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Todesfälle in der FamilieTrauern aus der Ferne

Nicht nur wegen der Coronapandemie können Familienangehörige bei Todesfällen nicht persönlich Abschied nehmen. Oft geht es nur im Videochat.

Der Abschied von Verstorbenen ist ein wichtiger Teil des Trauerprozesses Foto: imago

D ie letzten Tage habe ich viel über Trauer nachgedacht. Vor zwei Wochen verstarb meine Großmutter. Sie starb im Iran, dem Land, aus dem meine Familie und ich stammen, in dem ich geboren wurde, und in das wir aus politischen Gründen schon lange nicht mehr reisen können. Zum dritten Mal innerhalb weniger Jahre starb ein Großelternteil, ohne dass meine Familie und ich uns verabschieden konnten, ohne dass wir mit unseren Angehörigen trauern konnten, ohne dass wir je ihre Gräber werden besuchen können.

Studien zeigen, dass vor allem geflüchtete Menschen Gefahr laufen, starke und andauernde Trauerreaktionen zu entwickeln. Das liegt unter anderem daran, dass die Distanz und die Trennung von Angehörigen den Trauerprozess erschweren. Es liegt aber auch daran, dass Geflüchtete oft, insbesondere wenn sie noch nicht lange im Einwanderungsland leben, kein soziales Netz und keinen Zugang zu psychologischen Hilfsangeboten haben. Dabei wiegt der Verlust eines geliebten Menschen nicht weniger schwer, oder sogar umso schwerer, wenn man nicht von ihnen Abschied nehmen kann.

Als meine andere Großmutter vor einigen Jahren starb, war ich allein, als ich davon erfuhr, wusste ich nicht wohin. Ich ging in eine Kirche, zündete eine Kerze an, schloss die Augen, sah meine Großmutter vor mir, in ihrem Tschador mit den weißen Pünktchen. Mein WG-Zimmer schien so banal, also saß ich allein in der Kirche und stellte mir vor, meine Großmutter verabschieden zu können, gemeinsam mit der ganzen Familie.

Nur via Videochat dabei

Als mein Großvater starb, schrieb ich die letzte Begegnung, die ich mit ihm einige Jahre zuvor hatte, in mein Tagebuch. Wir konnten nicht in den Iran, er und meine anderen Verwandten nicht nach Deutschland, also trafen wir uns in Istanbul. Wir wohnten in einem Hotel auf dem Taksim-Platz und just brachen die Gezi-Proteste aus. Tagelang manövrierten wir meinen 93-jährigen Großvater durch die Proteste, er betrachtete das alles stoisch, selbst wenn das Tränengas ihm in den Augen brannte.

Als meine Großeltern starben, dachte ich wie beim Tod meiner Großmutter heute an die vielen anderen Menschen, die ähnliches erleben, die getrennt sind von ihren Familien, die nicht einfach so einen Flug buchen können, nach Syrien, nach Afghanistan oder in den Iran. Die, vielleicht, wie ich nach dem Tod meiner Großmutter vor zwei Wochen, Livevideos von Beerdigungen bekommen und mit anderen exilierten Familienmitgliedern weinen und denken, wie wahnsinnig die Welt ist, dass sie einen solchen, sinnlosen Schmerz verursacht.

Der erste Gedanke, den ich hatte, als ich vor zwei Wochen vom Tod meiner Großmutter erfuhr, war: Der Schmerz, den ich gerade verspüre, ist nur ein winzig kleiner Bruchteil des Schmerzes, der weltweit durch politische Gewalt verursacht wird. Und doch fühlt er sich an wie die Welt.

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Gilda Sahebi
Ausgebildet als Ärztin und Politikwissenschaftlerin, dann den Weg in den Journalismus gefunden. Beschäftigt sich mit Rassismus, Antisemitismus, Medizin und Wissenschaft, Naher Osten.
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2 Kommentare

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  • Meine Mutter starb vor einem halben Jahr im Krankenhaus. Ich konnte ihr Sterben zwei Wochen lang am Telefon begleiten. Man ließ mich nicht zu ihr. Erst, als sie tot war.

    Ihr Tod war die Eintrittskarte in die Klinik. Das habe ich bis heute nicht verstanden.

    • @Jim Hawkins:

      So etwas ist nicht zu verstehen. Es ergibt schlicht keinen Sinn für einen Menschen, der von seinen Gefühlen überwältigt wird. So etwas können sich nur Menschen ausdenken, die eine rein theoretische Verantwortung tragen. Zum Beispiel für die Gesundheit von Leuten, die sie nicht kennen und die ihnen auch herzlich egal wären, wäre es anders.

      Es gehört zu den Dingen, die das Leben in einer Gesellschaft mitunter fast in erträglich machen, dass man sich immer wieder entmündigen lassen muss. Sobald das Risiko, Dritte zu gefährden, nicht zuverlässig ausgeschlossen werden kann (und manchmal selbst dann noch), fühlen sich von Amtswegen Zuständige verpflichtet, anderen das Recht auf eigene Entscheidungen ohne vorherige Anhörung komplett oder teilweise zu entziehen (und ganz nach Gutdünken irgendwann wieder zurückzugeben oder auch dauerhaft einzubehalten). Sie haben dazu zwar kein moralisches Recht, aber immerhin ein juristisches. Zumindest bis zum gerichtlichen Beweis des Gegenteils.

      „Verklag‘ mich doch!“ heißt es dann höhnisch, wenn man sich beklagt. Es gibt kein Untechts-Bewusstsein, wo es ein Gesetz gibt, und sei es auch nur ein gefühltes. Gib einem Menschen Macht und du lernst ihn kennen. Wohl dem, dem die Erkenntnis dann noch etwas nützt, weil die Abhängigkeit noch nicht 100%ig ist.