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Stillen in der ÖffentlichkeitPanda, Brüste, Baby und ich

Fast überall gibt es mittlerweile Coronatestzentren. Nur Orte, um sein Kind zu stillen, bleiben immer noch rar.

Bequem geht anders – Sitzmöglichkeit, die nicht zum Verweilen einladen soll Foto: Jürgen Ritter/imago

D a sitze ich nun neben Bao Bao, dem großen Panda, auf einer roten Kunstlederrolle und das Baby trinkt an der Brust. Meine Nase juckt unter der Maske. Ich mustere die Nachbildung eines Korallenriffs in der Mitte des Raumes. Dahinter der ausgestopfte Knut. Es hat gefühlt 35 Grad im Berliner Naturkundemuseum. Die Babytrage noch halb umgeschnallt, halte ich ungelenk ein großes Spucktuch vor mich, damit die Tröten hier nicht so durch den Raum strahlen. Sonst kreischt gleich wieder jemand: „Bedecken Sie sich!“ Interessanterweise meist Frauen. Ich schwitze. Das Baby sieht mich an, als wollte es fragen, was der Mist hier eigentlich soll.

Beim ersten Kind hat es mich noch überrascht, wenn ich beim Stillen beschimpft wurde. Jetzt bin ich gewappnet. Wer will als Erstes eine Abreibung? Aber es bleibt ruhig. Wäre auch absurd zwischen eingelegten Rochen und präparierten Bären wegen einer stillenden Frau die Fassung zu verlieren. Niemand. Nicht mal ein Wanderrucksackträger, der mir unaufgefordert erzählt, wie lange seine Frau Birte gestillt hat und wie wundervoll der gebärende Körper nicht ist.

Als mein Freund vorhin fragte, ob er schauen soll, wo der nächste Wickelraum ist, bevor er mit dem Großen vorausgeht, hatte ich schon genug: „Ich stille hier! Ich geh nicht in irgendeinen Abstellraum!“ Dabei hat er es nur gut gemeint. Das „Stillzimmer“ hier kenn ich vom ersten Kind. Eine Mischung aus Erste-Hilfe- und Pausenraum. Es riecht wie das Biologiekammerl damals in der Schule, wo präparierte Frösche und vergilbte Schaukarten eingerollt auf ihre 15 Minuten Ruhm warteten.

Geplant von einem Mann

Wasser trinken wäre toll. Doch die Tasche steht unerreichbar auf dem Boden. Es gibt kaum Sitzgelegenheiten, die Leute sollen wohl nicht lange bleiben. Kann ich verstehen – damals, ohne Kinder, hielt mein Freund so lange Monologe vor dem Archeopteryx, dass ich überlegte in das Maul des T-Rex zu klettern und mich tot zu stellen. Nicht auszudenken, hätte er bei seinen Ausführungen sitzen können. Inzwischen hat er keine Chance mehr, irgendwas zu erklären, denn der 3-Jährige rauscht mit einem Affenzahn hier durch. Das schmerzt ihn, merke ich, aber er rennt tapfer hinter dem Kind her.

Wer dieses Korallenriff sauber halten muss, ist eine arme Sau, denke ich, als das Baby für alle hörbar in die Windel donnert. Hätte ich nur mal den Wickelraum genommen. Diese Kunstlederrolle macht mich immer wütender. Eine Bank, auf der man nichts ablegen, kein Kind wickeln kann? Hat sicher ein Mann geplant.

Es ist übrigens bemerkenswert – ich dachte, dass es in Berlin nicht schlimmer werden kann für stillende, wickelnde Menschen. Aber jetzt, wo testlos alles geschlossen ist, wo draußen Absperrbänder flattern und es plötzlich mehr Coronatestzentren gibt als öffentliche Wickelräume, weiß ich auch: man muss dankbar sein für jede trockene Kunstlederrolle.

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Saskia Hödl
Autorin
Jahrgang 1985, ist freie Autorin in Wien und schreibt über Politik, Medien und Gesellschaft. Ehemalige taz panter Volontärin, taz eins Redakteurin und taz2&Medien Ressortleiterin.
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5 Kommentare

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  • AHA! Die erste wichtige Handlung in der Pandemie wäre das flächendeckende Einrichten von Räumen zum Stillen gewesen! .

    Ob es nicht sinnvoller wäre, solche mittelalterliche Zeitgenossen, die sich an einer stillenden Frau stören, einfach zu ignorieren oder ihnen die Lächerlichkeit ihrer Forderung klar zu machen. Die kirchliche 'Antisexualität' lebt eben noch. Obwohl ich mich frage, was Stillen eigentlich mit Sexualität, Scham usw. zu tun haben soll.

    • @fvaderno:

      Wo hat die Kirche - welche auch immer - mal was zum Stillen gesagt?

  • Ich muss zugeben, mir fehlt der Sinn dafür, an trinkenden Babys irgendetwas unanständig oder öbszön zu finden.

    Als positives Beispiel möchte ich mal SPSG hervorheben.

    Als unsere jüngste Tochter nicht mal zwei Monate alt war, haben wir in Potsdam spontan die Familienkarte ausgenutzt und fast alle Nicht-Sanssouci-Gebäude besucht.

    Eine Kassiererin hatte uns die Karte überhaupt erst empfohlen.

    Die verschiedenen Museumswächter_innen in den Gebäuden waren allesamt super nett, haben unseren beiden älteren Töchtern immer wieder manches erklärt, meiner Frau zum Stillen einen Stuhl gegeben etc.

    Wir fühlten uns mit drei kleinen Kindern sehr erwünscht.

    Ich habe hinterher eine Dankes-Email an SPSG geschrieben.

  • "Wer will als Erstes eine Abreibung?"



    Finde ich ziemlich aggressiv.

    "Das „Stillzimmer“ hier kenn ich vom ersten Kind. Eine Mischung aus Erste-Hilfe- und Pausenraum."



    Dann wäre es zielführend gewesen, zusammen mit anderen Müttern für Änderung zu sorgen. Ich gehe nicht davon aus, dass ein Haus wie das "Berliner Naturkundemuseum" sich dagegen sperren würde. Aber wer weiß, vielleicht wurde ja bereits etwas geändert und der Autorin ist es nur nicht bekannt?

  • Es scheint echt zu sein. Also aus dem wahren Leben gegriffen.



    ..... Wäre auch absurd zwischen eingelegten Rochen und präparierten Bären wegen einer stillenden Frau die Fassung zu verlieren. ..



    Klar, das Stillen in der Öffentlichkeit ist immer mal wieder Thema. Da gibt es doch auch wunderbare Karikaturen.



    .... hielt mein Freund so lange Monologe vor dem Archeopteryx, dass ich überlegte in das Maul des T-Rex zu klettern und mich tot zu stellen...



    Das ist schöne Schreibarbeit. Gegen Bezahlung!



    Stillen, wärend einer Bundestagsdebatte. Mit Still-Top ! Das würde doch von links bis rechts, angeregte Diskussionen hervorrufen.



    Darf man ein Baby(habe niemanden) eigentlich mit in den BT nehmen?