Pressefreiheit in Indien: Die Meinungshoheit der anderen
Corona hat die Medienlandschaft Indiens verändert: Social Media wird reguliert, während Arbeitsmöglichkeiten für Journalist:innen schrumpfen.
Es handelte sich um Hinweise, dass die Opposition versuche, dem Ruf Indiens und der Regierung zu schaden. Zwar waren die Geschäftsräume aufgrund des Lockdowns geschlossen, doch es transportierte die Botschaft, dass Indiens Mächtige zunehmend verärgert sind über das Unternehmen.
Nun geht Ravi Shankar Prasad, Minister für Informationstechnologie, auf Twitter gegen Twitter vor. Absichtlich halte sich das Unternehmen nicht an die neuen IT-Regeln, die seit 26. Mai gelten, so der Jurist und Spitzenpolitiker der hindunationalistischen Volkspartei BJP.
Zuvor hatte Twitter eine rechtliche Mitteilung erhalten, da es Konten wiederhergestellt hatte, die Proteste von indischen Bauern unterstützten. Weitere Profile, wie das des Karikaturisten Manjul, sollen gegen das Gesetz verstoßen haben, hieß es in einer veröffentlichten E-Mail von Twitter an den Zeichner.
Beschwerden und Hilferufe häuften sich in den sozialen Netzwerken während der Pandemie: Auf Twitter und anderen Plattformen suchten Nutzer nach medizinischem Sauerstoff und Medikamenten oder ließen ihrer Wut auf die Regierung freien Lauf.
Daraufhin übten manche Politiker:innen Druck aus, wie der Regierungschef des Staates Uttar Pradesh, der verneinte, dass es einen Mangel gäbe. Mit ihnen wuchs auch die Kritik an der Regierung, der Plattformen unter Zugzwang stellt, einzugreifen. Im Fall des Karikaturisten hat Twitter keine Maßnahmen ergriffen. Nun treten neue Regelungen in Kraft. Neuerdings können Mitarbeiter:innen von Social-Media-Plattformen haftbar gemacht werden für Inhalte, die Nutzer:innen teilen.
Regeln außerhalb der Menschenrechtsnormen
Von dieser neuen Regelung wird bald darauf Gebrauch gemacht: Nachdem eine Tat gefilmt wurde, in der Hindus einen Muslim angegriffen haben sollen, zeigte die Polizei drei indisch-muslimische Journalisten, ein kritisches Medienunternehmen und Twitter wegen der Verbreitung des Videos an.
Es wurde zunächst als religiös motiviert eingeschätzt. Doch das kritisiert Minister Prasad. Der Clip, der von zahlreichen Medien und dessen Vertreter:innen geteilt wurde, stifte Gewalt zwischen den Glaubensgemeinschaften an, so Prasad. Zwar ist das Recht auf freie Meinungsäußerung in der indischen Verfassung garantiert, aber es legt auch bestimmte inhaltliche Beschränkungen fest, um religiös-gesellschaftlichen Spannungen entgegenzuwirken.
Doch die neuen IT-Regeln gehen weiter: Auf Anfrage sollen Absender:innen von Nachrichten auf sonst verschlüsselten Messengern wie Whatsapp übermittelt werden. Die Befürchtung ist, dass dadurch die Privatsphäre von Nutzer:innen ausgehöhlt wird. Somit klagte Whatsapp vor Gericht. Expert:innen der Vereinten Nationen warnen: Indiens neue IT-Regeln würden nicht den globalen Menschenrechtsnormen entsprechen.
Die konkurrierende App Signal begrüßte in Indien bereits Millionen von neuen Nutzer:innen, da es seit Längerem Bedenken wegen des Datenschutzes bei Messengerdiensten wie Whatsapp gibt. Diese sind nach einem Abhörskandal vor zwei Jahren und der Tatsache, dass in Indien lockerere Richtlinien als in Europa gelten, nicht unbegründet.
Das liege aber an Indiens schwachen Datenschutzgesetzen, sagt Mishi Choudhary, Anwältin und Geschäftsführerin des Software Freedom Law Centre (SFLC). „Sowohl die Regierung als auch die Tech-Unternehmen behaupten, sie würden die Nutzer:innen schützen, aber in Wirklichkeit sind sie diejenigen, die ohne viel Macht dastehen“, ergänzt Choudhary.
Vor neun Jahren begann sie damit, die Zahl der Internetabschaltungen im Land zu dokumentieren. 2018 wurden die meisten Unterbrechungen verzeichnet: 134. In diesem Jahr waren es bisher 21. „Die Internetfreiheit in Indien ist im dritten Jahr in Folge dramatisch zurückgegangen“, heißt es im letzten Bericht über Freiheit im Netz von Freedom House.
Der Premier als Twitter-Meister
Dass sich der Fokus auf soziale Medien verlagert, verwundert nicht. Für viele internationale Firmen wie Facebook ist Indien mit seiner Bevölkerung von 1,4 Milliarden der größte Markt, zu dem sie Zugang haben. Dazu sind soziale Medien für die Regierung unverzichtbar, um ihre Wähler:innen zu erreichen. Der indische Premier Narendra Modi mit 69 Millionen Twitter-Follower:innen und seine Partei BJP gelten als Meister ihres Metiers.
Doch sie mussten in der Vergangenheit herbe Kritik einstecken. Als die zweite Coronawelle im April zu verheerenden Zuständen im Land führte, trendete auf Twitter der Hashtag #ResignModi. Zwei Monate vorher wurde die Umweltaktivistin Disha Ravi in Untersuchungshaft genommen, da sie über Twitter ein Dokument mit Anleitungen geteilt hatte, um protestierende Bauern zu unterstützen, womit die Regierung gezielt unter Druck gesetzt werden sollte. Das Dokument ging viral: Sogar Greta Thunberg teilte das sogenannte „Toolkit“, das vonseiten der Regierung als antiindische Propaganda aufgefasst wurde.
Monate davor steuerten viele Zeitungen in Indien auf eine Krise zu. In Städten wie Mumbai stand zwischenzeitlich die Druckerpresse still. Es kursierten Gerüchte, dass sich über Zeitungen Corona verbreiten könnte. Dazu kam eine weitere Herausforderung: der eingebrochene Anzeigenmarkt, über den sich viele finanzieren. Eine Folge waren massenhafte Entlassungen im Printmarkt.
„Die Medienhäuser sind weitgehend von staatlicher Werbung abhängig, um zu überleben“, sagt Ramesh Menon, der seit 40 Jahren als Journalist arbeitet und unterrichtet. Was er als Grund nennt, warum so manches etablierte Medium in den vergangenen sieben Jahren begonnen habe, Kritik an der Regierung zu unterdrücken. Indien war ein Land, in dem es der Zeitungsindustrie gut ging.
Doch mit der Pandemie sind die Arbeitsmöglichkeiten für Journalist:innen zurückgegangen, erklärt Menon. Viele Stellen und Gehälter wurden zusammengestrichen, die teilweise bis heute nicht aufgestockt wurden, obwohl sich die finanzielle Lage erholt habe. Der Druck wächst: Vermehrt wurden Medienschaffende unter dem Gesetz zur Verhinderung ungesetzlicher Aktivitäten (Unlawful Activities Prevention Act – UAPA) angeklagt. Die Toleranz für abweichende Meinungen in Indien wird geringer, stellen Beobachter:innen fest.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!