Petition der Woche: Was wusste der Verfassungsschutz?

Eine Petition fordert die Veröffentlichung des hessischen Verfassungsschutzberichtes. Darin geht es um die eigene Verstrickung in den NSU-Skandal.

Demonstranten während einer Demo mit Schildern, die die Opfer des NSU zeigen

Demonstration unter dem Motto „Rechte Hetze tötet“ im Jahr 2019 Foto: Jannis Grosse/imago

Unverständnis und ein Gefühl der Unsicherheit treiben Miki Lazar um. Er ist Vorstand der Jüdischen Gemeinde in Kassel. Dort, wo Halit Yozgat 2006 vom NSU und, in unmittelbarer Nähe, Walter Lübcke 2019 von einem Rechtsradikalen ermordet wurde. Beide Fälle haben Lazar persönlich tief getroffen und an seiner eigenen Sicherheit zweifeln lassen: „Wir wissen inzwischen, dass es da eine direkte Verbindung gibt und auch, dass wir immer noch auf Listen von Neonazis stehen.“

Die Verbindung zwischen den beiden Mordfällen bezeugt das Hessische Landesamt für Verfassungsschutz mit einem Bericht, der das eigene Versagen rund um den NSU aufdecken soll. Er enthält unter anderem auch den Namen des Mörders von Walter Lübcke mehrfach. Und der Journalist Martín Steinhagen, der für sein Buch „Rechter Terror“ intensiven Einblick bekommen hat, schreibt: „Das Amt war nicht, wie es oft heißt, auf dem rechten Auge blind. Die Vielzahl an Funden zeigt, dass teils brisante Hinweise bei den Verfassungsschützern ankamen. Sie wurden aber offenbar nicht analytisch eingeordnet, falsch bewertet, und es wurde nicht entsprechend gehandelt.“

Weil der Bericht politisch brisant sei, aber für 30 Jahre der Geheimhaltung unterliegt, hat nun Miki Lazar gemeinsam mit weiteren Bür­ge­r*in­nen aus Kassel eine Petition zur sofortigen Veröffentlichung ins Leben gerufen.

Mit dieser Petition befasst sich jetzt der Hessische Landtag. Nach einer nichtöffentlichen Sitzung in der vergangenen Woche debattieren die Abgeordneten erneut im großen Plenum, die Landtagssitzung am kommenden Mittwochabend wird auch als Livestream übertragen. Das weitere Vorgehen hängt auch von den Grünen ab, die gemeinsam mit der CDU die Landesregierung bilden. Entsprechende Erwartungen der Pe­ti­tio­n*is­tin­nen wurden bereits enttäuscht – von verschiedenen Parteiebenen wurde zwar Anerkennung für das Anliegen geäußert, eine Unterstützung wurde aber aus Gründen der Koalitionstreue bislang verweigert.

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„Die NSU-Akten“ in der Alltagskultur

Dass die Ablehnung einer Veröffentlichung mit dem Schutz der im Bericht aufgeführten V-Leute begründet wird, ärgert Miki Lazar. Und betont, dass auch Alternativen zur ungefilterten Veröffentlichung denkbar seien. Man könnte etwa der Initiative „NSU Watch“ zumindest ausreichende Einsicht zur weiteren Verarbeitung gewähren. „Die scheinen teilweise eh besser informiert zu sein als der Staat“, ergänzt Lazar.

Als „die NSU-Akten“ ist der Bericht inzwischen in die Alltagskultur eingegangen und zum geflügelten Wort geworden für das Schweigen des Staates zu den rechten Verstrickungen. Noch immer werden die Fakten nur langsam öffentlich, die Petition indes hat in dieser Hinsicht viel erreicht, wie die stellvertretende Vorsitzende des Petitionsausschusses, Heidemarie Scheuch-Paschkewitz von der Linkspartei, sagt: „Dass über eine Petition im Plenum politisch beraten wird, habe ich noch nicht erlebt, das wäre schon ein großer Erfolg.“

Trotzdem deutet sich schon jetzt an, dass die In­itia­to­r*in­nen ihr Ziel nicht erreichen werden. „Warum kann der Staat heute nicht das vollkommene Versagen zugeben und sich bei den Opfern entschuldigen?“, fragt sich Miki Lazar. Und mit ihm fragen sich das über 125.000 Unterzeichner*innen.

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