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Impfen im Brennpunkt-ViertelSchlange stehen für den Pieks

In Bremen-Gröpelingen werden diese Woche vorrangig Eltern kleiner Kinder geimpft. Doch der Andrang ist riesig, auch andere An­woh­ne­r*in­nen kommen.

Hauptsache Stoff: Wer nicht hat, der kriegt ihn noch Foto: Jörg Carstensen / dpa

Bremen taz | Als die beiden Jungs mit Basecap am Dienstag um zwölf vor dem improvisierten Impfzentrum gegenüber dem Waterfront-Einkaufszentrum ankommen, müssen sie sich in keine Schlange einreihen. Noch um halb zehn hätten sie lange angestanden, jetzt müssen sie nur ihre Mütter herbei telefonieren, denn sie sind erst 16 und brauchen eine erwachsene Begleitung.

Ihr Lehrer habe per Whatsapp mitgeteilt, dass sich alle, die in Gröpelingen leben, diese Woche im Lichthaus impfen lassen können, erzählt einer der beiden. „Gesundheit geht vor“, sagt sein Kumpel, und dass Geimpfte mehr Rechte hätten. „Ich will im Sommer zur Familie nach Bulgarien.“

Die beiden sind nicht die einzigen, die ohne offizielle Einladung gekommen sind. Die Gesundheitsbehörde hatte kurzfristig ab Donnerstag 2.000 Termine über 20 Kindertagesstätten im Stadtteil verteilen lassen. Auf diese Weise soll Menschen ein Impfangebot gemacht werden, „bei denen aufgrund ihrer Arbeits- oder Lebensumstände ein deutlich erhöhtes Risiko einer Infektion mit dem Coronavirus besteht“.

So definiert die Liste des Robert-Koch-Instituts, welche Personengruppen bevorzugt geimpft werden sollen. Gröpelingen ist in Bremen der Stadtteil mit den höchsten Infektionsraten. Weil nicht genug Impfstoff für die rund 37.000 Ein­woh­ne­r*in­nen da ist, wurden zunächst Eltern kleiner Kinder bevorzugt.

Weil unklar war, wie gut das Angebot angenommen werden würde und einige Kindergärten zurückgemeldet hatten, dass nur wenige Eltern interessiert mitmachen, hatten die Or­ga­ni­sa­to­r*in­nen dafür gesorgt, dass sich die Botschaft verteilte, es würden auch weitere Personen geimpft. Mit Erfolg.

Am ersten Tag überrannt

Am Montag seien sie „überrannt“ worden, erzählt Herwig Renkwitz vom Deutschen Roten Kreuz, der das provisorische Impfzentrum leitet. Um 7 Uhr – eine Stunde vor Öffnung – hätten die Leute Schlange gestanden, viele mit Terminen am Mittwoch oder Donnerstag. Dabei waren die Termine keine festen Uhrzeiten, sondern grobe Zeitslots.

Auch am Dienstag – dem Tag, an dem Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Die Linke) das Projekt der Presse vorstellt – ist der Andrang groß. Die Rotkreuz-Mitarbeiter*innen haben zwei Schlangen organisiert. In der kürzeren stehen Eltern mit einem Termin der Kita. Nachdem diese abgearbeitet ist, kommen die dran, die ohne Einladung gekommen sind. Einzige Voraussetzung: Wohnsitz Gröpelingen.

Den vier Männern in Werkskleidung, die offensichtlich von ihrem Chef geschickt wurden, teilt Herwig Renkwitz vom Deutschen Roten Kreuz mit, dass sie umsonst im strömenden Regen gewartet haben. Sie wohnen nicht einmal in Bremen, sondern im Umland.

Über die Hälfte der 2.000 Impfdosen ist am Dienstag schon verimpft. Doch Lutz Liffers, behördlicher Koordinator der Bremer Kampagne sagt, auch am Freitag werde noch genug Impfstoff da sein. Dabei war bis Sonntagabend offen gewesen, ob überhaupt eine einzige Dosis zur Verfügung stehen würde. Ursprünglich sollte das Vakzin von Johnson & Johnson gespritzt werden, doch am Donnerstag erfuhr die Gesundheitsbehörde, dass dieser ab dieser Woche erst ab 60 Jahren empfohlen würde.

Am Donnerstagabend, so erzählt es ein Sprecher der Gesundheitssenatorin, sei klar gewesen, dass man auf Moderna umsteigen könne. Nur um dann am Wochenende festzustellen, dass die ganze Lieferung fehlerhaft war und nicht verimpft werden konnte. Davon betroffen waren alle in dieser Woche geplanten Erst- und Zweitimpfungen mit Moderna.

Grünes Licht gab es dann erst am Sonntagabend für den Impfstoff von Biontech. Es sollen jetzt sogar noch einmal zusätzliche 1.000 Dosen für die Gröpelinger zur Verfügung stehen. Dennoch, sagt der Impfkoordinator Lutz Liffers, würden ab Mittwoch nur noch Leute mit Einladung geimpft.

„Viele Eltern haben Angst“

Viele von ihnen haben die Einladung von Katharina Kamp­hoff bekommen. Die 60-jährige Sozialpädagogin leitet seit 25 Jahren die evangelische Kindertagesstätte Seewenjestraße, anderthalb Kilometer vom Lichthaus entfernt.

Sie hat am Montagmorgen die letzten 14 von 400 Terminen vergeben und hofft, dass sie jetzt noch ein paar mehr bekommt, denn es fragten immer noch Eltern nach. 126 Kinder gehen in die Einrichtung, 80 Prozent hätten Eltern oder Großeltern, die nicht in Deutschland geboren sind.

Bis Sonntagabend war noch offen, ob überhaupt Impfstoff zur Verfügung stehen würde

Als Lutz Liffers sie am Dienstag gefragt habe, ob sie sich an der Aktion beteiligen würde, habe sie sofort zugesagt, erzählt sie. Ohne Rücksprache mit ihrem Vorgesetzten. Der hatte der taz noch am Donnerstagvormittag versichert, die Lei­te­r*in­nen seien zu überlastet, das gehe nicht. „Ich finde das aber wichtig“, sagt Kamphoff. „Für mich war das gar keine Frage“.

In ihrer Kita höre sie nahezu jede Woche von einem Kind, deren Eltern oder nahe Verwandte an Corona erkrankt seien. „Viele haben hier große Angst.“ Zudem würden einige in Jobs arbeiten, in denen sie mit vielen Menschen in Kontakt kämen, an der Kasse im Baumarkt oder als DHL-Fahrer.

Dennoch hätten anfangs nur wenige Eltern den Impftermin haben wollen. „Als es hieß, es gebe Moderna, kam Bewegung rein.“ Überredet habe sie niemand und auch keine Impfberatung gemacht: „Das ist nicht unsere Aufgabe.“ Aufgefallen sei ihr, dass keine der zehn afrikanischen Familien das Angebot angenommen habe.

Die Gesundheitsbehörde will jetzt die Erfahrungen dieser Woche auswerten. Ab Ende Mai, Anfang Juni sollen dann Aktionen in anderen ähnlich betroffenen Stadtteilen stattfinden, sagte die Gesundheitssenatorin.

In einer früheren Fassung stand, dass Gröpelingen rund 10.000 Einwohnerinnen hat. Das trifft auf den Orts- nicht aber auf den Stadtteil zu. Dieser ist im Text gemeint und hat 37.000 Einwohnerinnen. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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3 Kommentare

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  • Gröpelingen hat mind. 37000 Einwohner*innen. Die Autorin hat den Stadtteil wohl mit dem gleichnamigen Ortsteil verwechselt.

    • Eiken Bruhn , Autorin des Artikels, Redakteurin
      @Jakob S.:

      Sie haben recht!! Vielen Dank. Laut stat. Landesamt 37.083.

  • "Zudem würden einige in Jobs arbeiten, in denen sie mit vielen Menschen in Kontakt kämen, an der Kasse im Baumarkt oder als DHL-Fahrer." Das sind nicht die größten Infektionsherde oder Infektionsgefahren. Die Leute sind nur kurz und auch mit genügend Abstand beieinander, tragen Masken, sind an Kassen durch Wände getrennt. Es ist der Umdstand der beengten Wohnsituation und des kaum bis unzureichend erweiterten ÖPNV der zu einer erhöhten Infektionsgefahr, trotz eigener getroffenen Vorsichtsmaßnahmen, führt.