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Wintershall-Mediation droht zu scheiternDer große Exodus

Der Umzug der Firma Wintershall ins Gebäude des NS-Dokuzentrums Hannoverscher Bahnhof steht wohl fest. Die Opferverbände boykottieren die Mediation.

Erinnern: Eli Fel von der Jüdischen Gemeinde Hamburg am Gedenkort Hannoverscher Bahnhof Foto: Christian Charisius/dpa

Hamburg taz | Es war von Anfang an ein Problem: für das Gebäude, in dem 2023 das NS-Dokumentationszentrum Hannoverscher Bahnhof residieren soll, einen Zweitmieter mit unbelasteter Vergangenheit zu finden. „Der Eigentümer verpflichtet sich, das Gebäude nicht … in einer Weise zu nutzen oder nutzen zu lassen, die in der öffentlichen Wahrnehmung und insbesondere in der Wahrnehmung der Opfer des Nationalsozialismus … im Konflikt mit dem Zweck des Dokumentationszentrums steht oder der Ausstrahlung eines Gedenkortes abträglich ist“, steht im Vertrag, den die Stadt Hamburg mit Investor Harm Müller-Spreer schloss, der damit auch die Räume des Dokumentationszentrums im Erdgeschoss finanziert.

Doch fast jedes nicht ganz junge Unternehmen ist entweder Nachfolger eines NS-Profiteurs oder war selbst ein solcher. Auch die Firma Wintershall Dea hat ZwangsarbeiterInnen beschäftigt, und als bekannt wurde, dass Wintershall in dieses Gebäude ziehen würde, gab es Proteste.

Nicht nur, dass die Opferverbände im Vorfeld nicht beteiligt worden waren: Auch das mangelnde Feingefühl wurde moniert, und der Hinweis, dass Wintershall seine Vergangenheit aufgearbeitet habe, beruhigte die Opferverbände nicht. Es könne verstörend wirken, wenn einstige Zwangsarbeiter­Innen oder deren Nachfahren beim Besuch des Dokumentationszentrums, das an die Deportation von 8.000 Juden, Sinti und Roma erinnert, das „Wintershall“-Emblem vorfänden, sagte etwa Arnold Weiß vom Landesverband der Sinti.

Da sich die Opferverbände also mit dem Wintershall-­Einzug nicht abfinden wollten, mahnten sie das Schiedsverfahren an, das der Vertrag für diesen Fall vorsieht. Doch Kulturbehörde und Bauherr initiierten stattdessen ein unverbindliches Mediationsverfahren, das Birgit­ Voßkühler, Präsidentin des Hamburger Verfassungsgerichts, leiten sollte.

Einzug trotz Mediation

Dass Wintershall – unabhängig vom Ausgang der Mediation – auf jeden Fall in das Gebäude ziehen wird, hat der Presse­sprecher bereits mehrfach bestätigt. Und weil das so ist, blieben das Auschwitz Komitee und der Landesverband der Sinti gleich dem ersten Mediations­gespräch im Mai fern. Sie seien nicht Vertragspartner und sähen keinen Grund, an einem nicht selbst gewählten Verfahren teilzunehmen, erklärten sie.

Und der Exodus hält an: Dem zweiten Gespräch am 21. Juni blieben auch die Rom und Cinti Union, die jüdischen Gemeinden sowie die Biographie-­Gruppe der Stolperstein-­Initiative fern – nicht aber Peter Hess, Organisator der Hamburger Stolperstein-Verlegungen.

Er habe am ersten Gespräch teilgenommen, „um die Vertreter der Stadt bei dem Versuch zu unterstützen, die Wohlverhaltensklausel gegenüber dem Investor durchzusetzen“, erklärt Stolperstein-Biograph Ingo Wille. Da aber nach diesem Gespräch nicht zu erwarten sei, dass die Büroflächenvermietung an Wintershall Dea rückgängig gemacht werde, habe eine weitere Teilnahme keinen Sinn.

Auch Rudko Kawczynski, Vorsitzender der Rom und Cinti Union (RCU) ist zornig: Er habe vor wenigen Tagen erfahren, dass die Stadt in dieses „Dilemma“ keineswegs versehentlich hineingeschlittert sei. Im ersten Vertragsentwurf habe vielmehr gestanden, dass der Investor vor der Vermietung Rücksprache mit den Opferverbänden nehmen müsse. Dieser Satz sei später durch vagere Formulierungen ersetzt worden.

Vertrag bewusst geändert

„Wir haben sehr kurzfristig davon erfahren, dass bei den damaligen Vertragsverhandlungen ein Passus, der die jetzige Situation hätte verhindern können, von der Stadt bewusst aus dem Vertrag genommen und durch den jetzigen Text ersetzt wurde“, schreiben auch das Auschwitz Komitee, der Landesverband der Sinti und die RCU in einer Erklärung vom 22. Juni und mahnen die Einhaltung der Nutzungsverträge an. „Als ich erfuhr, dass die Stadt so unprofessionell verhandelt hat, war mir klar, dass die RCU nicht mehr teilnehmen würde“, sagt Kawczynski.

Die einzig in der Mediation verbliebenen Opferverbände wären somit die jüdischen Gemeinden gewesen. „Aber dann wären die Opferverbände nicht mehr breit repräsentiert“, sagt Galina Jarkova vom Vorstand der Liberalen Jüdischen Gemeinde. Deshalb sei man ausgestiegen. Auch Daniel Rubinstein, Geschäftsführer der Jüdischen Einheitsgemeinde, sagt, man habe sich kurzfristig zur Absage entschlossen.

Wie es weiter geht, ist unklar; die Kommunikation überlassen Wintershall und Investor in dieser misslichen Lage Birgit Voßkühler. Sie sagt, als Mediatorin trage sie keine Ergebnisverantwortung. „Das tun die Teilnehmenden. Ich bin dafür verantwortlich, dass das Verfahren fair verläuft.“

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1 Kommentar

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  • Zitat: „Sie sagt, als Mediatorin trage sie keine Ergebnisverantwortung. ‚Das tun die Teilnehmenden. Ich bin dafür verantwortlich, dass das Verfahren fair verläuft.‘“

    Na super! Wenn also nur die teilnehmen, die sich ohnehin einig sind, kann eine Mediation nur von Erfolg gekrönt sein, richtig? Wie nennt man sowas? Eine Win-Win-Win-Situation?

    Mir scheint, Mediationen dieser Art passen zum Zeitgeist. Konflikte? Werden instrumentalisiert, nicht gelöst. Kaum jemand übernimmt freiwillig Verantwortung dafür, dass seine/ihre Profession die Gesellschaft insgesamt voran bringt. Man/Frau möchte an persönlichem Profil gewinnen (und sich damit für die nächsten Kartiereschritte empfehlen) und sich nebenher auskömmlich bezahlen lassen. Wenn das zu schwierig scheint, wird die größtmögliche Distanz zum Thema und den übrigen Akteuren gesucht bzw. signalisieren. Polarisierung, scheint’s, ist das Gebot der Stunde. Kompromisse waren selten derart unbeliebt. Sie wirken offenbar, als hätten alle irgendwie verloren und niemand so richtig gewonnen.

    So lässt sich aus Geschichte gar nichts lernen, denke ich. Für die Gegenwart nicht, und für die Zukunft schon gar nicht.