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Proteste in der Rigaer Straße 94Berliner Chaostag

Autonome setzen in Berlin Barrikaden in Brand. Sie wollten verhindern, dass Eigentümervertreter ins Haus kommen. Am Ende erreichen sie das per Gericht.

Brennende Barrikade und Polizei in der Rigaer Straße Foto: Andreas Rabenstein

Berlin taz | Etwa eine halbe Stunde schon brennt die Barrikade in Berlin-Friedrichshain als sich drei Po­li­zis­t*in­nen das erste Mal vorwagen, um einen Blick hinter die Rauchwolken zu erhaschen. Sofort eilt ihnen etwa ein Dutzend schwarz Vermummter, die hinter der Barrikade lauern, entgegen und vertreibt sie durch einen massiven Steinhagel. Die Po­li­zis­t*in­nen müssen sich zurückziehen.

Am Mittwoch gegen 11 Uhr haben mehrere Dutzend Autonome Reifen, Sperrmüll und Absperrgitter auf die Fahrbahn an der Kreuzung Rigaer Straße, Ecke Liebigstraße gezogen und angezündet. In den sozialen Medien riefen sie eine „autonome Zone“ aus und forderten Un­ter­stüt­ze­r*in­nen auf, in einen etwa 130 Meter langen Straßenabschnitt zu kommen und das 1990 besetzte Haus in der Rigaer Straße 94 zu verteidigen. Etwa eine Stunde lang schleppten sie immer mehr Materialien zu drei Barrikaden, deren Rauchwolken weit über Berlin zu sehen waren. Po­li­zis­t*in­nen hielten sie mit Stein- und Böllerwürfen – auch vom Dach des Hauses – auf Abstand.

Mit der Aktion versuchten die Be­woh­ne­r*in­nen und Un­ter­stüt­ze­r*in­nen der Rigaer 94 der Polizei zuvorzukommen. Diese wollte mit einer „roten Zone“ den Bereich rings um das Haus von Mittwoch 15 Uhr bis Freitagmitternacht zur Demoverbotszone erklären. Der Grund für diese Allgemeinverfügung: Am Donnerstag wollten Vertreter der Eigentümer eine sogenannte Brandschutzbegehung des Hauses vornehmen, die durch einen Polizeigroßeinsatz abgesichert werden sollte. Die Haus­be­woh­ne­r*in­nen befürchteten, dass die Überprüfung des Brandschutzes in einer Räumung münden könnte.

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Bei vergangenen Räumungen alternativer Projekte in Berlin, etwa der Neuköllner Kiezkneipe Syndikat im August vergangenen Jahres oder der Kreuzberger Kneipe Meuterei im März waren die Einsatzbereiche ebenso im Vorfeld weiträumig abgesperrt worden. Proteste, die die Einsätze hätten behindern könnten, waren damit unmöglich. Dies hatte viel Kritik innerhalb der linksradikalen Szene hervorgerufen. Die Aktion in der Rigaer Straße am Mittwoch sollte offensichtlich die Strategie der Polizei und die eigene Ohnmacht durchbrechen.

Räumpanzer und Wasserwerfer

Nach etwa einer Stunde war es mit der „autonomen Zone“ jedoch vorbei. Zunächst löschte ein Wasserwerfer den Brand auf der von Autonomen „Dorfplatz“ genannten Kreuzung. Dann durchbrach ein Räumpanzer die Barrikade. Die Angreifer*innen, teils mit Taucherbrillen ausgestattet, flüchteten ins Haus, vor dem sich bald darauf die Polizei postierte.

Eine Sprecherin der Behörde erklärte, 200 Beamte seien im Einsatz, 60 seien verletzt worden. Dabei war zunächst unklar, um was für Verletzungen es sich handelte. Zum weiteren Vorgehen sagte die Sprecherin der taz: „Wir werden, wenn die Schuttreste geräumt wurden, die Allgemeinverfügung umsetzen und dann den Raum so freihalten, dass morgen im Rahmen des Amtshilfeersuchens die Begehung des Hauses durch den Brandschutzgutachter gewährleistet werden kann.“

Außerhalb des verbarrikadierten Bereichs versammelten sich im Verlauf des Vormittags immer mehr Menschen. Eine benachbarte Grundschule forderte Eltern auf, ihre Kinder abzuholen. In der Liebigstraße riefen einige Un­ter­stüt­ze­r*in­nen Sprechchöre gegen die Polizei und für das autonome Projekt. Als mit Leitern ausgerüstete Spezialeinheiten über ein Nachbarhaus auf das Dach der Rigaer 94 vorstießen, vermuteten Be­ob­ach­te­r*in­nen ein Eindringen in das Haus und eine mögliche Räumung. Bis Redaktionsschluss kam es aber nicht zu einem entsprechenden Versuch; Be­am­t*in­nen sicherten jedoch das Dach.

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Ewiger Konflikt

Der Streit über mangelnden Brandschutz in dem teilbesetzen Haus, das nach der Räumung der benachbarten Liebigstraße 34 im vergangenen Oktober das letzte umkämpfte und regelmäßig militant agierende autonome Projekt der Stadt ist, zieht sich bereits seit Jahren hin. Erst im Dezember hatte der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg auf Druck des Berliner Senats eine Begehung durch einen Gutachter angeordnet.

Einem geplanten Termin im März – mit Hunderten auch auswärtigen Po­li­zis­t*in­nen und Vertretern der verhassten Eigentümergesellschaft Lafone Investments Limited – kam der Bezirk allerdings zuvor. Eine eigene Brandschutzprüfung durch einen Sachverständigen der Bauaufsicht im Einvernehmen mit den Be­woh­ne­r*in­nen führte dazu, dass der zwei Tage später anberaumte Großeinsatz abgesagt wurde. Dem zuständigen Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) wurde daraufhin etwa von Innensenator Andreas Geisel (SPD) ein Paktieren mit Linksextremisten vorgeworfen. Er selbst betonte, eine Eskalation vermeiden zu wollen.

Die Prüfung des Bezirkes war zu dem Ergebnis gekommen, dass die vorgefundenen Mängel beseitigt werden können; eine vom Eigentümer angestrebte Nutzungsuntersagung von Seitenflügel und Hinterhaus sei nicht nötig. In den vergangenen Monaten machten sich die Be­woh­ne­r*in­nen daran, die Mängel zu beheben und ließen dies bei zwei Nachkontrollen überprüfen. Ein Urteil des Verwaltungsgerichts und die Anweisung der Bezirksaufsicht zwangen Schmidt und den Bezirk jedoch dazu, eine weitere Begehung eines Brandschutzexperten im Beisein von Ver­tre­te­r*in­nen der Eigentümer anzuordnen – mit dem Recht das ganze Haus inklusive aller Wohnungen zu untersuchen.

Eigentümer dürfen nicht ins Haus

Am Mittwochnachmittag dann aber die überraschende Wende: Die Be­woh­ne­r*in­nen erreichten mit einem Einspruch vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG), dass die Eigentümervertreter bei der Begehung am Donnerstag nicht in das Haus dürfen, sondern nur ein Gutachter und der Bezirk, sicherlich mit Polizeibegleitung.

Grundsätzlich wurde der Antrag gegen die Begehung zurückgewiesen, aber in einem Punkt änderte das OVG den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom Vortag. Demnach werde die aufschiebende Wirkung wieder hergestellt, „soweit die Antragsteller dazu verpflichtet worden sind, das Betreten des Gebäudekomplexes Rigaer Straße 94 durch einen Vertreter oder eine Vertreterin der Eigentümer zu dulden. Das Gericht stützt sich dabei auf die grundgesetzlich verankerte Unverletzlichkeit der Wohnung. Die Befürchtung, dass die Eigentümer im Zuge der Begehung vollendete Tatsachen schaffen und eine Räumung vorbereiten könnten, ist damit minimiert.

Jahrelang hatte sich die Riager 94 juristisch erfolgreich gegen die Eigentümer gewehrt. Der nordenglischen Briefkastenfirma, hinter der sich der Besitzer versteckt, war es weder gelungen nachzuweisen, dass ihr Geschäftsführer ordnungsgemäß ernannt noch ihr Anwalt rechtmäßig bestellt ist. Ein Durchbruch gelang erst im Februar: Zwei Urteile hatten der Lafone gestattet, mit Polizeibegleitung in das Haus zu gehen. Zuletzt waren der Hausverwalter und ein Anwalt im Juni im Rahmen der Vollstreckung von Durchsuchungsbeschlüssen im Haus. Als sie am nächsten Tag wiederkommen wollten, wurden sie vor der Tür von Be­woh­ne­r*in­nen attackiert.

Wahlkampfthema Rigaer Straße

Wie schon vor fünf Jahren, dürfte die Rigaer Straße 94 nun wohl wieder zum Wahlkampfthema der Berliner Abgeordnetenhauswahl werden. Damals unterstütze die Polizei die Eigentümer bei der Räumung der Autonomenkneipe Kadterschmiede im Seitenflügel des Gebäudes, obwohl es keinen Räumungstitel gab. Für den damaligen Innensenator Frank Henkel (CDU) endete die Aktion in einem Desaster und der Abwahl seiner Partei aus der Landesregierung. Der heutige Fraktionschef Burkhard Dregger sagte am Mittwoch: „Viel zu lange haben Teile der Koalition ihre schützende Hand über die Gewaltchaoten in der Rigaer Straße gehalten.“

In der SPD gibt es ebenfalls wenig Sympathien für das Projekt, aber eine Räumung ohne Titel hat Innensenator Geisel ausgeschlossen. Nach der Gewaltaktion sagte Geisel: „Wer Autoreifen anzündet, kämpft nicht für linke Freiräume, sondern drangsaliert den eigenen Kiez.“ Er fügte hinzu: „Es gibt keine Lex Rigaer Straße. Straftaten werden konsequent verfolgt, Gerichtsentscheidungen durchgesetzt.“ Aufgrund des bevorstehenden Einsatzes hat Geisel seine Teilnahme an der am Mittwoch beginnenden Innenministerkonferenz abgesagt.

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5 Kommentare

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  • "Die Endkampf-Fantasien radikaler Linker.

    Das Projekt "Rigaer 94" hat nichts mehr mit dem oft erfolgreichen Widerstand der Hausbesetzer in Berlin zu tun. Nur mal so eine Frage: Was wäre los, wenn es sich dabei um ein Projekt Rechtsextremer in Dortmund oder Dresden handelte?"

    Kommentar von Jan Heidtmann

    www.sueddeutsche.d...er-senat-1.5324925

  • Offenbar leben an den politischen Rändern Leute in vollkommen eigenen Blasen. In der Rigaer meint man, diese Blase auch noch mit brennenden Barrikaden und Steinwürfen auf Menschen verteidigen zu dürfen.



    Ich hoffe, dass die Abgrenzung der politischen und parlamentarischen Linken und der linken Zivilgesellschaft gegen solche Raubritter (denn das sind sie, ebenso wie die Besitzer) besser klappt, als die Abgrenzung der esoterischen, ehrlich besorgten oder schlicht verzweifelten Gegner der Coronaschutzmaßnahmen gegen rechts.

  • "Am Donnerstag wollten Vertreter der Eigentümer eine sogenannte Brandschutzbegehung des Hauses vornehmen, die durch einen Polizeigroßeinsatz abgesichert werden sollte."

    Polizeigroßeinsatz! Dafür sind Polizisten da, jede Menge. Wenn ich hochrechne, wieviele man dann einsetzen sollte, wenn mal wieder ein Asylheim brennt oder brennen soll, bräuchten wir seeehr viele Polizisten. Aber da ist ja dann eher mau´.

  • Sorry, aber der Eigentümer ist doch mehr als dubios. Da ist doch Geldwäsche mittlerweile eindeutig offensichtlich! Ich verstehe nicht, wieso ich als Bürger dafür Großeinsätze der Polizei mitfinanzieren darf, damit Geldwäscher weiterhin den Berliner Immobilienmarkt ungestraft dominieren!

  • Ich habe wenig Sympathien für Briefkastenfirmen, aber noch viel weniger für solche gewalttätigen Idioten. Da wünscht man sich fast, dass die Bude schnellstmöglich geräumt wird.

    Gute Besserung den verletzten Polizisten.