piwik no script img

Künstlerin über NSU-Aufarbeitung„Männer mit schlechtem Gedächtnis“

In der Hamburger Ausstellung „Rechtsradikale Realitäten“ zeigt Katharina Kohl Porträts von Menschen, die an den NSU-Ermittlungen beteiligt waren.

Gespenstisch: Katharina Kohls Installation „Erinnerungslücken“ auf Kampnagel Hamburg Foto: Kampnagel
Interview von Petra Schellen

taz: Frau Kohl, wer sind die Männer, deren gemalte Porträts Sie für die Hamburger Ausstellung „Kein Einzelfall“ an die Kampnagel-Wand gehängt haben?

Katharina Kohl: Es sind Menschen, die bei den NSU-Ermittlungen an entscheidenden Schnittstellen saßen: Verfassungsschützer, Polizisten, Kriminalbeamte aller Hierarchieebenen, Staatsanwälte. Sie alle hätten rechten Terror frühzeitig in den Blick nehmen können, statt von migrantischer Clan-Kriminalität auszugehen. Aber die meisten blickten von sich aus nicht nach rechts. Und wer es tat, wurde behindert.

Diese Leute arbeiten im Verborgenen und wollen nicht erkannt werden. Sie haben sie gemalt. Ist das eine Bloßstellung, ein Tribunal?

Nein. Erstens porträtiere ich nie, um Ähnlichkeit herzustellen, sondern um durch diesen kreativen Prozess die Haltung eines Menschen besser zu verstehen: Wie steht er im Raum, in der Welt, mit welcher Haltung übt er seinen Beruf aus? Gerade im Sicherheitsbereich fällt es besonders ins Gewicht, ob jemand seinen Beruf engstirnig, großzügig, akribisch oder lässig ausübt. Ob er zum Beispiel ausschließlich mit Menschen seiner Hierarchieebene spricht. Oder ob er nur in die Richtung schaut, die sein Vorgesetzter vorgibt, ob ihn vielleicht Opportunismus und Karrieregründe leiten. Das ist ein Bündel von Motivationen.

Der Sicherheitsapparat wäre demnach also nicht gezielt auf dem rechten Auge blind?

Im Ergebnis natürlich schon, denn er ermöglicht die Fortführung rechten Terrors bis heute, wie das Attentat von Halle und die Drohmails des “NSU 2.0“ zeigen. Ich würde das aber nicht jedem einzelnen Ermittler unterstellen. Dafür kenne ich die individuellen Beweggründe zu wenig.

Warum haben Sie sich überhaupt mit der Aufarbeitung der NSU-Morde befasst?

Weil einer der zehn Morde des „Nationalsozialistischen Untergrunds“, derjenige an Süleyman Taşköprü, 2001 ganz in der Nähe meines damaligen Hamburger Ateliers passierte. Ich war entsetzt darüber, dass jemand unbehelligt in einen Laden gehen und einen anderen erschießen kann – und dass die Polizei dann auch noch die Angehörigen des Opfers verdächtigt. Als klar wurde, dass der NSU – und er bestand nicht nur aus Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, sondern aus einem bundesweiten Netzwerk – verantwortlich war, habe ich intensiv dazu recherchiert. Denn es waren ja gerade keine Einzelfälle.

Aber warum ausgerechnet die Ermittler malen?

Den Ausschlag gab der thüringische Verfassungsschutzpräsident Helmut Roewer, der 2012 öffentlich über die NSU-Morde sagte: „Damit muss man leben.“ Das hat mich sehr schockiert. Ich wollte wissen, was er für ein Mensch ist und beschloss, ihn zu aquarellieren. Das ist eine sehr schnelle, intuitive Malweise, die mir einen von persönlichen Urteilen und Vorurteilen ungetrübten Blick erlaubt. Dann merkte ich, ich will mehr wissen, ich will auch die anderen sehen. Deshalb bin ich zu etlichen Untersuchungsausschüssen gefahren und habe 39 weitere Porträts gemalt – ausschließlich Männer, weil sie den Sicherheitsapparat zu 99 Prozent prägen.

Und es sind Männer mit schlechtem Gedächtnis.

Ja, viele beriefen sich gerade dann, wenn es interessant wurde, auf Gedächtnislücken. Das war sehr enttäuschend. Um meine Machtlosigkeit zu überwinden, habe ich die Praxis des Aktenschwärzens umgedreht und 40 Protokoll­auszüge geschwärzt bis auf Sätze wie „Es ist mir nicht erinnerlich“ oder „Dass es mir nicht erinnerlich ist, deutet in die Richtung, dass es nicht stattgefunden hat“. Eins dieser von mir geschwärzten Protokolle läuft jetzt auf Kampnagel über einen Monitor. Er steht in einer begehbaren schwarzen Box, während einzelne Zitate über eine Tonspur vorgelesen werden. Oberhalb sieht man per Video Aktenordner wie an einem Kettenkarussell vorbeiziehen. Endlos wie die seit Beginn der – immer noch unvollständigen – Ermittlungen verflossene Zeit. In Hamburg zum Beispiel hat es bis heute keinen NSU-Untersuchungsausschuss gegeben.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • "Ist das eine Bloßstellung, ein Tribunal? - Nein. Erstens porträtiere ich nie, um Ähnlichkeit herzustellen, sondern um durch diesen kreativen Prozess die Haltung eines Menschen besser zu verstehen: Wie steht er im Raum, in der Welt, mit welcher Haltung übt er seinen Beruf aus?"

    Natürlich ist es eine Bloßstellung.

    Allein schon durch die selektive Auswahl von jenen, die sich um NSU-Ermittlungen kümmern. Als wenn Journalisten, Gruppen, Einzelpersonen außerhalb der staatlichen Ermittlungen nicht Wissen zusammengetragen haben, Kontakte geknüpft oder angezapft haben. Und das alles ohne auch nur irgendwie diesen Part mit darzustellen.