Pandemie in Indien: Im Ganges treiben Coronatote
In Indien breitet sich die Coronapandemie auf dem Land weiter mit Wucht aus. Manchen Familien fehlen die Mittel für eine Bestattung ihrer Toten.
Das Ufer des Ganges ist bekannt für seine Feuerbestattungsstellen. Doch bestätigte die Regierung schließlich, dass es sich bei einigen der Leichen um Opfer von Covid-19 handelt. Bei manchen ließ sich das nachträglich nicht mehr feststellen.
An besonders heiligen Orten ist es jetzt nur noch erlaubt, die Asche von Verstorbenen in den als heilig geltenden Fluss zu streuen. In den letzten Tagen wurden laut der Lokalzeitung Dainik Bhaskar allein in Uttar Pradesh 2.000 Leichen im und am Ganges gefunden.
„Wir haben die Lebenden nicht gerettet, jetzt werden wir die Toten nicht mehr zählen“, sagt die indische Journalistin Barkha Dutt, deren Vater an Covid-19 verstarb.
Titel des Magazins „Outlook“
Zurzeit zieht die zweite Coronawelle über das Land. Nachdem sich Großstädte wie Mumbai und Delhi im Lockdown-Modus langsam erholen, hat die neue Welle jetzt Indiens Hinterland erreicht.
Fast täglich hat Indien zuletzt neue Rekorde bei den Zahlen an Covid-19-Infektionen aufgestellt, die erst ab Sonntag erstmals seit Langem wieder zurückgingen. Trotzdem bleibt die Zahl der Todesfälle mit täglich etwa 4.000hoch.
Die Krematorien sind im Vollbetrieb. Doch manchen Familien fehlt offenbar Geld für eine Bestattung, bei der das Feuerholz wie auch der Priester bezahlt werden müssen, lauten Versuche, die zahlreichen Leichenfunde zu erklären.
Uttar Pradeshs Ministerpräsident Yogi Adityanath versucht jetzt mit Patrouillen und finanzieller Bestattungshilfe, die wilde Entsorgung der Leichen im Fluss zu verhindern. Gerade in ländlichen Regionen fehlt es an vielem – von der medizinischen Versorgung bis zur Aufklärung über Covid-19. Hilfsorganisationen berichten von Dörfern, in denen es viele Menschen mit Symptomen gibt, doch gibt es dort kaum Testlabore.
Kritik an Modi
Unterdessen wächst der Unmut in der Bevölkerung. Der hindunationalistische Premierminister Narendra Modi muss dieser Tage viel Kritik einstecken. Die Presse kritisierte ihn zuletzt wie selten: „Indiens Regierung vermisst“, titelte etwa das Magazin Outlook. Das Wochenmagazin India Today nannte das eigene Land einen „Failed State“.
Mit der Kritik legen auch Zeitungen in lokalen Sprachen nach sowie die Karikaturisten. Modi wird zudem angekreidet, dass er in dieser Krise den Bau eines milliardenschweren neuen Parlamentsgebäudes vorantreibt, statt mehr in den Gesundheitssektor zu investieren.
Doch prallen nicht alle Worte an der Regierung ab. Am Sonntag wurden mehrere Personen verhaftet, die mit Plakaten in der Hauptstadt Delhi fragten, warum Modi die Impfdosen für ihre Kinder exportiert habe. Denn neben Medikamenten ist in Indien auch der Impfstoff knapp geworden.
Zwar wurden bisher 41 Millionen Menschen in Indien komplett geimpft und weitere 141 Millionen haben die erste Dosis erhalten. Doch mussten viele Impfzentren schließen aus Mangel an Vakzinen schließen. Jetzt kam an der Westküste noch eine zweitägige Zwangspause hinzu, weil dort der Zyklon „Tauktae“ über das Land fegte. Zahlreiche Coronapatienten mussten aus Feldkrankenhäusern weiter ins Landesinnere evakuiert werden.
Lockdown-Forderung
Der Leiter des staatlichen medizinischen Forschungsrats (ICMR) fordert, Balram Bhargava, plädiert dafür, dass besonders betroffene Regionen ihre Lockdowns statt bis nächster Woche oder Ende des Monats für sechs bis acht Wochen verlängern sollten. Denn die Lage ist weiter angespannt.
Doch Sorge bereitet nicht nur die Untervariante B.1.617.2 der indischen „Doppelmutation“, die eine erhöhte Übertragbarkeit aufweist. Landesweit tauchen zudem Fälle einer seltenen, aber gefährlichen Pilzinfektion namens Mukormykose bei Corona-Patient:innen mit Diabetes auf. Sie führt zum Verlust des Sehvermögens oder gar zum Tod.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Berliner Kultur von Kürzungen bedroht
Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?
Argentiniens Präsident Javier Milei
Schnell zum Italiener gemacht
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?