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Armuts- und ReichtumsberichtSoziale Sicherheit für Arme

Hannes Koch
Kommentar von Hannes Koch

Die sozialen Unterschiede in Deutschland könnten noch wachsen. Das muss nicht so sein. Nötig wären Sozialversicherungen und eine Lohnuntergrenze.

Für manche die einzige Chance, was dazuzuverdienen: Pfandflaschen sammeln Foto: Joko/imago

S oziale Unterschiede wird es immer geben – in der materiellen Ausstattung, aber auch dem sozialen und kulturellen Kapital, das die Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung haben. Diese Differenzen sind nötig und schaden nicht. Sie sollten aber nicht zu groß werden. Ausweislich des neuen Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung sind nun um die 16 Prozent der Menschen in Deutschland arm. Diese Größenordnung stört das Gerechtigkeitsempfinden, wie zahlreiche Umfragen zeigen.

Deshalb wäre es besser, wenn die Armutsquote sänke. Eine Politik, um das zu erreichen, können die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien machen – oder auch lassen. Auf Druck der SPD wurde 2014 der gesetzliche Mindestlohn eingeführt, was die Armut reduzierte. Mehr davon wäre nun nötig. Nach der Coronakrise sollte die Lohnuntergrenze deutlich steigen. Damit könnte nicht nur die soziale Lage verbessert, sondern auch die Produktivität der Unternehmen und damit den Wohlstand insgesamt gesteigert werden.

Weitere Maßnahmen einer vernünftigen Sozialpolitik könnten sich daran anschließen. Wie gerade die Coronakrise zeigt, fehlt bisher eine Sozialversicherung für Selbstständige, die ähnlich funktioniert wie die Künstlersozialkasse, die also Sicherheit bietet bei relativ niedrigen Beiträgen. Ebenso könnte die nächste Bundesregierung einen Bildungsgutschein im Wert von 20.000 Euro für alle Bürgerinnen und Bürger einführen. Bildung schützt vor Armut.

Finanzieren ließe sich das über höhere Steuern auf große Erbschaften und Immobilien. Im internationalen Vergleich hat Deutschland hier Nachholbedarf. Und wer es noch grundsätzlicher will, kann über ein System der negativen Einkommenssteuer nachdenken. Die Idee: Bis zu einer bestimmten Summe bekommt man vom Finanzamt einen Zuschuss zum Lebensunterhalt überwiesen. Wer mehr verdient, muss steigende Steuern zahlen.

Damit würde zwar nicht die relative Armut in einer reichen Gesellschaft abgeschafft, aber soziale Sicherheit für alle garantiert. Und darum geht es eigentlich.

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Hannes Koch
Freier Autor
Geboren 1961, ist selbstständiger Wirtschaftskorrespondent in Berlin. Er schreibt über nationale und internationale Wirtschafts- und Finanzpolitik. 2020 veröffentlichte er zusammen mit KollegInnen das illustrierte Lexikon „101 x Wirtschaft. Alles was wichtig ist“. 2007 erschien sein Buch „Soziale Kapitalisten“, das sich mit der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen beschäftigt. Bis 2007 arbeitete Hannes Koch unter anderem als Parlamentskorrespondent bei der taz.
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4 Kommentare

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  • " Diese Differenzen sind nötig und schaden nicht. "

    schon diese prämisse ist falsch:sie schaden immer-und desto mehr je grösser sie werden.es gibt keine harmlose soziale ungleichheit sondern nur eine mehr oder weniger schädliche. ausserdem ist es auch absurd davon auszugehen das nötige könne doch nicht schädlich oder gar schlecht sein



    wegen der problematischen natur des menschen ,also um es knapp zu sagen wegen deren systematischen überforderung durch das leben in einer grossen gesellschaft und wegen der unvermeidlichkeit mit der sich in einer solchen der egoismus der sozialen kontrolle entzieht und dysfunktional wird ist vieles nötig dass nicht gut sondern per se schlecht ist :zu den notwendigen übeln ,die insofern notwendig sind als der versuch sie abzuschaffen nicht etwa zu ihrer überwindung sondern nur zu noch grösseren übeln führt:gehören sowohl die staatliche gewalt ,als auch der markt ,das privateigentum und die soziale ungleichheit.im zeitalter der finsternis wird es diese übel immer geben.aber man kann sie begrenzen ,und dadurch auch das leiden das sie verursachen begrenzen



    statt sich eine falsche welt schön zu lügen die als solche eine schlechte verkehrte und stets zum bösen tendierende ist sollte man die sünde dieser welt als etwas akzeptieren dass zwar nicht überwindbar ist zu dessen begrenzung wir aber verpflichtet sind.

    im hinblick auf die begrenzung der verschiedenen notwendigen übel dieser von anfang an verkehrten welt gibt es zielkonflikte.

    zum beispiel kann man das übel der staatlichen gewalt und das übel des marktes nicht gleichzeitig minimieren



    weil die minimierung des einen übels zur maximierung des anderen führt

    maerkte funktionieren auch mit vermögensobergrenzen und hohen spitzensteuersätzen und ohne totalen arbeitszwang und globalisierte konkurrenz .auf einigen gebieten sind sie so schädlich dass man sie am besten ganz abschafft.



    aber auch märkte für die das nicht gilt und die man darum nur reguliert sind scheussliche realitäten

  • Armut, Unterschicht,

    Schlagwörter die so in die Landschaft passen wie Treuepflicht und Fürsorgepflicht im Arbeitsvertrag.



    Allumfassend ist eigentlich nicht das System - in dem Fall der Kapitalismus - das zwingend Ungleichheit schafft, sondern es sind die jeweiligen Akteure in der Absicht ihre Besitzstände zu mehren respektive zu erhalten.

    Der Kapitalismus funktioniert, wenn alle über Kapital - Lizenzen, Patente, Fähigkeiten die gebraucht werden, Bildung Geld, Eigentum - verfügen. Ist das nicht der Fall, verliert die jeweilige Person an Marktmacht, sinkt zum Lohnsklaven herab welcher der Willkür andere Akteure ausgesetzt ist.

    Mittelfristig kippt dann das System. Damit es nicht soweit kommt, muss logischerweise die Marktmacht jener erhöht, also mit Kapital versorgt werden, die es verloren haben oder daran sind es zu verlieren. Sonst kann das System eben nicht funktionieren. Das sollte Aufgabe des Staates sein!

    Nun leben wir in einer Zeit, in der die immer weiter steigende Produktivität mit sinkenden direktem Einsatz menschlicher Arbeitskraft einher geht. Die materielle Versorgung wird eine immer geringere Rolle spielen. Armut und Unterschicht macht sich folglich an anderen Kriterien fest, offenbart sich ungleich dem was wir aus der Vergangenheit als Unterschicht oder Armut erkannten.

    Ja da ist die Wohnungsnot, überhöhte Energiekosten, aber da ist auch der verwahrloste Reiche, Akademiker die abergläubigem Nonsens nachlaufen, Menschen aus einer Schicht von denen man eigentlich erwartet das sie lang leben aber tatsächlich schnell sterben ,und vice versa, Menschen die über keinen materiellen Reichtum verfügen aber gut mit Krisen klar kommen, jung dynamisch bleiben und lange leben, ein Paradoxon?

    Das mit der Unter und Oberschicht ist also ganz so einfach nicht. Oder würde jemand Trump zur Oberschicht und Elite zählen? Hätte der Burger und Coke konsumierende Fettwanst, wäre er nicht mit einem Silberlöffel geboren, nicht schon längst das Zeitliche gesegnet?

  • Ganz ehrlich: ich verstehe es nicht. Es ist ja nicht so, dass in Deutschland nicht bereits massiv Umverteilung wird. Laut OECD hat Deutschland (mit) die höchste Steuer- und Abgabequote der Welt. Die Sozialausgaben im Gesamthaushalt liegen mittlerweile laut Bundesfinanzministerium bei 57%. Sorry, aber wenn dann die Armut trotzdem steigt läuft doch irgendwas falsch. Sind wir zu blöd zum Umverteilen?

  • Eine negative Einkommenssteuer ist nichts anderes als eine Subvention und damit Forcierung des Niedriglohnsektors - der Gedanke ist nur von der Tapete bis zur Wand gedacht.