Kolonialgeschichte einmal anders: Rudolf, ein früher Weltbürger
Ungewohnt verspielt erzählt das Hamburger MARKK deutsche Kolonialgeschichte. So will es Jugendliche und Familien erreichen.
So poppig die Ausstellung „Hey Hamburg, kennst Du Duala Manga Bell?“ ist, kündet der geknüpfte Galgenstrang als wiederkehrendes Symbol doch vom gewaltsamen Tod des Duala-Königs Rudolf Duala Manga Bell. Die „für junge Menschen“ konzipierte Ausstellung bewegt sich zwischen bunter Verspieltheit und der Dokumentation einer außergewöhnlichen Biografie. Für das Hamburger Museum am Rothenbaum ist dieser Ansatz ein Experiment.
Wohl 1873 wurde Manga Bell an der Küste Westafrikas auf dem Gebiet des heutigen Kamerun in die einflussreiche Bell-Familie geboren, die ihm eine Ausbildung in Deutschland ermöglichte. Seit 1884 war Kamerun deutsche Kolonie; die an der Küste ansässigen Duala arrangierten sich damit und schufen sich als Händler, Lehrer oder Missionare ein Auskommen. 1908 wird Manga Bell zum „Oberhäuptling“ der Bell ernannt – ein von den Deutschen eingeführtes Amt, wie auch anders.
Zwei Jahre später war die Stimmung in der Kolonie umgeschlagen. Die Deutschen planten den Ausbau des Hafens in der Wirtschaftsmetropole Duala. Entgegen vertraglicher Vereinbarungen sollten die Duala dafür an den Stadtrand umgesiedelt werden. Das bedeutete nichts anderes als Enteignung und Vertreibung. Es war der Gipfel einer Reihe von Verordnungen, welche die Duala und weitere Ethnien in Kamerun schon Jahre zuvor empfindlich getroffen hatten. Mit Jahresbeginn 1914 setzte das Kolonialgouvernement seine Pläne um.
Um dies zu verhindern, hatte sich Manga Bell über die Presse an die Öffentlichkeit im deutschen Kaiserreich gewandt, hatte Petitionen eingereicht und sich von deutschen Anwälten vertreten lassen. Damit war er zu einer ernstlichen Gefahr für die politische Ordnung in der Kolonie geworden.
„Hey Hamburg, kennst Du Duala Manga Bell?“ läuft bsi 31. Dezember im MARKK Hamburg, der Familienkatalog kostet 23 Euro
Angeklagt des Hochverrats
1914 droht in Europa der Krieg und Gerüchte werden laut, Bell suche nun die Unterstützung des Erzfeindes England. Belege gibt es dafür nicht. Dennoch werden Manga Bell und dessen Vertrauter Adolf Ngoso Din eilig des Hochverrats angeklagt und am 8. August 1914 gehängt. Drei Tage lang wird Bells Körper zur Abschreckung aufständischer Kameruner am Galgen hängen.
In der Ausstellung wird dies in einem großformatigen Comic des Künstlers Karo Akpokiere erzählt. Es ist das narrative Rückgrat in einer sonst nichtlinearen Ausstellung, die mit kurzen Texten auskommt und auf multisensorische Zugänge setzt.
Neben Alltagsgegenständen oder Kleidungsstücken aus der Museumssammlung finden sich überraschende Zeugnisse wie eine Tonaufnahme aus dem Berliner Lautarchiv von 1934. Zu hören ist Viktor Bell, der ein Lied über koloniale Lohnarbeit vorträgt. Weitaus spielerischer geht die Audioinstallation des ARK-Kollektivs vor. Selbstreflexive Fragen zur Funktion des Museums können die Besucher*innen mit Samples von Soulnummern und groovenden Percussion-Beats unterlegen. Die Sogwirkung dieses immer wieder neu erschaffenen Hörspiels ist enorm.
Das Leben Manga Bells eignet sich laut Kuratorin Suy Lan Hopmann deshalb als Zentrum der Ausstellung, weil in den erhaltenen Zeugnissen – etwa ein Foto Manga Bells während eines Karnevalsumzugs im süddeutschen Aalen – ein Mensch fassbar wird, der als früher Kosmopolit unserer Gegenwart nicht weit entfernt scheint.
Die Geschichte von Maria Mandessi Bell
„Er war in vielen Welten zu Hause. Das ist ein guter Anknüpfungspunkt für eine postmigrantische Gesellschaft, gerade in den Städten“, so Hopmann. Aber auch die kaum bekannte Geschichte von Maria Mandessi Bell wird erzählt. Als Manga Bell hingerichtet wird, ist sie gerade 19 Jahre alt. Später wird sie sich als Intellektuelle im politisch-künstlerischen Umfeld der Négritude-Bewegung etablieren und eine Brücke weit hinein in das 20. Jahrhundert schlagen.
Im hochpolitisierten Diskurs um das koloniale Erbe Deutschlands ist die Ausstellung ein Gewinn, weil sie politische Steilvorlagen ausschlägt, auf Appelle an das Gewissen ihrer Besucher*innen verzichtet und sich stattdessen auf die Kernfrage „Wer war Duala Manga Bell?“ konzentriert.
Konzeptuell ist das Experiment gelungen. Nun muss sich zeigen, ob die Ausstellung und der aufwendig gestaltete Begleitkatalog ihr junges Zielpublikum auch erreichen.
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