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Vor der Landtagswahl in Sachsen-AnhaltDie guten Jahre von Kenia

Die Magdeburger Koalition aus CDU, SPD und Grünen war eine der Notwehr – gegen die AfD. Sie war besser als ihr Ruf und könnte erneuert werden.

Plakate der CDU, der Grünen und der SPD. Wird Kenia sich fortsetzen? Foto: Michael Taeger/imago

Die Kenia-Koalition, die seit 2016 in Sachsen-Anhalt regiert, war von Beginn an eine Notlösung. CDU, SPD und Grüne mussten sich zusammentun, denn alles andere hätte damals eine Mitregierung der AfD eingeschlossen. Oder der Linken, für die CDU war auch das keine Option. Wenn an diesem Sonntag wieder gewählt wird in Sachsen-Anhalt, dürfte es ähnlich laufen: Parteien, die eigentlich wenig gemeinsam haben, schließen sich zusammen, um die AfD von der Macht fernzuhalten.

Das muss nicht nur schlecht sein, wie ein Blick auf die vergangenen fünf Jahre Kenia-Koalition zeigt. Medien bescheinigten dem Zweckbündnis anfangs, es sei hauptsächlich mit Krisenmanagement beschäftigt und mache „einen miserablen Eindruck“. Doch inzwischen überwiegt bei politischen Beobachtern die Anerkennung. Schon die Tatsache, dass die Magdeburger Koalition trotz der enormen Belastungen und Zerreißproben hielt, begründet diesen Respekt. Und wenn man sich anschaut, was das Bündnis an konkreten Sachfragen umgesetzt hat, ist das eine ganze Menge.

Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) blickte Anfang Mai sehr zufrieden auf die zweite Periode seiner nun schon zehnjährigen Amtszeit zurück. Es reichte sogar zu ungewohnter Ironie, als er in die Kabinettsrunde fragte: „Gibt es jemanden, der sich nicht wohlgefühlt hat?“ Die Erleichterung über halbwegs gemeinsam überstandene Jahre war auch den Koalitionspartnern SPD und Bündnisgrünen anzumerken.

Denn es gab sie ja, die schwierigen Zeiten. Besagtes Zweckbündnis startete schon unter ungünstigen Vorzeichen: Alle drei Parteien waren 2016 enttäuscht von ihrem Wahlergebnis und schockiert von den 24,3 Prozent für die AfD. Das führte auch zu einem Profilierungsdrang in der Koalition. Die Zähmung der Widerspenstigen war selbst für einen wie Haseloff Schwerstarbeit, der sich in Erinnerung an sein kirchlich-ökologisches Engagement in der DDR „eigentlich als ein Grüner“ fühlt.

Unionsfraktion als Unsicherheitsfaktor

Er und Fraktionschef Siegfried Borgwardt hatten nicht nur die Koalition auszubalancieren, sondern auch noch die eigenen Leute zu disziplinieren. Denn die unberechenbare Unionsfraktion erwies sich als der größte Unsicherheitsfaktor, herausgefordert freilich durch die programmatisch so anderen Grünen. Schon in den ersten Koalitionsmonaten unterstützten Teile der CDU einen regelrechten „Bauernkrieg“ gegen die grüne Umwelt- und Agrarministerin Claudia Dalbert.

Die Kunst besteht darin, dass es immer drei Gewinner geben muss

Reiner Haseloff (CDU)

Wiederholt fehlten der Koalition mit ihrer knappen Zwei­sitze­mehr­heit bei Personalwahlen und Sachentscheidungen Stimmen aus den eigenen Reihen. In Verdacht geriet stets die Union, deren Landesverband als der konservativste in Deutschland gilt.

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Cornelia Lüddemann ­bekam es als Kandidatin für die Verfassungsschutz-Kontrollkommission ebenso zu spüren wie Nils Leopold als designierter Datenschutzbeauftragter. Lüddemann brauchte einen zweiten Anlauf, und einen gewählten Datenschutzbeauftragten hat das Land bis heute nicht. Im August 2018 drohte die SPD mit dem Koalitionsbruch, sollten CDU-Teile weiterhin AfD-Anträgen zustimmen. Unbeeindruckt taten Christdemokraten dies ein knappes Jahr später erneut, als die AfD einen Untersuchungsausschuss Linksextremismus einsetzen wollte.

Vor dem Bruch stand die Koalition, als Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) mehr Videoüberwachung und mehr sichere Herkunftsländer für Flüchtlinge wollte. Es krachte, als der konservative Polizeigewerkschafter Rainer Wendt Innenstaatssekretär werden sollte, es krachte zuletzt bundesweit vernehmlich, als die CDU Ende 2020 den Rundfunkstaatsvertrag ablehnte. Und als sich Stahlknecht in der Folge für eine von der AfD tolerierte Minderheitsregierung der CDU aussprach, musste er zurücktreten.

Mehr Erreichtes als Unerledigtes

Dass die Koalition nicht zerbrach, ist nicht allein ein Verdienst von Haseloff, der als Koalitionspatriarch die divergierende Truppe zusammenhielt. Alle drei Partner haben trotz aller Differenzen einen Weg gefunden, gemeinsam zu regieren – und den Koalitionsvertrag weitgehend umzusetzen.

Auch das ist ein Grund, warum die Kenia-Koalition im Land nach anfänglicher Skepsis inzwischen positiver gesehen wird. Eine Bilanz der fünf Jahre zeigt weit mehr Erreichtes als Unerledigtes. Das hat das Bündnis auch den günstigen Steuereinnahmen zu verdanken. Alle drei Partner können jetzt anteilig die Umsetzung ihrer Vorhaben präsentieren. „Die Kunst besteht darin, dass es immer drei Gewinner geben muss“, hatte Ministerpräsident Haseloff das Erfolgsgeheimnis dieser anstrengenden Partnerschaft beschrieben.

So konnte die CDU beispielsweise den Weiterbau der Autobahn A 14 nach Norden als Erfolg verbuchen. Ein Kompromiss mit den Grünen und dem BUND ermöglichte weitgehendes Baurecht. An eine Autobahn­erschließung der strukturschwachen Region nördlich von Magdeburg werden dort schon quasireligiöse Hoffnungen geknüpft.

Die SPD konnte sich mit der Forderung eines höheren Budgets für die Hochschulen durchsetzen, in der Kultur wird auf ihr Wirken hin wieder nach Tarif bezahlt. Die Grünen wiederum verweisen darauf, dass sie die Mittel für Radwege versechsfacht haben. Das wird sogar in den sonst nicht gerade grünenfreundlichen nördlichen Landesteilen goutiert. Die Grünen setzten auch die Unterschutzstellung des „Grünen Bandes“ entlang der ehemaligen DDR-Grenze nach Niedersachsen durch. Auch die Reform der Landesverfassung trägt die Handschrift von SPD und Grünen, sie enthält nun eine antifaschistische Klausel und berücksichtigt den Klima- und den Tierschutz, der Begriff „Rasse“ wurde gestrichen.

Kein Laborversuch mehr

Es gab viele Veränderungen, die die drei Parteien gleichermaßen als Erfolg sahen, etwa die Erhöhung bei den Lehrerstellen oder die Schaffung von 700 neuen Polizeianwärterstellen. Nach einer Parlamentsreform tagen nunmehr die Ausschüsse öffentlich. Beim Breitbandausbau geht es immerhin voran, auch wenn Linken-Spitzenkandidatin Eva von Angern dessen Tempo für den dringenden Anschluss der in Sachsen-Anhalt dominierenden ländlichen Räume als unzureichend kritisiert. Nicht erreicht wurden ein modernes Gleichstellungsgesetz, ein Paritätsgesetz für quotierte Wahllisten oder ein Agrarstrukturgesetz.

Alles in allem hat das Kenia-Bündnis ganz nüchtern betrachtet einiges erreicht. Kenia ergeht es ähnlich wie der jetzigen GroKo in Berlin: Gemessen an den Ergebnissen war diese Koalition besser als ihr Ruf. Landtagspräsidentin Gabri­ele Brakebusch (CDU) stellt rückblickend nicht der Sacharbeit, aber dem Klima im Landtag ein schlechtes Zeugnis aus. „Die Respektlosigkeit hat inzwischen Überhand genommen“, sagte sie und warf dies nicht nur der AfD vor, die fast alle der 18 Ordnungsrufe kassiert hatte. Auch die anderen Fraktionen hätten sich „von dieser aufgeheizten Stimmung mitreißen lassen“.

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Und dennoch wird sich im neu zu wählenden Landesparlament wahrscheinlich die Konstellation „AfD gegen alle“ und umgekehrt wiederholen. Zumindest die erste Reihe der CDU distanziert sich weiterhin klar von der AfD. Mit der Rückkehr der einst starken Liberalen nach zehn Jahren könnte eine sechste Landtagsfraktion hinzukommen – und damit neue Koalitionsoptionen eröffnen. Die Grünen machen schon einmal ein Klimaschutzgesetz zur Bedingung für die erwartete Fortsetzung von „Kenia“. Wie hatte ihre Fraktionschefin Cornelia Lüddemann schon Ende 2016 orakelt? „Wenn Kenia kippt, ist das der Beginn von Schwarz-Blau!“ Ein Spruch, der weiterhin gelten dürfte.

Kenia war 2016 noch ein Wagnis, von Haseloff als „Weltneuheit“ gepriesen. Im aktuellen Wahlkampf wirbt er nun mit dem an den ersten Bundeskanzler Adenauer erinnernden Spruch „Jetzt ist nicht die Zeit für Experimente“. Vielleicht zeigt genau das, was sich in den vergangenen fünf Jahren in Sachsen-Anhalt verändert hat: Die Kenia-Koalition ist längst kein Laborversuch mehr.

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6 Kommentare

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  • Es geht ja auch nicht nur darum, dass sie irgendwas 'schaffen', sondern dass das dann auch sinnvoll für Menschen und deren Zukunft ist. Und vielleicht gelingt das besser wenn man sich mal zusammen reißt und ernsthaft Kompromisse eingeht anstatt das politische Wunschkonzert umzusetzen.



    Davon mal abgesehen, wenn dort AfD gewählt wird, ist es vielleicht auch mal an der Zeit, dass sie eine AfD-Koalition bekommen... oder die Partei muss halt wirklich verboten werden wenn sie nicht tragbar für die Demokratie ist.

  • Was unterscheidet denn so eine "Villa Kunterbunt"-Koalition von wechselnden Mehrheiten ?



    Die Koalitionsverträge.

    Die grad' von den C*U-Parteien stets genutzt werden, um den Anderen fette Kröten in den Hals zu stopfen. (wobei die Grünen da mächtig aufholen!)

    Letztlich beschneiden derlei Verträge die Entscheidungsfreiheit der Abgeordneten mittlerweile weit mehr als es der Demokratie zuträglich wäre.

    Und da diese Verträge ja bis zum Wahltag in der Regel auch noch geheim gehalten werden grenzt das allemal an Wählertäuschung (die ja nicht verboten ist)

    Und hier zu argumentieren dass man ja auf keinen Fall die Stimmen der AfD haben möchte ist zu kurz gesprungen - denn die AfD bringt ja einfach die Herzensanliegen der Koalitionspartner als AfD-Antrag ein und damit muss die Koalition letztlich gegen die eigenen Überzeugung stimmen.

    Es gibt nur ein Mittel gegen die AfD: Ehrliche Politik, Politik für den Bürger und dogmafreie Sachpolitik.

    Aber diese Arznei ist den Parteien einfach zu bitten.

    • @Bolzkopf:

      Aber was spricht für die Annahme, dass ein regieren mit wechselnden Mehrheiten zu weniger Krötenschluckerei führen würde und nicht dazu, dass jede einzelne Abstimmung ein Krampf wird und Zustimmugn im Zweifel mit fragwürdigen Deals zum Höchstpreis erkauft werden muss. Das fängt ja schon damit an den*die MP ins Amt zu wählen, was sollte eine Fratkion dazu bewegen eine Person auf diese Posten zu wählen wenn absehbar ist, dass diese nach der Wahl auch mit dem jeweiligen poltischen Gegner gemeinsame Sache macht weil eben kein Koalitionsvertrag existiert in dem man sich über die roten Linien verständigt hat. In einem politischen System in dem Legislative und Exekutive so eng miteinander verzahnt sind wie es hierzulande der Fall ist so eine Konstellation praktisch gleichbedeutend mit permanenter Regierungskrise. Die Minderheitsregierungen die es bislang gab basierten deshalb idR auf einer Tolerierung und hielten meist trotzdem nicht allzu lange. Und wie sinnvoll eine Minderheitsregierung in einer Konstellation wäre in der es letztlich eine Allparteienkoalition gegen die AfD braucht erscheint mir noch fraglicher, das macht eigentlich nur dann Sinn wenn tatsächlich bereit ist mit dieser zu kooperieren. Ich hoffe sehr, dass ein solches Vorgehen für die übrigen demokratischen Parteien Anlass genug wäre jeder weiteren Zusammenarbiet mit einer solchen Minderheitsregierung eine kategorische Absage zu erteilen und damit Neuwahlen auszulösen.

  • Wohl eher: War besser wie erwartet.

    Da aber wirklich niemand etwas erwartet hatte war das nicht so schwierig.

    Und zumindest dem aufgeklärten Wähler muss jede der Wahlkämpfer aus den beteiligten Parteien "Kröten, die geschluckt wurden" erklären, bei der er gegen seine eigene Überzeugung argumentieren muss. Herzlichen Glückwunsch zu einem Einheitsbrei aus drei Parteien, die nun wirklich kein bisschen zusammen gepasst hatten und passen.

    • @NN:

      Aber welche andere Möglichkeit hätte es mit den dortigen Mehrheitsverhältnissen gegeben? Mir ist eine schwarz-rot-grüne Koalition die sich trotz vieler inhaltlicher Differenzen irgendwie zusammenrauft alllemal lieber, als ein konservativ-völkisches Bündnis, das sich prächtig versteht aber das Land in eine Richtung lenkt in des es eigentlich 'nie wieder' gehen sollte.

  • "Sie war besser als sein Ruf und könnte erneuert werden."



    grammaralarm! @redaktion