Die Wahrheit: Stark wie ein Rottweilergebiss

Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (125): Als Greifvogelkönigin fristet die Harpyie oft ein tristes Dasein in Gefangenschaft.

Flügel breiter als Bildausschnitt: eine Harpye.

Im schönen Panama zu Hause: diese Harpyie Foto: commons.wikimedia.org

Soeben erreichte uns eine traurige Nachricht: „Harpyien sind bedroht: Die großen Greifvögel des Amazonas-Regenwalds haben wegen des Raubbaus am Wald zunehmend Mühe, ihre Jungen zu ernähren.“

Im Ostberliner Tierpark gab es mal in einer Voliere zwei Harpyien, nun bloß noch eine. Sie sitzt meist traurig auf einem Baumstumpf. Ihre Voliere ist viel zu klein für diesen großen Vogel, der Jagd auf Tiere macht, die in Baumkronen leben. In einer Landschaft ohne Bäume kommt er nicht zurecht. In seiner Voliere kann er sich nur von seinem Baumstumpf auf ein unten hingelegtes totes Hühnerküken stürzen.

Ich habe ein Foto von einem Mann, der sich einen Harpyienkopf aufgesetzt hat – dachte ich zuerst, es war aber der Kopf einer lebenden Harpyie aus Mittel- oder Südamerika. Die SZ schreibt, dass einst die Harpyien die Sturmwinde verkörperten – und zitierte dazu Hesiod über die Harpyien Okypete und Aello: hässliche und gemeine Mischwesen aus Frau und Vogel, „welche der Wind Anhauch und himmlische Vögel erreichen, Rasch mit der Fittiche Schwung, denn sie heben sich über die Lüfte hin“.

Sie sollen laut Hesiod gleich nach der Geburt fliegen können. Das stimmt aber nicht. Laut Wikipedia besteht ein Harpyien-Gelege aus „ein bis drei weißen Eiern und wird vom Weibchen bebrütet. Sobald das erste Junge geschlüpft ist, werden die anderen Eier nicht weiter bebrütet, sie sterben ab. Es wird immer nur ein Jungvogel aufgezogen“ – alle zwei Jahre. „Der Jungvogel wird bis zum Alter von etwa 70 Tagen vom Weibchen bewacht. Das Männchen versorgt das Jungtier und das Weibchen währenddessen mit Nahrung.“

Faultier und Nasenbär

Leider haben es die Männchen dabei auf die freundlichen Faultiere und die von mir besonders geschätzten Nasenbären abgesehen. Gemeinhin werde ich damit beruhigt, dass man mir sagt: „So ist eben die Natur – unerbittlich“, „ohne Moral“, etc. Dabei bemitleide ich konkret eher die einsame Harpyie „Vitoria“ in ihrer Tierparkvoliere.

Auch der Westberliner Zoo besaß eine Harpyie, wenn man der 1000-seitigen Studie/Story „Abwesende Tiere“ (2002) des Schriftstellers Martin Kluger folgt, die vor allem von den Ränken und Leiden des Zoo-Personals handelt. Ein Pfleger meinte dort einmal laut Kluger: „Tiere und Wissenschaft – das geht nicht zusammen, gehe nie zusammen, ebenso wenig wie Menschen und Ärzte, weil es keine Sprache, keine Verständigung gebe zwischen Opfern und Tätern (so drückte er sich aus).“ Und „Mitleid sei ein Trick der Täter.“ Das war zu Zeiten „als der Zoologische Garten in Charlottenburg noch einen Kolkraben in Einzelhaft hielt“ – zusammen mit einer „kranken Harpyie in einem winzigen Käfig“. Diesen Käfig stelle ich mir noch viel kleiner vor als die Voliere im Tierpark, was dessen Direktor aber nicht entschuldigt. Kluger widmete sich im Folgenden leider nicht der Harpyie, sondern dem Kolkraben. Aber das ist seine Sache.

Es gibt noch einen Roman, der „Die Harpyie“ heißt – von der Autorin Megan Hunter: „Als Lucy erfährt, dass ihr Ehemann Jake sie betrügt, soll eine verhängnisvolle Abmachung die Ehe retten: Drei Mal darf Lucy Jake bestrafen. Wann und auf welche Weise, entscheidet sie. Ein gefährliches Spiel zwischen Rache und Vergebung entbrennt – und schließlich erwacht eine Seite in Lucy, die schon immer tief in ihr geschlummert hat …“ Kurzum: Sie wird zu einer zwar gut aussehenden, aber bösen Harpyie.

H wie Habicht

Das hilft uns hier jedoch nicht weiter: Diese Splatter-Geschichte einer „Verwandlung“ ist eher ein Rückschritt in der Harpyien-Forschung. Zudem hat die Falknerin Helen McDonald in ihrem Buch „H wie Habicht“ (2016) bereits geschildert, wie ihre Hingabe beim Abrichten des Habichtweibchens „Mabel“ ihre „Grenzen zwischen Wahn und Wirklichkeit“ ungut verschwimmen ließ.

Ein Jahr vor der Veröffentlichung der Studie über den Rückgang der Harpyien-Population schrieb herz-fuer-tiere.de: Diese größten und stärksten Greifvögel „stehen schon auf der Vorwarnstufe der bedrohten Arten. Lesen Sie hier, was Harpyien so faszinierend macht.“

Das tat ich: „Für Menschen werden die scheuen Vögel kaum zur Gefahr – nur, wenn sie ihre Brut bedroht sehen, verteidigen weibliche Harpyien ihr Nest vehement. Mit Krallen so stark wie das Gebiss eines Rottweilers.“

Die armen Nasenbären

Schon Hesiods Harpyien schrieb man eine solche Vehemenz zu. „Bei der Jagd gleiten Harpyien durch die Luft. Sobald sie ein Beutetier entdecken, gehen sie in den schnellen Sinkflug, packen und töten es innerhalb eines Flügelschlags.“

Die armen Nasenbären. Das Foto der Herz-für-Tiere-Redaktion zeigt ein Harpyien-Nest in einer Baumgabel mit Blättern drumherum, was darauf hindeutet, dass die Harpyien das Nest in ihrem Revier öfter oder immer wieder benutzen. Der WWF weiß: „Die Jagdreviere der Harpyien sind bis zu 100 Quadratkilometer groß.“ Die internationale Tierschutzorganisation weiß aber auch, dass bei den Harpyien Männchen und Weibchen nicht, wie die Zoologen oft „ihren“ Tieren andichten, so lange in ihrem Revier zusammenleben – bis das der Tod sie scheidet: „Harpyien sind in der Regel Einzelgänger und leben nur zur Jungenaufzucht als Paar zusammen.“

Weiter schreibt der WWF: „Langfristig werden die ­Harpyien vermutlich nur überleben, wenn es gelingt, ausreichend große Flächen des tropischen Regenwaldes unter Schutz zu stellen.“ Deswegen will die vornehmlich von Reichen finanzierte Stiftung das „Juwel am Amazonas: 50 Millionen Hektar, eine Fläche so groß wie Spanien, im Amazonas-Regenwald dauerhaft unter Schutz stellen.“ Dem steht die sogenannte „Holzmafia“ entgegen, das heißt: Ökonomie gegen Ökologie.

In Marokko

Für die Anhänger des Letzteren hat der Zeiss-Konzern in Oberkochen ein neues „Spektiv“ mit dem Namen „Victory Harpyie“ entwickelt, das bei keinem „Bird-Watcher“ fehlen darf, selbst wenn er hinter den auffälligen, weil riesigen Harpyien (mit einer Flügelspannweite von bis zu zwei Metern) her ist. Die Carl Zeiss AG, die selbst ein „Birding Team“ unterhält (mit einem Schutzprojekt für die „letzten Waldrappen in Marokko“), ergänzte ihre Spektiv-Vorstellung mit einem Artikel über das Leben und Sterben der Harpyien, in dem es u. a. heißt: „Von den Harpyien soll es nur noch 50.000 Exemplare geben.“

Um sich vor Ort von der bedrohlichen Situation der Harpyien zu überzeugen, fuhr das Birding Team zum „Harpy Eagle Quest“ nach Panama – und beteiligte sich dort an einer der „Harpyien-Expeditionen“: „Sie bekamen einen Jungvogel zu Gesicht und konnten ihn in Ruhe beobachten. Mit dem passenden Digiscoping-Zubehör des Zeiss Spektivs entstanden beeindruckende Nahaufnahmen.“

Im Vogelpark Walsrode erfuhr ich kürzlich, dass der Ostberliner Tierpark seine zweite Harpyie, „Vito“, an den Nürnberger Tierpark abgegeben hatte und der sie dann in den Vogelpark Walsrode „einstellte“. Aber dann entschied der Harpyien-Zuchtbuchführer, dass der Vogel wieder zurück nach Nürnberg müsse. Von dort aus wurde er nach Brasilien verschickt, um ausgewildert zu werden. „Vito“ ist also weit herumgekommen.

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