Erntehilfe ohne Sozialversicherung: DGB macht Druck

Dass viele Saisonkräfte legal ohne gesetzliche Krankenversicherung arbeiten können, geht nicht an, findet Rentenversicherungsvorständin Anja Piel.

ERntehelferin bei der Erdbeerernte

Hoffentlich sozialversichert: Erntehelferin bei der Erdbeerernte in Dormagen Foto: Jochen Tack/imago

Berlin taz | Die Bundesvorstandsvorsitzende der Deutschen Rentenversicherung, Anja Piel, will gegen die mutmaßliche Umgehung der Sozialversicherungspflicht bei osteuropäischen ErntehelferInnen vorgehen. Das teilte Piel, die auch Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) ist, als Reaktion auf einen Bericht von taz.de am 28. Mai mit. Die taz hatte aufgezeigt, dass die Rentenversicherung Saisonarbeit, beispielsweise von Hausmännern, automatisch als nicht berufsmäßig und damit sozialversicherungsfrei einstuft.

„Dieser Sachverhalt ist in den zuständigen Gremien neu zu diskutieren und zu prüfen“, so Piel. „Insbesondere bei der Saisonarbeit wird wegen des Lohngefälles zwischen Deutschland und anderen europäischen Ländern sowie Drittstaaten die Kategorie Hausfrau/Hausmann offenbar als Schlupfloch genutzt, um die Sozialversicherungspflicht zu umgehen.“ Der DGB werde „die Frage der Berufsmäßigkeit auf die Tagesordnung bei der Deutschen Rentenversicherung setzen“. Piel ist eine der ArbeitnehmervertreterInnen im ehrenamtlichen Bundesvorstand der Rentenversicherung.

Zahlreiche Erntehelfer seien stark von der nicht versicherten Arbeit in Deutschland abhängig, weil sie etwa in Rumänien viel weniger verdienten, hatte die taz Gewerkschafter und Berater von Wanderarbeitern zitiert. Wenn Tätigkeiten für die Betroffenen so wichtig sind, müssen sie laut Bundessozialgericht als berufsmäßig gelten. Nach dem Sozialgesetzbuch sind sie deshalb versicherungspflichtig. Trotzdem arbeiten etwa als Hausfrauen registrierte Arbeiterinnen ohne Versicherung – die Sozialversicherungsträger sehen ihre Tätigkeit gemäß einer Vereinbarung von 1998 pauschal als nicht berufsmäßig an.

Da auch berufsmäßige Ernte­helfer immer wieder ohne Versicherung arbeiteten, spricht die Industriegewerkschaft Bau­en-­Ag­rar-Um­welt (IG BAU) von „Betrug und Missbrauch“. Diese führten dazu, dass die ArbeitnehmerInnen, beispielsweise bei einer Corona-Erkrankung, mitunter die Behandlung selbst bezahlen müssten. Dabei bekommen sie meist nur den gesetzlichen Mindestlohn von 9,50 Euro die Stunde – oft minus Abzüge für Unterkunft und Verpflegung. Die ArbeitnehmerInnen erwerben auch keine Rentenansprüche. Zudem gehen der deutschen Sozialversicherung Beiträge verloren.

Ominöse Vereinbarung

60 Prozent der Ende Juni 2020 registrierten rund 97.000 ausländischen Aushilfskräfte in der Landwirtschaft hatten laut Bundesagentur für Arbeit ein „kurzfristiges Beschäftigungsverhältnis“ ohne Sozialversicherung – so viel wie in keiner anderen Branche.

Die Deutsche Rentenversicherung teilte nach Erscheinen des taz-Artikels mit, es existiere keine Vereinbarung der Sozialversicherungsträger von 1998, wonach „auf die Prüfung der Berufsmäßigkeit bei ausländischen Saisonarbeitskräften (pauschal) verzichtet werden kann“. Vielmehr seien Fragebögen entwickelt worden, mit denen die Beschäftigung richtig beurteilt werden können soll. „Sofern Arbeitskräfte angeben, Hausmann oder Hausfrau zu sein, ist in den Formblättern seit einiger Zeit zusätzlich zu erklären, wovon sie im Heimatland ihren Lebensunterhalt bestreiten.“

Die Rentenversicherung kontrolliere bei ihren turnusmäßigen Betriebsprüfungen stichprobenartig, ob eine kurzfristige Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wurde. „Die Unterstellung, viele Erntehelfer aus Osteuropa seien illegalerweise nicht sozialversichert und die Sozialversicherungsträger tolerierten diesen Gesetzesverstoß, trifft nicht zu“, so die Pressestelle der Institution.

Frage der Berufsmäßigkeit

Allerdings haben die Sozialversicherer in ihrer Vereinbarung zwar nicht für alle kurzfristig Beschäftigten, aber für bestimmte Gruppen festgelegt: „Keine Berufsmäßigkeit liegt insbesondere bei Beschäftigungen von Schülern, Studenten, Hausfrauen, Selbstständigen oder während eines bezahlten Erholungsurlaubs vor.“ Diese gelte „unabhängig von den wirtschaftlichen Verhältnissen im jeweiligen Heimatland“, heißt es in dem Dokument.

Der Fragebogen soll laut Vereinbarung ausdrücklich sicherstellen, dass „zu einem späteren Zeitpunkt (z. B. im Rahmen von Betriebsprüfungen) grundsätzlich keine erneuten Ermittlungen anzustellen sind“. Die Rentenversicherung hatte der taz auch mitgeteilt: „Nur bei begründeten Zweifeln sind die im bundeseinheitlichen Fragebogen gemachten Angaben zu hinterfragen. […] Weitergehende Ermittlungen sind in der Regel nicht möglich bzw. auch nicht zielführend.“

Die Frage sei, wie oft im Schnitt bei jedem Betrieb das Kriterium Berufsmäßigkeit überprüft wird, sagte Fritz Heil, Leiter der Abteilung Internationales der IG BAU. „Das können zwei, aber auch 10.000 von 100.000 sein. Uns ist kein einziger Fall bekannt, wo im Nachhinein der Status eines Beschäftigten neu beurteilt wurde.“ Bei der Rentenversicherung hieß es, sie führe dazu keine Statistiken.

Skeptisch ist Gewerkschafter Heil bei der Frage, wie aussagekräftig Angaben der Betroffenen zu ihrem Lebensunterhalt auf dem Fragebogen sind: „Wenn man weiß, dass sowieso nicht kontrolliert wird, dann sind solche Angaben quasi wertlos.“

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