Landwirtschaft am Nil in Sudan: Die phantastische Insel
Zwischen dem Blauen und Weißen Nil liegt das heimliche Eldorado Sudans. Aber die Bauern dort fürchten um ihre Zukunft.
Gezira ist das arabische Wort für Insel. Und obwohl das Gezira-Projekt nicht auf einer richtigen Insel liegt, sieht es doch ein wenig danach aus, weil es auf zwei Seiten an zwei riesige Flüsse grenzt: den Blauen und den Weißen Nil. Erst etwa 170 Kilometer nördlich, in Khartum, verschmelzen die beiden.
Das Geheimnis von Gezira: die beiden Hauptarme des Nils transportieren zu unterschiedlichen Jahreszeiten besonders viel Wasser. So kann mal der Weiße Nil, mal der Blaue Nil das Gebiet bewässern – allein durch die Schwerkraft, ohne dass weitere kostspielige Anlagen nötig sind. „Es soll immer in beiden Flüssen genügend Wasser geben“, sagt Gezira-Direktor Siddiq Abuashara in seinem bescheidenen Büro der Hauptstadt Khartum. „Daher ist es für Sudan, und sicherlich für Gezira, äußerst wichtig, dass schnell eine gute Einigung erzielt wird über den riesigen Damm, den Äthiopien am Blauen Nil baut.“
An den Wänden seines Büros hängen riesige Landkarten von Gezira, wie auch Bilder von Gewächsen aus dem Projekt. Für Besucher liegen auf dem Tisch Apfelsinen aus Gezira, es gibt Zitronenlimonade aus den dortigen Früchten.
Wasserhahn ohne Wasser
Als Äthiopien im Jahr 2020 begann, den Stausee des Grand Ethiopian Renaissance Damm (GERD) zu füllen, merkte das ein großer Teil der Bevölkerung in Sudan. Der Wasserstand des Blauen Nils sank auf einen Tiefpunkt, so dass nach Khartum kein Trinkwasser gepumpt werden konnte. Drei Tage lang kam kein Tropfen aus den Wasserhähnen.
„Wir wussten nicht, was los war“, erzählt Mariam Mohamed, eine junge Hausfrau in Khartum. „Erst am nächsten Tag wurde es uns im Radio erklärt. Wir hatten dann schon einen hektischen Tag hinter uns, um Wasser zu finden und Kanister zu kaufen.“ Äthiopien hatte Ägypten und Sudan nicht im Voraus informiert. Dieses Jahr droht eine Wiederholung.
Der Zugang zu sauberem Wasser ist auf der Welt höchst ungleich verteilt. Ein Rechercheprojekt auf verschiedenen Kontinenten über Trinkwasser, Dürre, Überschwemmungen und Geldströme in der Entwicklungszusammenarbeit unter taz.de/wasser
Für Sudans Wirtschaft ist das schlecht. Das Potenzial von Gezira wurde bereits 1904 von den britischen Kolonialherren erkannt. Anfangs wurde dort hauptsächlich Baumwolle für den Export nach Großbritannien angebaut. Nach Sudans Unabhängigkeit 1956 kamen immer mehr andere Produkte dazu: Getreide, Sonnenblumen für Öl, Früchte für den lokalen Verbrauch und Export. Die Hoffnung für Sudans Kornkammer war sehr groß.
Der Militärputsch von Omar al-Bashir im Jahr 1989 – er sollte dreißig Jahre lang an der Macht bleiben – machte die Hoffnungen zunichte. „In Gezira übernahmen seine Anhänger zunehmend Land von den ursprünglichen Bauern und schlachteten Gebäude und Maschinen aus, um sie als Schrott ins Ausland zu verkaufen. Die Bewässerungskanäle wurden vernachlässigt, wodurch sie verschlammten oder einstürzten“, erzählt Abuashara.
Nach Bashirs Sturz im Jahr 2019 durch einen Volksaufstand, den schließlich das Militär unterstützte, bekam Abuashara von der neuen Regierung den Auftrag, Gezira neues Leben einzuhauchen. Der Ökonometriker, der vor Bashirs Herrschaft geflohen war und 30 Jahre in den USA lebte, ist ein echter Gezira-Experte. Nicht nur weil er drei Bücher über das Bewässerungssystem von Gezira geschrieben hat, sondern auch, weil er dort auf dem Land seines Vaters aufwuchs.
„Das waren gute Zeiten, Es gab reichlich zu essen und Erntenüberschüsse zum Verkauf. Wir machten uns keine Sorgen über die Regensaison, solange es in beiden Nils Wasser gab“, erinnert sich Abuashara.
Jetzt funktionieren etwa 85 Prozent des Bewässerungssystems nicht mehr. Der Chef des Gezira-Projekts hat ausgerechnet, dass 700 Millionen Euro nötig sind, um es wieder in Gang zu bringen. „Wir können das niemals allein finanzieren und suchen nach Investoren im Ausland, weil Sudan wirtschaftlich und finanziell am Boden liegt.“
Ein Wunder vollbringen
Um das Interesse von lokalen und internationalen Investoren zu wecken, sind nach seiner Meinung vor allem Gewissheit und Informationen über den äthiopischen Damm GERD nötig, der kurz hinter der äthiopischen Grenze liegt. „Das Gezira-Projekt ist aufgrund seiner Lage zwischen den beiden Flüssen einzigartig und sollte zusammen mit unserer Bewässerungskompetenz ein Wunder vollbringen können“, lautet Abuasharas Überzeugung.
Das Gezira-Projekt ist zwar einzigartig, aber Sudan hat noch andere fruchtbare Gebiete am Nil. Während der Norden des Landes aus Wüste besteht, sind etwa 700.000 Quadratkilometer im Süden besonders nützlich für Landwirtschaft – ein Riesenpotential. Aber davon werden nur rund 20 Prozent benutzt. Die Führung von Bashir hatte kein Interesse daran, dass die eigene Bevölkerung das Land bebaut. Sie verpachtete lieber gigantische Flächen an arabische Länder, als Ackerland für den Export.
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Die Übergangsregierung aus Zivilisten und Militär, die Sudan seit Bashirs Sturz regiert, hat ein Auge auf die Landwirtschaft geworfen, immerhin der drittgrößte Wirtschaftszweig des Landes. „Die Bauern, die noch in Gezira sind, und andere Interessierte haben Lust, Gezira wieder aufzubauen“, erklärt Abuashara. Aber sie bräuchten Sicherheit über die Zukunft des Nils. „Darum ist alles rund um den GERD so wichtig.“
Der Gezira-Chef arbeitet an einer verbesserten Zusammenarbeit zwischen den Bauern, die Ackerland pachten, dem Staat, dem das Bewässerungssystem gehört, und der Gezira-Verwaltung. Er hat den Landwirten vorgeschlagen, in den Wintermonaten vor allem Weizen anzupflanzen. Es gibt seit Jahren einen Mangel an Weizen in Sudan – das führt zu einem Defizit an Brot, und steigende Brotpreise waren der Auslöser für die Proteste, die schließlich 2019 zum Umsturz führten. Heute geht es den Menschen noch nicht besser als damals. „Die Lage in Sudan ist momentan schwierig für die Bevölkerung. Wenn es genügend Brot gibt, sind die Sudanesen zufriedener“, analysiert Abuashara.
Tuti ist kein Paradies mehr
Wie prekär die Lage ist, zeigt sich in Khartum, wo der Blaue und Weiße Nil sich vereinen. Genau an dieser Stelle gibt es eine richtige Insel, ein Miniatur-Gezira, mit dem Namen Tuti.
Es war früher ein acht Quadratkilometer großes Gartenparadies im Zentrum von Khartum, wo Gemüse angebaut wurde. Jeden Tag wurde es frisch per Fähre ans Festland gebracht. Aber vor zehn Jahren wurde eine Brücke gebaut. Die Äcker wurden immer kleiner, weil sie Platz machen mussten für Wohnhäuser. Und an den Wochenenden kommen hunderte Jugendliche und feiern auf dem kleinen Strand.
Der 6.650 Kilometer lange Nil ist der längste Fluss der Welt – der breiteste ist der Amazonas in Südamerika. Beide Flüsse sind vom Weltall aus gut zu sehen.
Die Herkunft des Namens „Blauer Nil“ ist verbunden mit der Jahreszeit. Am Anfang des Jahres, wenn der Fluss nach der stürmischen Regensaison ruhig ist und wenig Schlamm führt, ist sein Wasser klar. Es reflektiert den blauen Himmel der Trockenzeit und nimmt scheinbar seine Farbe an.
Der Weiße Nil sollte eher Grauer Nil heißen. Nachdem er mit Wucht aus dem ostafrikanischen Victoriasee kommt, verliert er sich erst im sumpfigen Flachland von Südsudan, von wo aus er grauen Schlamm mitnimmt, wenn die Regenzeit ihm den Weg nach Norden bahnt. Im Sonnenschein sieht das beinah wie Weiß aus.
An einem schmalen Sandweg auf Tuti liegt ein gepflügter Acker. Wie oft bei Äckern am Nil gibt es auch eine kleine Ziegelei. Eigentümer Ali Yahya sitzt im Schatten und wartet auf einen Freund, der ihm versprochen hat, ihn nach Hause auf das Festland zu fahren. „Der Nil, der so großzügig fruchtbaren Schlamm bringt, hat mir voriges Jahr mit den Überschwemmungen alles weggenommen. Wie ein wildes Tier hat der Fluss sich benommen“, erzählt der Bauer. „Aber dann auf einmal war das Wasser ganz niedrig, als die Äthiopier den GERD teilweise füllten. Zusammen mit dem Klimawandel wird Landwirtschaft zu einer rätselhaften Glückssache.“
Die noch übriggebliebenen Bauern auf der Tuti-Insel sind überwiegend vom Wasser des Nils abhängig. Schließlich hat Khartum nur an durchschnittlich 18 Tagen im Jahr Regen – kaum 16 Zentimeter.
Nach der nächsten Ernte will der 63-jährige Yahya sein Land verkaufen. Er ist müde von dem Kampf mit dem Fluss und den Behörden, die den Bau von Wohnungen zugelassen haben. „Das Leben eines Bauern wird immer schwieriger und jetzt kommt noch die Ungewissheit über den äthiopischen Damm dazu. Es reicht mir.“
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