Buchvorstellung von Annalena Baerbock: Im Männerbetrieb der Politik
Annalena Baerbock hat ein Buch geschrieben, in dem sie Parteiprogramm und Persönliches verbindet – mit feministischem Blick.
BERLIN taz | Das Setting ist sorgsam inszeniert. Annalena Baerbock sitzt am Donnerstag in einem grauen Sessel auf der Dachterrasse des Hauses der Kulturen der Welt in Berlin. Neben ihr: Blumen und Pflanzen. Hinter ihr: Der Reichstag, der aus grünen Baumwipfeln ragt. „Das Anpackende steckt in mir drin“, sagt die grüne Kanzlerkandidatin bei der Vorstellung ihres Buches. Sie sei ja in einem Haus groß geworden, wo sehr „viel umgebaut und renoviert werden musste, da war immer etwas zu tun“.
Anpacken, mal einen Nagel reinhauen, ihn gegebenenfalls korrigieren, wenn er schief ist. Es ist ein Bild, das sich auf ihre politischen Ambitionen übertragen lässt. Annalena Baerbock will ein ganzes Land renovieren.
Der Titel ihres Buches klingt auch ähnlich. „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern“ wird am 21. Juni im Ullstein Verlag erscheinen. Die Aufregung um die Ungereimtheiten in ihrem Lebenslauf sind noch frisch, der Grünen-Parteitag erst wenige Tage her, jetzt ist Baerbock wieder im Fokus. Auf die Frage der Moderatorin Janine Steeger, ob es eher ein politisches Sachbuch oder eine Biografie sei, antwortet Baerbock: „Beides.“ Sie habe sich im Coronawinter mit dem Wahlprogramm der Grünen beschäftigt, aber auch mit der Frage „Wo komme ich eigentlich her“.
Vielleicht trifft das ziemlich genau den Grundton des Buches. In Teilen liest es sich wie eine lange Version ihrer Parteitagsrede. Etwas persönlich angereichert wird erläutert, warum es eine Kindergrundsicherung braucht, wie die sozial-ökologische Transformation gelingen kann, wie neue Technologien und eine wertegeleitete Außenpolitik aussehen könnten. Es finden sich darin politische Phrasen wie: „Klimagerechten Wohlstand schaffen wir nur gemeinsam. Mit Politik und Wirtschaft, Kohlekumpeln und Windbauern, Greenpeace und IG Metall.“ Was aber zum Weiterlesen anregt, sind die Anekdoten aus dem Leben einer Spitzenpolitikerin. Denn hier wird deutlich, wie männlich dominiert der ganze Politbetrieb ist.
So schreibt Baerbock, wie die ehemalige Familienministerin Kristina Schröder oben auf einer Liste der „faulsten Abgeordneten des Bundestags“ landete, weil sie bei Abstimmungen fehlte. Diese war aber im Mutterschutz, was als abwesend notiert wurde. Eine fraktionsübergreifende Gruppe setzte sich dafür ein, „diesen Anachronismus zu beenden“ und erstritt auch einen Still-, Spiel- und Wickelraum im Bundestag. Dass ein Wickelraum bis 2015 nicht vorhanden war, sei „ein Ausdruck dessen, dass jahrzehntelang hier vor allem ältere Herren ein und aus gingen, die andere Lebensrealitäten nicht auf dem Schirm hatten beziehungsweise ignorierten“, schreibt Baerbock.
Diese anderen Lebensrealitäten lässt sie bewusst in ihr Buch einfließen. Stellenweise wirkt es pathetisch überdreht, wenn sie etwa schreibt, dass sie 2015 mit Baby auf der Pariser Klimakonferenz war und dem Kind in der Messehalle von Le Bourget versprochen habe, „alles dafür zu tun, damit das Wunder von Paris wahr wird“. Aber das Buch ist getragen von einem feministischen Blick. Ihre Mutter kommt vor, ihre Oma oder jesidische Frauen in einem Flüchtlingslager im Irak, die Baerbock erzählen, wie sie vergewaltigt, versklavt und zwangskonvertiert wurden.
Bei der Buchvorstellung geht es mal um Politik wie Nord Stream 2, mal um Persönliches wie Trampolinspringen zum Abschalten. Interessant wird es, als Baerbock Merkel erwähnt. Sie sei viel zu Kindern und Vereinbarkeit gefragt worden, sagt die Grüne. „Aber die Frage, ob eine Frau in Deutschland Kanzlerin werden kann, diese Frage gab es nicht, weil eine andere Frau vorher das schon erkämpft hat.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Experten kritisieren Christian Lindner
„Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Regierungskrise der Ampel
Schmeißt Lindner hin oder Scholz ihn raus?
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“