Krise in Nigeria: Zwei rätselhafte Todesfälle
Erst wird Boko Harams Chef Shekau getötet, dann stirbt Armeechef Attahiru bei einem Flugzeugabsturz. Die Stimmung ist zunehmend angespannt.
Seitdem ist Attahirus Tod das beherrschende Thema in Nigeria. Der 54-Jährige stand erst seit Januar an der Armeespitze, nachdem Buhari diese komplett ausgetauscht hatte. Die Streitkräfte hatten durch die sich verschlechterte Sicherheitslage im Land noch mehr als gewöhnlich in der Kritik gestanden. Trotz posthumer Lobeshymnen auf Attahiru hat sich diese aber seitdem nicht verbessert, im Gegenteil: Entführungen, Überfälle, auch Angriffe auf Polizeistationen haben weiter zugenommen.
Am Montag demonstrierten Jugendliche nahe Abuja erneut gegen die Unsicherheit und äußerten ihren Protest, indem sie eine Polizeiwache anzündeten.
Verschärft hatten sich zuletzt sogar die Putschgerüchte. Auch die sind in dem Land mit den etwa 220 Millionen Einwohner*innen regelmäßig zu hören. Buhari, der selbst Silvester 1983 erstmals durch einen Coup an die Macht gekommen war und seit 2015 als gewählter Präsident regiert, stand noch nie so unter Druck wie jetzt.
Die Armee betonte jedoch, sie habe keine Intention, die Macht zu übernehmen. Demokratie sei die Regierungsform der Stunde und nicht Militärherrschaft.
Entbrannt ist nun eine Diskussion um Attahirus Nachfolge. Als ein Name wird Danjuma Ali-Keffi gehandelt, der aktuell in Kaduna stationiert ist. Gegen ihn, so analysiert eine nigerianische Nachrichtenagentur, spreche aber, dass es mehr als 30 ranghöhere Offiziere gibt als ihn.
Der Süden will wieder nach oben
Letztendlich ist es eine politische Entscheidung. Buhari, der aus Katsina stammt, wird seit Jahren vorgeworfen, Spitzenposten in dem Vielvölkerstaat mit Personen aus dem Norden zu besetzen, die zudem – so seine Kritiker*innen – Haussa oder, wie er selbst, Fulani seien. Nach zwei Armeechefs aus dem Norden nacheinander werden nun der Süden wie der Südosten Ansprüche erheben. Die zunehmende Gewalt dort, für die der Staat separatistische Bewegung wie IPOB – Indigene Menschen von Biafra – verantwortlich macht, rückt in der Diskussion oft in den Hintergrund.
Im Fokus steht der Norden. Vergangene Woche hieß es, dass der Anführer der 2002 gegründeten islamistischen Terrormiliz Boko Haram, Abubakar Shekau, an einer schweren Verletzung gestorben sei. Die Armee kündigte eine Untersuchung an, da sich in der Vergangenheit Shekaus mutmaßlicher Tod mehrfach nicht bewahrheitet hat. Dass dieser diesmal tatsächlich ums Leben gekommen ist, davon geht allerdings unter anderem die Nachrichtenplattform HumAngle des Journalisten Ahmed Salkida aus, der in der Region gut vernetzt ist.
Allerdings ist Shekaus Tod kein Erfolg der Streitkräfte. Vielmehr ist der rivalisierenden Bewegung „Islamischer Staat in der Provinz Westafrika“ (ISWAP) offenbar ein folgenschwerer Angriff auf Boko Haram gelungen. ISWAP soll unter seinem Anführer Abu Musab al-Barnawi Shekaus Versteck im Sambisa-Wald im Bundesstaat Borno angegriffen haben.
Zunehmende Stärke des IS
Bis 2016 gehörte ISWAP noch Boko Haram an, trennte sich dann aber. Schon damals kam es zu schweren Kämpfen. Beobachter*innen hofften, dass sich die Milizen nun gegenseitig niedermetzeln und immer weiter schwächen. Eindeutiger Sieger ist nach aktuellen Informationen allerdings ISWAP. Die Bewegung operiert anders als Boko Haram, heißt es: Sie greift weniger Zivilist*innen, sondern verstärkt Polizei und Armee an und errichtet in Gegenden am Tschadsee, in denen nirgendwo mehr Sicherheitskräfte stationiert sind, eigene Strukturen. Unter anderem erhebt sie Zölle und kontrolliert Märkte.
Damit bindet sie die Bevölkerung an sich. Und der Armee zeigt sie, dass ihr etwas gelingt, das diese nicht geschafft hat: bis zum Versteck Shekaus vordringen und diesen außer Gefecht setzen. Für Nigerias nächsten Armeechef wird die Messlatte des Erfolges damit noch höher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen