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Mieterverein zum Mietendeckel-Beschluss„Sozialpolitisch unverantwortlich“

Der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Reiner Wild, appelliert an die Vermieter: Sie sollen Fairness walten lassen.

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts sei nicht plausibel, meint Reiner Wild Foto: dpa
Interview von Plutonia Plarre

taz: Herr Wild, das Bundesverfassungsgericht hat den Mietendeckel gekippt. Was muss ich als Mieterin jetzt tun?

Reiner Wild: Das Bundesverfassungsgericht hat die Nichtigkeit des Gesetzes von Beginn des Mietendeckels an bewertet. Das heißt, dass eingesparte Beträge im Grundsatz nun an den Vermieter zu leisten sind, wenn die zivilrechtlichen Vereinbarungen über die Miethöhe rechtswirksam sind.

Und wie schnell muss ich zahlen?

Unverzüglich. Aber man wird natürlich nicht erwarten können, dass das Geld morgen beim Vermieter auf dem Konto ist. Es wird von einer angemessenen Frist auszugehen sein. Leider hat das Gericht überhaupt keine Vorschläge gemacht, wie damit umzugehen ist. Sozialpolitisch ist das absolut unverantwortlich. Wir gehen davon aus, dass eine Frist von zwei Wochen angemessen ist. Es gibt aber auch Fälle, wo es einer Aufforderung des Vermieters bedarf. Das muss im Einzelfall geprüft werden, ob eine Zahlungsaufforderung des Vermieters abgewartet werden kann.

Wann könnte das der Fall sein?

Es gibt zum Beispiel Schattenmietvereinbarungen bei neuen Verträgen, in denen vereinbart wurde, dass der Vermieter dann nachfordert. In solchen Fällen müsste der Vermieter tatsächlich erst mit seiner Forderung kommen. Wir appellieren an die Vermieter, eine solche Aufforderung noch einmal mitzuteilen. Damit die Beträge auch unstrittig sind. Bei Schattenmietvereinbarungen besteht grundsätzlich ein Problem, dass diese unter Umständen auch zivilrechtlich nicht wirksam sind. Deshalb raten wir hier dringend zur rechtlichen Prüfung, auch wegen der Mietpreisbremse. Gleichwohl empfehlen wir aber eine Rückzahlung unter Vorbehalt.

Um welchen Zeitraum und welche Beträge geht es genau?

Bei der Nachzahlung geht es um alle Beträge, die infolge des Mietendeckels reduziert wurden und für die eine zivilrechtliche wirksame Preisvereinbarung besteht. Natürlich müssen nun auch für die Zukunft wieder diese Zahlungen aus den Vereinbarungen getragen werden.

Im Interview: Rainer Wild

ist Geschäftsführer des Berliner Mietervereins

Da kommt einiges zusammen, oder?

Das ist unterschiedlich. Bei Mieterhöhungen sind das teilweise nicht so große Beträge. Aber bei Absenkungen hatten wir durchschnittlich 200,- Euro monatlich Mietreduzierung. Durch die neuen Verträge in den letzten Jahren waren da bei den Vermietern ja zum Teil gigantische Mietforderungen entstanden. Aber auch hier gilt es bei Rückzahlung die Mietpreisbremse noch zu prüfen und eine gegebenenfalls zu hohe Miete zu rügen.

Was passiert, wenn ich kein Geld für die Rückzahlung zurückgelegt habe?

Der Mieterverein appelliert an die Vermieter, Fairness walten zu lassen und Ratenzahlungen zu akzeptieren. Wer grundsätzlich keine Leistungsfähigkeit hat, etwa wegen Corona, kann natürlich gegebenenfalls auch öffentliche Hilfen in Anspruch nehmen. Soweit ich gehört habe, ist das Land Berlin bereit, da unbürokratisch zu helfen. Es könnte zum Beispiel eine Mietschuldenübernahme im Wege von Arbeitslosengeld übernommen werden.

Was für Auswirkungen könnte der Richterspruch auf das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ haben?

Das wird dieser Vergesellschaftung-Forderung natürlich Auftrieb geben. Das ist auch nachvollziehbar. Auf der anderen Seite ist Vergesellschaftung natürlich noch keine Lösung für den Mietwohnungsmarkt. Es bliebe ein großer Teil des Berliner Wohnungsbestandes nicht in die Vergesellschaftung nicht einbezogen. Von der Vergesellschaftung wären 240.000 Wohnungen betroffen, Berlin hat aber mindestens 1,5 Millionen Mietwohnungen. Deswegen ist eine bundesgesetzliche Regelung für einen Mietenstopp sehr wichtig. Diese Kampagne läuft ja schon, aber wir werden sie jetzt noch nachhaltiger unterstützen.

Wird der Richterspruch Folgen für den Bundestagswahlkampf haben?

Auf jeden Fall. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss gar nichts dazu ausgesagt, ob die einzelnen Regelungen des Mietendeckels mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Es ist einzig die Kompetenz bewertet worden nach dem Motto: Wenn die Kompetenz für Berlin nicht besteht, brauche ich mich mit den anderen Fragen nicht mehr zu befassen. In älteren Beschlüssen des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts zum Mietendeckel gibt es aber durchaus Hinweise darauf, dass den Vermietern eine ganze Menge Beschränkungen zugemutet werden können. Das werden wir natürlich in den Bundestagswahlkampf einbringen.

Der 2. Senat hat es sich also ganz schön einfach gemacht?

Das kann man so sagen. Ich habe den Beschluss noch nicht gänzlich gelesen, aber aus unserer Sicht ist die Betrachtung, dass das Landesrecht nur für gebundenen Wohnraum, also öffentlich geförderten Wohnungsbau angewendet werden darf, nicht plausibel. Denn auch das landesgesetzliche Verbot der Zweckentfremdung von Wohnungen trifft ja ungebundenen Wohnraum.

Was bedeutet der Beschluss für Mieter von landeseigenen Wohnungen?

Das hat für sie nahezu keine Auswirkungen. Die kommunalen Anbieter haben ihre Mieter überwiegend nicht mit Verträgen malträtiert, die im Falle der Verfassungswidrigkeit zu einer anderen Miete auffordern.

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