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Buchvorstellung von Annalena BaerbockIm Männerbetrieb der Politik

Annalena Baerbock hat ein Buch geschrieben, in dem sie Parteiprogramm und Persönliches verbindet – mit feministischem Blick.

Annalena Baerbock bei der Vorstellung ihres Buches am Donnerstag Foto: Christoph Soeder/dpa

BERLIN taz | Das Setting ist sorgsam inszeniert. Annalena Baerbock sitzt am Donnerstag in einem grauen Sessel auf der Dachterrasse des Hauses der Kulturen der Welt in Berlin. Neben ihr: Blumen und Pflanzen. Hinter ihr: Der Reichstag, der aus grünen Baumwipfeln ragt. „Das Anpackende steckt in mir drin“, sagt die grüne Kanzlerkandidatin bei der Vorstellung ihres Buches. Sie sei ja in einem Haus groß geworden, wo sehr „viel umgebaut und renoviert werden musste, da war immer etwas zu tun“.

Anpacken, mal einen Nagel reinhauen, ihn gegebenenfalls korrigieren, wenn er schief ist. Es ist ein Bild, das sich auf ihre politischen Ambitionen übertragen lässt. Annalena Baerbock will ein ganzes Land renovieren.

Der Titel ihres Buches klingt auch ähnlich. „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern“ wird am 21. Juni im Ullstein Verlag erscheinen. Die Aufregung um die Ungereimtheiten in ihrem Lebenslauf sind noch frisch, der Grünen-Parteitag erst wenige Tage her, jetzt ist Baerbock wieder im Fokus. Auf die Frage der Moderatorin Janine Steeger, ob es eher ein politisches Sachbuch oder eine Biografie sei, antwortet Baerbock: „Beides.“ Sie habe sich im Coronawinter mit dem Wahlprogramm der Grünen beschäftigt, aber auch mit der Frage „Wo komme ich eigentlich her“.

Vielleicht trifft das ziemlich genau den Grundton des Buches. In Teilen liest es sich wie eine lange Version ihrer Parteitagsrede. Etwas persönlich angereichert wird erläutert, warum es eine Kindergrundsicherung braucht, wie die sozial-ökologische Transformation gelingen kann, wie neue Technologien und eine wertegeleitete Außenpolitik aussehen könnten. Es finden sich darin politische Phrasen wie: „Klimagerechten Wohlstand schaffen wir nur gemeinsam. Mit Politik und Wirtschaft, Kohlekumpeln und Windbauern, Greenpeace und IG Metall.“ Was aber zum Weiterlesen anregt, sind die Anekdoten aus dem Leben einer Spitzenpolitikerin. Denn hier wird deutlich, wie männlich dominiert der ganze Politbetrieb ist.

So schreibt Baerbock, wie die ehemalige Familienministerin Kristina Schröder oben auf einer Liste der „faulsten Abgeordneten des Bundestags“ landete, weil sie bei Abstimmungen fehlte. Diese war aber im Mutterschutz, was als abwesend notiert wurde. Eine fraktionsübergreifende Gruppe setzte sich dafür ein, „diesen Anachronismus zu beenden“ und erstritt auch einen Still-, Spiel- und Wickelraum im Bundestag. Dass ein Wickelraum bis 2015 nicht vorhanden war, sei „ein Ausdruck dessen, dass jahrzehntelang hier vor allem ältere Herren ein und aus gingen, die andere Lebensrealitäten nicht auf dem Schirm hatten beziehungsweise ignorierten“, schreibt Baerbock.

Diese anderen Lebensrealitäten lässt sie bewusst in ihr Buch einfließen. Stellenweise wirkt es pathetisch überdreht, wenn sie etwa schreibt, dass sie 2015 mit Baby auf der Pariser Klimakonferenz war und dem Kind in der Messehalle von Le Bourget versprochen habe, „alles dafür zu tun, damit das Wunder von Paris wahr wird“. Aber das Buch ist getragen von einem feministischen Blick. Ihre Mutter kommt vor, ihre Oma oder jesidische Frauen in einem Flüchtlingslager im Irak, die Baerbock erzählen, wie sie vergewaltigt, versklavt und zwangskonvertiert wurden.

Bei der Buchvorstellung geht es mal um Politik wie Nord Stream 2, mal um Persönliches wie Trampolinspringen zum Abschalten. Interessant wird es, als Baerbock Merkel erwähnt. Sie sei viel zu Kindern und Vereinbarkeit gefragt worden, sagt die Grüne. „Aber die Frage, ob eine Frau in Deutschland Kanzlerin werden kann, diese Frage gab es nicht, weil eine andere Frau vorher das schon erkämpft hat.“

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13 Kommentare

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  • @MACHIAVELLI, @FRAU FLIEDER:

    Schreiben Sie doch selber ein Buch.

    Ansonsten. Inszenierung, ja. Politikbetrieb ist so. Müssen wir mit leben. Das ist nicht neu. Der wollig-warme Laschet? Inszenierung (gucken Sie mal, was der für Zombies hinter sich versammelt, von Reul bis Liminski). Der gift-grüne Söder? Sie wissen schon.

    Heisst lediglich: wenn wir unser Kreuzchen gemacht haben, dann fangen unsere demokratischen Pflichten erst an. Und sei's, dass man sich auch mal die Fingerkuppen mit Sekundenkleber versauen muss.

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @tomás zerolo:

      Bin dran.

      • RS
        Ria Sauter
        @83379 (Profil gelöscht):

        Dann unterstütze ich Ihre Verkaufsveranstaltung. Vielleicht werden Sie dann Kanzler. Beeilung bitte!

    • RS
      Ria Sauter
      @tomás zerolo:

      Bin mal grspannt, wer Barrbocks Buch in Wirklichkeit geschrieben hat

      Erfahren wir vielleicht noch.



      Mit der nötigen Unterstützung bekäme ich das auch hin.



      Ich befürchte nur, die Verkaufszahlen wären sehr gering wegen fehlendem politischem Gedöns.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Genau der richtige Zeitpunkt vor der Wahl für die Veröffentlichung.

  • Tia - mal abwarten. Wird sie die Einkünfte aus dem Buchverkauf auch rechtzeitig bei Schäuble melden? Der versteht nämlich etwas vom Geld. Ha Ha! Mein persönlicher Schenkelklopfer!



    Der Bezug zu Habeck von Frau Flieder gefällt mir auch - hätte sie das Buch auch gerade jetzt veröffentlicht, wenn Habeck Kanzlerkanditdat wäre? Calliope vermutet wahrscheinlich auch richtig. In Baerbocks Selbstdarstellung findet der WABCO-Holding-Geschäftsführer Baerbock tatsächlich keine Erwähnung. Selbst bei Wiki steht als Vater "nur" Maschinenbauingeneur. Aber Lebensläufe kann man ja korrigieren. Genug der Zynischen Verwurstung. Die Grünen hätten es schlechter erwischen können - aber auch besser.

  • Ich gewinne immer mehr den Eindruck, dass Annalena Baerbock insgesamt "sorgsam inszeniert" ist. Im Vergleich wirkt Teflonmerkel gerade zu als Person mit Ecken und Kanten...

    • RS
      Ria Sauter
      @Meister Petz:

      Das haben wir uns auch schon gedacht.

  • Wir wünschen dieser Frau, die gelernt hat, 'anzupacken, mal einen Nagel rein[zu]hauen, [und] ihn gegebenenfalls korrigieren, wenn er schief ist', viel Erfolg bei Ihrem Versuch die Männerherrschaft in der deutschen Politik zu brechen - was auch ausstrahlen könnte auf der Herrschaft der Männer in den EU-Gremien.

    Mit ihr als Kanzlerin wird es auch gute Ausssichten geben, daß die Frauenquote wenigstens bei den grünen Abgeordneten endlich realisiert wird - dabei sollten allerdings auch andere intersektional verbundene Minderheiten angemessen berücksichtigt - auch sie müssen sichtbar werden.

    Ohne gelebte 'Diversity, Equity & Inclusion' gibt es in diesem Land keine Zukunft. Es braucht eine klare Disruption des Status Quo in Deutschland - wir stehen am Rande eines Abgrunds, verursacht ist von cis-heteronormativen, frauen- und transfeindlichen Männern.

    Die Angriffe der letzten Wochen auf Frau Baerbock sind - mit guten Gründen - verstummt: die Banalitäten, die ihr vorgeworfen wurden, wären, wenn sie ein Mann wäre, unter den Teppich gekehrt worden.

    Auch hier hat sich wieder gezeigt, daß das Patriarchat immer noch in Deutschland die Zügel in der Hand hält.

    Es ist an der Zeit, das endlich umzukehren: Deutschland will Diversität.

  • RS
    Ria Sauter

    Da wollte wohl die Annalena B. nicht hinter Robert H. zurückfallen.



    Alles so eine Show im Politkbereich.



    Das verursacht Magenschmerzen, diese Selbstdarsteller im Wahlkrampfmodus zu erleben.

  • Mit bangem Blick auf die schwarz-grüne Realität in Hessen: ich drücke ganz fest die Daumen!

  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Warum meint eigentlich jeder Politiker immer diese belanglosen Bücher zu schreiben so in der Mitte ihrer Karriere?

  • Ich frage mich, ob die Betonung der Matrilinearität auch damit zu tun hat, dass Baerbocks Vater zu den Spitzenmanagern der deutschen Industrie gehörte. Jörg Baerbock war Geschäftsführer der WABCO-Holding.