Die Wahrheit: Den Blick zu Boden ins Verderben
Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (122): Rotmilane geraten immer häufiger in die Flügel von Windrotoren.
Von allen Vögeln gerät der Rotmilan am häufigsten „in den tödlichen Sog der drehenden Rotoren von Windkraftanlagen“, schreibt der bayerische Landesbund für Vogelschutz (LBV). Mehr als 160-mal wurde der Rotmilan in Deutschland als „Schlagopfer“ nachgewiesen – und die Dunkelziffer ist enorm, weil der erschlagene Vogel, bevor man ihn registriert, bereits von Füchsen, Dachsen, Ratten etc. verschleppt worden sein kann – oder man ihn etwa in Getreidefeldern nicht findet.
Eine Studie des Bundeswirtschaftsministeriums über die Gefährdung von Vögeln durch Windkraftanlagen kommt zu dem Ergebnis, dass neben dem Rotmilan auch der Mäusebussard bedroht wird, was für die Anlagenaufsteller heißt, dass der Ausbau damit ausgebremst werden könnte, denn „man wird wenige Standorte finden, an denen kein Mäusebussard zu finden ist“, wie es auf „erneuerbareenergien.de“ heißt.
Die Falknerin Tanja Brandt, die sich um verletzte Vögel kümmert, schreibt in ihrem Buch „Die Eulenflüsterin“ (2019), dass sie schon mehrmals zu von Windkraftanlagen verletzten Bussarden geholt wurde, die in der „Greifvogelhilfe“ nur noch getötet werden konnten. Einmal ein Wespenbussard-Weibchen, „das im Balzflug gewesen war, als sie vom Rotorblatt eines Windrads getroffen wurde.“
Dem LBV zufolge zeigt „der Rotmilan leider keine Scheu vor diesen Anlagen“ – vor allem „beim Thermiksegeln“ und bei „Balzflügen“. Auf „rotmilan.de“ wird ein weiterer Grund genannt: „Der Vogel ist zur Jagd auf Nahrungsflächen mit kurzer Vegetation angewiesen. Das bieten in intensiv genutzten Ackerbaugebieten vom Frühjahr bis zur Ernte oft nur die Freiflächen unter den Rotoren. Die Vögel jagen dann genau dort und kollidieren mit den Rotoren, weil sie diese aufgrund ihres zum Boden gerichteten Blickes nicht kommen sehen.“
Diese Vögel sind hochmobil
Die Arbeitsgruppe Naturschutz der Universität Marburg hat eine „Projektseite ‚Rotmilane in Hessen‘“ eingerichtet, auf der sie darüber berichtet, was die zwanzig von ihnen eingefangenen und mit Sendern ausgerüsteten „hochmobilen Vögel“ für „Bewegungsmuster“ zeigen. Wenn wir die verstehen, „können die Effekte, die verschiedenen Landnutzungsformen und auch WKAs auf den Rotmilan haben, besser abgeschätzt werden“. Wo die Rotmilane beim Annähern an WKAs ihre an sich doch guten Augen haben, lässt sich damit jedoch nicht rausbekommen.
Auch die Wissenschaftler der Abteilung Naturschutzbiologie der Uni Göttingen besendern Rotmilane, um mehr über ihre Gewohnheiten zu erfahren. Um gleichzeitig ihre Lebensbedingungen zu verbessern, lassen sie schon mal einige Grünlandflächen während der Brutzeit mehrmals mähen, sodass die Vögel ihre Beutetiere von oben leichter erkennen können. Was kann man staatlicherseits noch für die Rotmilane tun? Man könnte ihre Reviere zum Ausschlusskriterium für die Errichtung von Windkraftanlagen erklären, also die Abstände von Windturbinen zu Rotmilan-Brutgebieten stark vergrößern.
Beim Rotmilan, „von dem 60 Prozent des weltweiten Bestands in Deutschland leben (etwa 12.000), ist der Bestand bereits um 30 Prozent eingebrochen“, wie der LBV schreibt. Neben den Windkraftanlagen sind für Rotmilane und Bussarde auch immer wieder Stromleitungen, Landwirtschaftsgifte und Greifvogelhasser tödlich. So meldete beispielsweise die Schaumburger Zeitung kürzlich: „Brütendes Rotmilan-Weibchen in Deckbergen wurde vergiftet.“
Massiv gestört
Schon bei Störungen am Brutplatz (durch Waldarbeiten und Freizeitaktivitäten) verlassen sie ihr Gelege. Der Naturschutzbund (Nabu) erstattete unlängst Anzeige gegen den Betreiber und den Flächenverpächter einer Windenergieanlage im nordhessischen Waldeck-Frankenberg: „Sie hatten die Ansiedlung eines Rotmilan-Brutpaars in der Nähe ihrer Windenergieanlagen durch massive Störung zu verhindern versucht.“
Die Internetplattform „jagderleben.de“ berichtete: „Zum Schutz des Rotmilans dürfen zwei Windkraftanlagen in Sachsen-Anhalt nicht gebaut werden. Die Betreiber scheiterten mit ihren Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht.“ Solch juristisches Urteilen geht natürlich nur so lange gut, wie nicht überall Rotmilan- und Mäusebussard-Brutgebiete entstehen: Durch verstärkten Schutz vermehren sich diese Vögel, motivieren dadurch aber die Windkraftbranche, sich immer verbissener gegen diese WKA-Verhinderer zu wehren.
Das Magazin Focus hält es für einen „Energie-Mythen-Mythos“, dass „Windkraftanlagen massenweise Vögel töten“, und zitiert dazu einen Nabu-Forscher (was immer das ist), der meinte, dass 80 bis 90 Prozent der Anlagen kein Problem für Vögel seien. Focus meint aber auch, dass „die Energiewende größeren Schaden anrichtet als die Klimaveränderung“, weil die Politik es erlaubt, auf den Rastplätzen von „Zigtausenden von Kranichen und Gänsen“ (wie die „Friedländer Große Wiese“ bei Neubrandenburg) „Windkraftanlagen des neuen Typs“ zu errichten.
Dem Vogel einen Bärendienst
Auf der Internetseite „windmesse.de“ heißt es: „Der Rotmilan ist der Wappenvogel der Windkraftgegner, aber sie erweisen ihm damit einen Bärendienst.“ Sie nennen die WKAs nur noch „Vogelschredder“. Die Frankfurter Rundschau titelte gar: „Auf den Todesäckern der sauberen Windenergie.“
Auf „energiewende-naturverträglich.de“ hält man „eine gute Standortplanung, die einen Abstand von 1.500 Metern zu Rotmilan-Brutplätzen und einen Prüfbereich von 4.000 Metern im Umkreis einer neuen Anlage vorsieht, für „die einzig sichere Maßnahme zur Vermeidung von Rotmilan-Kollisionen“. Der Biologe Helmut Diekmann berichtete in der Süddeutschen Zeitung, wie verhärtet die Fronten in der Frage Windkraft versus Rotmilan inzwischen sind. Windkraftgegner fragen ihn: „Können Sie bei uns nicht ’nen Rotmilan finden?“ Andersherum werde Bauprojekten von Windrädern dadurch Nachdruck verliehen, dass in der Nähe lebende Rotmilane absichtlich durch Giftköder getötet werden.
Die englische Historikerin, Falknerin und Autorin eines Buches über einen Habicht, Helen Macdonald, berichtet in ihrem Buch „Abendflüge“ (2021) Erfreulicheres über die Gattung Milane aus der Familie der Habichtartigen – nämlich, dass sie beim Nestbau ästhetische Überlegungen anstellen und auf eine gewisse Gemütlichkeit Wert legen: Um ihre Nistplätze in Bäumen auszupolstern, nehmen Milane deswegen gern Wäsche, die sie von Wäscheleinen entwenden, dabei haben sie es vor allem auf Unterwäsche abgesehen.
Der Nabu berichtet, dass in England unlängst ein erfolgreiches „Wiedereinbürgerungsprogramm“ für Rotmilane umgesetzt wurde, nachdem sie dort ausgestorben waren, obwohl es sie in früheren Jahrhunderten so häufig auf der Insel gab, dass sie zur Plage wurden: Sie nahmen laut dem Theologen und Mediziner William Turner den Kindern das Brot weg, den Marktfrauen die dargebotenen Fische, holten sogar die gewaschenen Taschentücher von den Zäunen und raubten in der Brutzeit den Männern die Hüte von den Köpfen, um damit ihre Nester auszupolstern. Besonders gern griffen sie sich junge Hühner und Gänse. Der Nabu nennt sie „Könige der Lüfte“.
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