CDU“, erklärte der Chef des Umweltausschusses im Europaparlament, Pascal Canfin, zu den Plänen, künftig auch den Verkehr und die Gebäude in den Emissionshandel einzubeziehen. Der Vorschlag sei „toxisch“, da er Mieter und Autofahrer auf die Barrikaden treiben könne.

Canfin weiß, wovon er spricht: Der Macron-Vertraute denkt mit Schrecken an den Aufstand der Gelbwesten in Frankreich zurück, der sich an höheren Benzinpreisen entzündet hatte. Im Europaparlament sieht er derzeit keine Mehrheit: Sozialdemokraten, Grüne, Linke und die meisten Liberalen sind, wie er, gegen Emissionshandel im Transportsektor.

China, Indien, die Türkei und andere Länder warnen schon vor einem neuen Handelskrieg

Doch von der Leyen, die selbst das CDU-Parteibuch hat, setzte sich durch: Das „ETS2“ kommt. Neben dem bestehenden (und lange zahnlosen) Emissionshandel für die Industrie wird ein neues System für Gebäude und Transport aufgebaut. Ein 72,7 Milliarden Euro schwerer Sozialfonds soll dafür sorgen, dass die Bürger nicht in Energiearmut verfallen und die Schuld in Brüssel suchen. Gleichzeitig soll der bestehende Emissionshandel weiter ausgebaut werden. Ihm unterliegen bisher 41 Prozent aller Emissionen in der EU. Dieses CO2 aus Fabriken und Kraftwerken hat eine Obergrenze, die bisher jährlich um 2,2 Prozent absinkt. Dieses Tempo soll mit 4,2 Prozent praktisch verdoppelt werden, einmalig sollen dazu 117 Millionen Zertifikate gelöscht werden.

Die Preise für die Emissionszertifikate im ETS, derzeit etwa 55 Euro pro Tonne, werden wohl steigen. Airlines sollen ab 2027 alle ihre Zertifikate bezahlen, die bislang umsonst waren. Gleichzeitig soll zum ersten Mal der gesamte Flug- und Schiffsver­kehr von und nach Europa CO2-Zertifikate kaufen müssen.

Ausbau der Ökoenergie

Die Kommission schlägt auch vor, die CO2-Grenzwerte für Pkw weiter zu verschärfen. Neuwagen müssen 2030 demnach 55 Prozent weniger CO2 ausstoßen als heute. Ab 2035 soll kein Neuwagen mehr mit Verbrennungsmotor auf den Markt kommen. Die Pläne verpflichten die Länder auch, an Schnellstraßen alle 60 Kilometer Ladesäulen für Elektroautos und alle 150 Kilometer für Wasserstoff aufzubauen.

Ein ganz neues Instrument ist der CO2-Zoll an der EU-Außengrenze, genannt CBAM: Wenn Produkte im Ausland mit geringeren CO2-Preisen hergestellt werden, müssen die Hersteller an der EU-Grenze CO2-Zertifikate erwerben, um die europäische Industrie zu schützen. China, Indien, die Türkei und andere Länder warnen schon vor einem neuen Handelskrieg.

Großen Wert legt die Kommission auf den weiteren Ausbau der Ökoenergie. Statt der bisher geforderten 32 Prozent soll der grüne Anteil am gesamten Energieverbrauch bis 2030 auf 40 Prozent steigen. Auch bei der Energieeffizienz will die EU-Behörde deutliche Steigerungen sehen: Von 32,5 Prozent weniger CO2 pro Einheit soll der Wert „deutlich verbessert“ werden. Öffentliche Gebäude sollen mit einer Rate von 3 Prozent pro Jahr energetisch saniert werden.

Zum ersten Mal soll auch die Land- und Forstwirtschaft in die Klimabilanz mit einfließen: Dringend nötig sind Programme, die mehr CO2 durch Wälder und Böden binden. 3 Milliarden Bäume sollen neu gepflanzt werden. Und das gesamte System der Energiesteuern in den EU-Ländern soll sich so umstellen, dass fossile Brennstoffe teurer und grüner Strom billiger wird.

Das Parlament fordert mehr Ehrgeiz

„Wir haben geliefert“, freute sich von der Leyen nach der Vorstellung ihrer Pläne, die sich über mehrere Stunden hinzog. „Wir können die Zukunft nach unseren Vorstellungen gestalten“, fügte sie optimistisch hinzu. Doch viele Fragen blieben unbeantwortet. So ist weiter unklar, ob das Maßnahmenbündel ausreicht, um Europa auf dem Weg zur Klimaneutralität entscheidend voranzubringen.

Viele Experten bezweifeln das. Sie hatten eine Senkung der Emissionen um 60 oder gar 65 Prozent gefordert. Auch das Europaparlament hatte mehr Ehrgeiz gefordert; viele Abgeordnete bezweifeln, dass die EU mit den Vorschlägen „fit for 55“ werde. Nun stellen sie sich auf ein hartes Ringen mit der EU-Kommission und den 27 Mitgliedstaaten ein, die die Vorschläge ebenfalls absegnen müssen.

Die Verhandlungen dürften mindestens anderthalb Jahre dauern, heißt es in Brüssel. Doch viel Zeit habe man nicht mehr, warnt Timmermans. Die Klimakrise habe Europa schon im Griff, Eile sei geboten. Wer das Paket noch einmal aufschnüren wolle, müsse Gegenvorschläge auf den Tisch legen. Zu Kompromissen zulasten des Klimaschutzes, so viel ist klar, ist Brüssel nicht bereit.

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