Deutsch-türkische Harmonien: „Macht Urlaub in der Türkei!“
Touristen dürfen sich an türkischen Stränden sonnen, Einheimische nicht. So setzt sich eine widersprüchliche Geschichte fort.
V ergangene Woche war der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu in Berlin. Er traf sich mit Außenminister Maas. Es fand wenig Beachtung in den deutschen Medien, wohl auch deshalb, weil es so harmonisch und versöhnlich zuging. Die Außenminister schwärmten: „sehr gut“ (Çavuşoğlu), „konstruktiver Dialog“ (Maas). Mit einer frohen Botschaft beglückte der türkische Außenminister das deutsche Volk der Schnäppchenjäger. Er wolle, dass „unsere Freunde“ ihren Urlaub in der Türkei in Sicherheit verbringen. „Jede Person, die ein Tourist zu Gesicht bekommt, wird bis Ende Mai geimpft sein.“
Angesichts des Bankrotts der türkischen Staatsfinanzen und der schwindelerregenden Abwertung der türkischen Lira tut jeder Cent, der durch Tourismus ins Land kommt, gut. Zumal der Kumpel des türkischen Präsidenten Erdoğan, Putin, wegen der Coronapandemie den Russen die Flüge in die Türkei gestrichen hat. Ausgenommen natürlich die russischen Ingenieure, die am Bau des Atomkraftwerks Akkuyu arbeiten.
Man braucht nicht auf den Sommer zu warten. Schon heute ist die Türkei ein Urlaubsparadies, wo Touristen – Corona hin, Corona her – Narrenfreiheit genießen. Angesichts hoher Inzidenzzahlen herrscht in der Türkei seit dem 29. April ein harter Lockdown mit Ausgangssperre. Nur zum nächstgelegenen Supermarkt darf man gehen.
Verhaftete Bürger in Badehosen
Die Kinder, die im Park spielen, haben mittlerweile gelernt, wie man sich aus dem Staub macht, wenn die Polizeisirenen ertönen. Weil sie nicht zu den Grundnahrungsmitteln gehören, ist der Verkauf von alkoholischen Getränken, Tampons und Schreibwarenartikeln in den Supermärkten verboten. Und zur Abschreckung verbreiten die Zeitungen Bilder von Bürgern in Badehosen, die von der Polizei gefasst wurden, weil sie illegal im Meer geschwommen waren.
Ömer Erzeren lebt nach Jahren in Buenos Aires und Istanbul heute wieder in Berlin.
Doch Touristen berührt dies nicht. Sie sind ausdrücklich von der Regelung ausgenommen. Sie können sich im Hotel volllaufen lassen, am Strand sonnen und schwimmen, wie es ihnen beliebt.
Das „Zertifikationsprogramm sicherer Tourismus“ weckt bei mir Assoziationen zu der historisch gewachsenen innigen Kooperation der beiden Staaten. Z. B. bei der Mülltrennung. Der Plastikmüll, den wir hier säuberlich trennen, wird in die Türkei exportiert. Nachdem China den Plastikmüll nicht mehr nimmt, ist die Türkei Hauptimporteur der EU. 14 Millionen Tonnen im Jahr 2019. Nahe Adana, in der landwirtschaftlich fruchtbaren Çukurova-Ebene, türmt sich der Müll einfach am Straßenrand oder wird illegal verbrannt – mit Dioxin- und Schwermetall-Ausstoß.
Alexander Gauland wollte ja die damalige Integrationsbeauftragte Aydan Özoğuz, eine Deutsche, in „Anatolien entsorgen“. Doch Hand aufs Herz. Schon heute entsorgt die EU Millionen syrische Flüchtlinge in der Türkei, dank des Flüchtlingsdeals von 2016. Die „illegale Migration“ sei seit 2016 um 92 Prozent zurückgegangen, berichtete stolz Çavuşoğlu.
Effiziente Kooperationen
Man sollte negative Momente im deutsch-türkischen Verhältnis nicht überbetonen. Die Zeiten, als Merkel als „Nazi“ beschimpft wurde und Erdoğans Lieblingszeitung sie mit Hakenkreuz in SS-Uniform abbildete. Oder die toten Opfer rassistischer Anschläge in Deutschland.
Man sollte auf die effizienten Kooperationen hinweisen. Zum Beispiel die deutsch-türkische Waffenbrüderschaft im Ersten Weltkrieg. Den Völkermord an den Armeniern, den Deutschland klammheimlich duldete. Panzerlieferungen aus NVA-Beständen, die in den kurdischen Gebieten zum Einsatz gekommen sind. Ich erinnere mich auch gern an den SPD-Bundesfinanzminister Hans Matthöfer, der die Militärjunta 1980 mit Finanzspritzen beglückte und den Putsch einen „heilsamen Schock“ nannte.
Doch zurück zur Gegenwart. Außenminister Çavuşoğlu zitierte die Bundeskanzlerin im FAZ-Interview, um auf die rosige Zukunft der deutsch-türkischen Beziehungen hinzuweisen: „Wir schaffen das.“ Im Netz kursiert eine leicht manipulierte Werbung des türkischen Tourismusministeriums. Ein wunderbarer, unberührter Sandstrand, spielende Kinder, paradiesisch: „Turkey unlimited. Now available without Turks.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“