Paraden im Pride-Month: Ein großes Queeres Myzel
In diesem Jahr sind Pride-Paraden wieder möglich. Nach so vielen digitalen Treffen wäre unser Autor gern bei allen Protesten dabei.
N achdem die meisten Pride-Paraden im vergangenen Jahr ausfallen mussten, kommen sie nun zurück. Allerdings immer noch eingeschränkt zwecks Infektionsschutz. So fallen an vielen Orten die üblichen Parade-Wagen weg. Ganz nett, wie ich finde, so gewinnt der Pride hier und da wieder mehr den Charakter einer Demo und es wird Unternehmen und Parteien etwas schwieriger gemacht, das Event als Werbefläche zu benutzen.
Die Pariser Parade, die am Samstag stattfindet, hat sich dieses Jahr passend in „Marsch“ umbenannt. „Wir marschieren für gleiche Rechte, gegen Diskriminierung“, heißt es im Aufruf, „um in unserem Körper, in unserem Geschlecht, in unserem Leben, in unseren Familien zu leben und zu gedeihen“. Paris marschiert dieses Jahr von der Banlieue ins Zentrum. Mit der Präsidentschaftswahl in greifbarer Nähe geht es um – alles: um ein Verbot von Konversionstherapien, von Genitalverstümmelung bei intersex Kindern, um die Gesundheitskrise und gegen Faschismus, der sich in Regenbogenfarben anmalt. Eines ist klar: Les Queers de Paris sont furieux ses. Gut, dass sie wieder Krach machen können. Genau wie in Budapest, wo zeitgleich der Pride-Monat beginnt, wenige Tage nachdem Ungarn ein Zensurgesetz gegen Aufklärung in Schulen verabschiedet hat. Anders leider als in São Paolo, wo die Parade zuletzt erneut ausfallen musste. Das ist auch Realität 2021: Nicht überall ist die Rede von Lockerungen.
In Berlin starten derweil am Samstag drei Demos zeitgleich in unterschiedliche Richtungen. Dort macht man sich ja traditionell mit mehreren Queer-Paraden gegenseitig Konkurrenz. Die „Sterndemo“ am Samstag läuft gleichzeitig in drei Bezirken. Man muss sich entscheiden: Ein Arm erinnert an queere Widerstände in der DDR, der zweite mahnt gegen das Absterben queerer Räume in Berlin nach der Pandemie, der dritte behandelt Rassismus und Transphobie. Ein schöner Gedanke, dass eine queere Demo sich sternförmig langsam in alle Richtungen durch die Stadt gräbt. Dass man ihr, egal wohin man unterwegs ist, nicht aus dem Weg gehen kann. Aber auch schade, denn ich will mich gar nicht entscheiden. Und ich habe die Befürchtung, dass die verschiedenen Teile verschiedene Cliquen anziehen, die sich ohnehin selten begegnen.
Nach diesem Jahr, in dem uns Onlinetreffen und Streams das Gefühl vermittelt haben, überall zu sein, während wir eigentlich nirgends waren, wäre ich am liebsten selber sternförmig. Wäre gerne an all diesen Orten, wo tolle Queers Stimmung machen gegen den Mist der Mehrheitsgesellschaft. Ich wünschte wir wären alle ein großes Queeres Myzel, dessen Pilze unerwartet irgendwo auftauchen und die Idioten wie Hexenringe einkesseln.
Aber am Ende sind wir, Internet oder nicht, nur Körper, die ihren festen Ort haben, ihre Termine und ihre Verletzlichkeiten.
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